Industrie 4.0 – wie der Office PC vor 20 Jahren

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Deutsche Unternehmen investieren in Technologien, die Herstellung, Entwicklung, Logistik – also den gesamten Produkt-Prozess umfassen, vernetzen und steuern. Immer mehr Branchen gestalten derzeit den Umstieg in die vierte industrielle Revolution, doch bis zum Erreichen der Vision eines vollständig autonom durchlaufenden Prozesses gilt es auch noch zahlreichen Fragen zu beantworten.

Die Investitionen in Industrie 4.0 steigen kontinuierlich, daran scheint derzeit kein Zweifel zu bestehen. Zwei unabhängige Studien gehen von deutlichen Wachstum in den nächsten Jahren aus. Doch, wie die Marktforscher von IDC in einer aktuellen Untersuchung feststellen, scheinen sich die Vorteile solcher Technologien noch nicht in allen Branchen flächendeckend herum gesprochen zu haben.

Laut IDC sind es derzeit vor allem verarbeitende Unternehmen und hier allen voran Maschinen- und Anlagenbauer, die über so genannte Cyber Physical Systems Objekte in Produktionsprozessen erfassen, steuern und überwachen. Ein konkreter Anwendungsfall dabei ist die vorausschauende Wartung von Maschinen oder Anlagen auf Basis von Echtzeit- und Sensordaten. Vor allem für das Service-Geschäft können sich so Vorteile erreichen lassen. Die Möglichkeiten der Implementierung werde laut IDC von den Anwendern positiv eingeschätzt. Und die Anwender erwarten sich dadurch erhebliche Auswirkungen auf Fertigung und Engineering.

Für Betreiber von Anlagen ist Industrie 4.0 oft noch ein Fremdwort. Quelle: IDC
Für Betreiber von Anlagen ist Industrie 4.0 oft noch ein Fremdwort. Immerhin 54 Prozent geben an, den Begriff nicht zu kennen. Quelle: IDC

In den genannten Branchen bedeutet “Industrie 4.0” häufig den Einsatz von Cyber Physical Systems (CPS). Maschinen, Anlagen oder andere Objekte, die auf unterschiedliche Weise Daten produzieren, kommunizieren mit und über dezentrale Steuerungseinheiten. Diese Untersysteme wiederum sind in die Kommunikation mit Software-Plattformen – etwa mit ERP oder MRP – und in einheitliche Datenplattformen eingebunden. Am Ende steht laut IDC dann die Vision, dass sich der Produktionsprozess weitgehend selbst steuert.

Welche Vorteile ergeben sich daraus?

Laut der IDC-Studie erhoffen sich die meisten befragten Unternehmen Einsparungen von Produktionskosten, stärkere Automatisierung von Fertigungsprozessen, ein verbessertes Management steigender Produktkomplexität und nicht zuletzt die Möglichkeit, schneller auf neue Anforderungen reagieren zu können; dies sind auch gleichzeitig die wichtigsten Herausforderungen, die herstellende Unternehmen in den nächsten beiden Jahren sehen.

Es habe sich aber auch gezeigt, dass der Begriff “Industrie 4.0” lediglich bei 57 Prozent der befragten Personen bekannt ist. Das gilt für die Anwenderbetriebe. Hersteller von Industrieanlagen hingegen haben lediglich in 26 Prozent der Fälle noch keine Bekanntschaft mit diesem Begriff gemacht. Laut IDC zeige das, dass hier gerade bei den potentiellen Kunden noch erheblicher Informationsbedarf bestehe.

Bei etwa einem Drittel der befragten Betriebe, denen Industrie 4.0 bekannt ist, sollen laut IDC bereits vernetzte Systeme (CPS) im Einsatz sein. Beispiele dafür liefern Produktionssysteme mit Industrierobotern, oder dezentrale Anlagen, wie etwa Windkraftanlagen, oder aber auch der Einsatz von RFID in der Logistik nennen die Marktforscher als Anwendungsbeispiele.

“Auch wenn die Umsetzung zum Teil noch im Rahmen von Pilotprojekten, Testphasen oder einzelnen Bereichen der Fertigung geschieht, sammeln Firmen bereits heute Erfahrungen mit der Erhebung und Analyse von Daten aus vernetzten Produktionssystemen”, kommentiert Mark Alexander Schulte, Consultant und Projektleiter bei IDC die Ergebnisse.

Ein Bereich, in dem sich Prinzip und Nutzen von Industrie 4.0 besonders deutlich ablesen lässt, ist Predictive Maintenance. Dabei werden Anlagen mit Sensoren vernetzt und in Systeme eingebettet. Die Sensoren erfassen den Verschleiß kritischer Bauteile einer Maschine und übertragen die Informationen an eine Software-Plattform. Diese analysiert die Echtzeitdaten und optimiert den Wartungsplan für die Servicetechniker. Laut IDC resultiert das für die Betreiber solcher Anlagen in einer besseren Produktionsplanung, eine längere Laufzeit der Maschinen und die Vermeidung von ungeplanten Stillständen. Bei etwa 25 Prozent der befragten Fertigungsunternehmen sind solche Systeme bereits heute im Einsatz, teilweise im Rahmen von Pilotprojekten. Ein weiteres Viertel plant die Implementierung innerhalb der nächsten 12 Monate.

