Mai-Rückblick: Vergiss es!

#Aufschrei, Hashtag, Rainer Brüderle Edward Snowden Prism

Die Stimmung unseres Kolumnisten Achim Killer ist so trüb wie das Wetter im zuende gehenden Monat. Er sorgt sich um den Datenschutz. Die Europawahl bereitet ihm Kopfzerbrechen. Und er findet keine Antwort auf die Frage, wie es mit dem Journalismus und der Satire weitergehen könnte. Am liebsten möchte er wohl den Mai vergessen. Trotzdem hat er einen Rückblick darauf geschrieben.

Wer wirklich wissen will, was es mit dem Vergessen auf sich hat, der muss mit einem Kind im Grundschulalter Memory spielen. Da kann man so richtig schön brutal sein und braucht auf das kleine, zarte Seelchen überhaupt keine Rücksicht nehmen. Gewinnen lassen? – Von wegen! No mercy! – Die Rotznase gewinnt, ob man sie lässt oder nicht.

Für alle anderen, also für die senilen Hochbetagten jenseits der 20, ist der Computer erfunden worden. Der nämlich verfügt nicht nur über einen Arbeitsspeicher, welcher, was die Volatilität anbelangt, dem erwachsenen Gehirn sehr ähnelt, sondern darüber hinaus auch noch über eine Festplatte, worauf sich Informationen persistent abspeichern lassen. – Die Festplatte seines PCs verleiht einem 25-jährigen Greis – von Legacy-Systemen ganz zu schweigen – die intellektuelle Vitalität eines 7-jährigen.

Mit diesem digitalen Jungbrunnen also gilt es, pfleglich umzugehen, zumal man sich die meisten Informationen direkt oder indirekt ergoogelt hat. Und Google gibt und nimmt. Für Ersteres ist der Konzern bekannt. Mit Letzterem macht er Geld, meist indem er dem er dem User einen Keks gibt, ein Cookie auf die Festplatte schreibt. Und dafür, dass er die Kekse nicht allzu dick vergoldet, sorgt der Datenschutz.

Jetzt aber hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg geurteilt, man dürfe sich Informationen nicht mehr so einfach ergoogeln – wegen des Rechts auf “informationelle Selbstbestimmung”. Es gäbe ein Recht auf Vergessen. Und deswegen hat der EuGH nicht etwa die Beschaffung von privaten Informationen über die Surfer durch Google eingeschränkt, sondern die Weitergabe von öffentlichen Informationen an sie.

Ob die höchsten europäischen Richter da nicht etwas vergessen haben, fragt man sich, nämlich, was informationelle Selbstbestimmung eigentlich meint. Es kann doch nur bedeuten, dass man selbst entscheidet, welche persönlichen Informationen man herausgibt, aber nicht, welches Bild von einem entsteht, wenn diese Informationen draußen sind. Sonst wären ja PR- und Werbeagenturen allesamt Datenschutzzentren. Zensoren würden die Privatsphäre schützen. Und die Agitprop-Abteilungen von Staatsparteien und die Propagandaministerien in der jüngsten Geschichte hätten lediglich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrgenommen.

Deswegen muss man sich auch wegen des Europawahlergebnisses sorgen. Denn in dieser Legislaturperiode wird der europäische Datenschutz reformiert. Und in das Parlament, welches darüber entscheidet, zieht mit 0,6 Prozent der Stimmen aus Deutschland “Die PARTEI” – für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative – des Ex-Titanic-Chefredakteurs Martin Sonneborn ein. Mit: “Für Europa – gegen Europa” hat die geworben.

Ein anderer Chefredakteur, der wohl eindeutig für Europa ist, Giovanni di Lorenzo von der Zeit, hat gleich zwei mal abgestimmt, “einmal gestern im italienischen Konsulat und einmal heute in einer Hamburger Grundschule”, hat er letzten Sonntag in der ARD erzählt. Hätte er doch, als er noch zum Lernen und nicht zum Wahlfälschen in die Grundschule gegangen ist, dort im Sozialkundeunterricht besser aufgepasst!

Ach ja. Sorgenvolle Fragen quälen einem beim Rückblick auf diesen Mai:

Wieso postuliert das höchste europäische Gericht ein Recht, das höchstens 7-jährigen etwas bringen kann? Alle anderen vergessen schließlich auch ohne Rechtsgrundlage.

Was wird aus dem europäischen Datenschutz in einem Parlament, von dessen bundesdeutschen Abgeordneten erschreckende 99 Prozent nicht der Partei des seriösen Martin Sonneborn angehören?

Wie konnte man selbst seine eigenen Grundsätze so vergessen und seine Stimme – die eine, die man als gewöhnlicher Schreiber hat – nicht Sonneborn geben? – Man hätte doch wissen können, dass Satiriker die einzig ernsthaften Menschen sind, weil sie nie so albern sein können wie die Realität.

Und überhaupt: Was wird aus der Satire, wenn Giovanni di Lorenzo sein Talent bei der Zeit verschwendet, sodass die Titanic sich zeitweise sogar mit einer hyperkorrekten Spaßbremse wie Sonneborn behelfen musste?

So. Der Schreiber geht jetzt ein Bier trinken. Das hilft, die Sorgen zu vergessen. Und Tausende anderer, schönerer Gründe dafür gibt es auch.