EU-Parlament stimmt gegen Roaming und für Netzneutralität

Ab Dezember 2015 soll man EU-weit auch über Ländergrenzen hinweg telefonieren können, wenn es nach dem Willen des EU-Parlamentes geht. Zunächst müssen jedoch noch die EU-Staaten dem Beschluss zustimmen. Nicht alle halten das aber für eine gute Idee.

abgeschafft. Das Parlament der EU hat über ein umstrittenes Telekom-Paket abgestimmt. Quelle: EU
Netzneutralität gewahrt? Roaming abgeschafft. Das Parlament der EU hat über ein umstrittenes Telekom-Paket abgestimmt. Quelle: EU


Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben am Donnerstag mit großer Mehrheit für die Abschaffung der Roaming-Gebühren gestimmt. Diese sollen, sofern der Ministerrat EU-Staaten dem Vorschlag zustimmt, bereits zum 15. Dezember 2015 fallen. Nur zweckwidrige oder missbräuchliche Nutzung wollen die Parlamentarier weiterhin mit Roaming-Gebühren belegen.

EU-Kommissarin Neelie Kroes sieht darin einen wichtigen Schritt in Richtung “#connected Continent” wie sie über Twitter jubelt. Auf diese Weise soll die Grundlage für einen einheitlichen Telekommunikationsmarkt innerhalb der EU geschaffen werden.

Doch längst nicht alle politischen Kräfte glauben, dass diese Abschaffung nur Vorteile bringt. Der Bitkom etwa, in dem IT- und Telekommunikationsunternehmen organisiert sind, etwa glaubt, dass die Abschaffung der Roaming-Gebühren die “Verbraucher an anderer Stelle zusätzlich” belaste. Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder erklärt, mobile Internetnutzung und auch Inlandstelefonate würden durch diese neue Regelung automatisch teuer. Der Breitbandausbau könne durch die Ausfälle der zusätzlichen Einnahmen leiden. Auch sozial schwächer gestellte Menschen sieht der Bitkom dadurch im Nachteil. Denn lediglich erfolgreiche und gut situierte Vielreiser würden davon profitieren.

Der Verband Beuc, der auf europäischer Ebene Verbraucherinteressen vertritt, stellt das anders dar und glaubt, dass durch den Wegfall die Nutzung von mobilen Diensten ansteigen wird.

Die Abschaffung der Roaming-Gebühren ist ohnehin ein Langzeitprojekt der EU. Schon zum 1. Juli sinken erneut die Kosten in der EU. Von derzeit maximal 24 sinkt dann die Obergrenze für Minutenpreise von Telefonaten im Ausland auf 19 Cent. Ein heruntergeladenes Megabyte darf dann nur noch 20 Cent und nicht mehr wie aktuell 45 Cent kosten. In den vorangegangenen Jahren hatten die Anbieter bereits die Kosten erheblich gesenkt.

Neben den Roaming-Kosten haben die Parlamentarier auch über die Netzneutralität abgestimmt. Diese wird auch weiterhin ohne größere Einschränkungen in dem Telekom-Paket festgeschrieben. Netzneutralität ist nun der Grundsatz, dass der vollständige Internetverkehr ohne Diskriminierung oder Einschränkung gleich behandelt wird und das ungeachtet des Inhalts oder des Senders.

Allerdings gilt Verfechtern wie etwa dem Verein Digitale Gesellschaft die Klausel zu Spezialdiensten nach wie vor als zu schwammig. So heißt es in einer Mitteilung, dass die neue Verordnung offen lasse, was als Spezialdienst angeboten werden darf. Der Verordnungstext stuft Spezialdienste als Dienste für Anwendungen ein, die besondere Qualitätsmerkmale einfordern, diese dürfen jedoch nicht als Ersatz für einen Internetzugang vermarktet oder genutzt werden.

Netzprovider dürfen daher solche Dienste auch nur dann anbieten, wenn die Kapazitäten des Internet ausreichen und diese Services zusätzlich angeboten werden können. Verfügbarkeit und Qualität der Internetzugangsdienste dürften dadurch nicht beeinträchtigt werden.

Mit solchen Formulierungen fürchten Kritiker der Verordnung, dass Dienste wie etwa T-Entertain der Telekom vor den Diensten kleinerer und weniger finanzstarker Anbieter bevorzugt werden könnten. Dennoch werten Verbände den Beschluss zumindest als Etappensieg für ein neutrales Netz.

“Es gilt, Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Markt abzuwenden, denen gerade Start-ups und KMU zum Opfer fallen würden”, kommentiert Nadja Hirsch, medien- und netzpolitische Sprecherin der FDP im Europaparlament. “Diese würden auf der Strecke bleiben, wenn die großen Konzerne auf der Überholspur der Datenautobahn vorbeipreschen. Dies würde langfristig zu Monopolen führen, die weder für Verbraucher noch für die Innovation hilfreich wären. Vorschriften zur Sicherung der Netzneutralität sind daher kein unliberaler Eingriff in den freien Wettbewerb, im Gegenteil: Sie helfen, freien Wettbewerb zu sichern!”

“Die Frage ist jetzt, ob die Anbieter das Gefühl haben, dass sie im Rahmen der neuen Bestimmung die Services anbieten können, die sie planen – und die Lobbying-Bemühungen in den letzten Minuten legen den Schluss nahe, dass das nicht der Fall ist”, so Matthew Howett, Chef von Ovums Telecom Regulation Practice. “Es bestehen Zweifel, dass selbst grundlegende (und auch allgemein akzeptierte) Formen des Traffic-Managements im Licht der Visionen der EU-Kommissare für ein offenes Internet noch erlaubt sind”, kommentiert Howett. Der Ovum-Experte für den Telekom-Markt glaubt zudem, dass sich im Vorfeld des Beschlusses durch den Ministerrat die Lobbying-Bemühungen der Industrie noch weiter verstärken werden.

Und dass das letzte Wort in dieser Debatte noch nicht gesprochen ist, weiß auch der EU-Grünenabgeordnete Jan Philipp Albrecht: “Die Monopolbildung im Internet-Markt soll begrenzt und die Rechte der Endkunden sowie die Chancen für einen offenen und innovativen Markt gestärkt werden. Diese Richtungsentscheidung muss nun in den Verhandlungen mit dem Ministerrat und der Europäischen Kommission durchgesetzt werden.”