Auch die Hersteller von Anlagen, Maschinen und Geräten planen einen massiven Ausbau ihres Angebots an Predictive Maintenance-Lösungen. IDC erwartet daher ein dynamisches Marktumfeld im Bereich der vorausschauenden Wartung auf Basis von Echtzeitdaten. Knapp 60 Prozent der befragten Unternehmen sehen zudem im Product-Lifecycle-Management (PLM) großen Chancen für die Prinzipien von Industrie 4.0. PLM umfasst sämtliche Aktivitäten entlang des Lebenszyklus eines Produktes.

Nicht nur IDC sieht den Bereich Industrie 4.0 vor großen Chancen. “Die vernetzte Produktion revolutioniert den Industriesektor”, kommentiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. “Wer auch künftig global wettbewerbsfähig sein möchte, muss dafür in entsprechende ITK-Lösungen investieren.” Rohleder zitiert aus einer aktuellen Untersuchung der Experton-Group.

Demnach liegen die Ausgaben deutscher Unternehmen für Industrie 4.0 in diesem Jahr bei 425 Millionen Euro. Im kommenden Jahr sollen diese um 54 Prozent auf 654 Millionen anwachsen. Davon werden schätzungsweise mehr als die Hälfte (347 Millionen Euro) in IT-Dienstleistungen, 125 Millionen in Network Services und weitere 105 Millionen in die ITK-Infrastruktur fließen. Weitere 80 Millionen Euro werden voraussichtlich für Softwarelösungen im Bereich Industrie 4.0 ausgegeben.

Auch in den Folgejahren sollen die Investitionen weiter steigen. Für 2016 erwartet die Experton Group ein Wachstum gegenüber dem Vorjahr um rund 62 Prozent auf 1,057 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 werden die Ausgaben schätzungsweise 2,616 Milliarden Euro betragen.

“Die Prognose zeigt, wie wichtig das Thema Industrie 4.0 für die deutsche Wirtschaft insgesamt ist – sowohl für Anwender aus der Industrie als auch für Anbieter von ITK-Lösungen”, so Andreas Zilch, Lead Advisor der Experton Group.

Der Bitkom hatte schon im Februar bei einer Umfrage Industrie 4.0 als eines der zehn wichtigsten Hightech-Trendthemen 2014 identifiziert. Eine Studie des Branchenverbands hat ergeben, dass Industrie 4.0 in sechs volkswirtschaftlich wichtigen Branchen in Deutschland bis 2025 im Durchschnitt für 1,7 Prozent an zusätzlicher Bruttowertschöpfung pro Jahr sorgen kann. Besonders stark werden laut dieser Studie der Maschinen- und Anlagenbau, die Elektrotechnik und die Chemieindustrie von Industrie 4.0 profitieren.

 

Investitionen in ITK-Lösungen für Industrie 4.0 in Mrd. Euro (Quelle: Experton Group)

Jahr

Ausgaben

2013 0,316
2014 0,425
2015 0,654
2016 1,057
2017 1,504
2018 2,016
2019 2,311
2020 2,616

 

Bei allem Optimismus sieht IDC auch zahlreiche Hürden, die es zu überwinden gilt. Sicherheit, Finanzierung, neue Prozesse und Strukturen, unausgereifte Technologien, Komplexität und einheitliche Standards für die Kommunikation der verschiedenen Systeme sehen die Anwender derzeit als die größten Herausforderungen.

“Die aktuelle Situation im Produktionsumfeld ist mit der in der Office-IT vor zirka 20 Jahren vergleichbar. Die damaligen IT-Systeme, also Workstations oder PCs, waren auch nicht für den Datenaustausch ausgelegt”, so IDC-Analyst Schulte. “Sicherheitsstandards mussten sich etablieren. Dies sollte positiv stimmen, dass eine umfangreiche IT-Sicherheit auch im Rahmen von Industrie 4.0 hergestellt werden kann.” Viele Systeme seien derzeit noch nicht auf Netzwerkverbindungen ausgelegt. So könne IDC auch eine teilweise Öffnung von Produktionssystemen feststellen.

Hürden auf dem Weg hin zur vierten industriellen Revolution. Vor allem um die Datensicherheit sorgen sich die Verantwortlichen. Quelle: IDC
Hürden auf dem Weg hin zur vierten industriellen Revolution. Vor allem um die Datensicherheit sorgen sich die Verantwortlichen. Quelle: IDC

Nicht selten übernimmt die Steuerung von Industriesystemen auch heute noch ein ungepatchter Windows 95-Rechner. Und die jüngste Havex-Attacke auf so genannte SCADA-Systeme zeigt, dass die Bedenken bei der Sicherung solcher Systeme nicht unbegründet sind.

Die von IDC befragten Fach- und Führungskräfte sehen daher insbesondere drei Risiken durch vernetzte IT-Systeme in der Fertigung: Diebstahl geistigen Eigentums wie Produktskizzen oder 3D-Muster, durch einen Hackerangriff initiierte Störungen in der Produktion sowie eine unbemerkte Manipulation von Maschinen in einem Fertigungsverfahren.

[mit Material von Björn Greif, ZDNet.de]

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