AWS Marketplace Deutschland: “zwischen Kooperation und Wettbewerb”

Welche neuen Chancen bieten sich für deutsche Unternehmen durch den frisch gestarteten Marketplace der Amazon Web Services? silicon.de-Autorin Ariane Rüdiger hat sich mit Martin Geier, dem deutschen Geschäftsführer der Amazon Web Services Germany GmbH über Angebote, Chancen und Risiken und das Verhältnis zwischen AWS und Partnern wie SAP, Software AG oder NetApp unterhalten.

silicon.de: Herr Geier, färbt eigentlich das Negativ-Image des Amazon-Shops, der ja ständig mit Gewerkschaften oder Verlegern im Streit liegt, auf AWS ab?

Martin Geier: Nein, denn wir betreiben unser Geschäft vollkommen selbständig. Unsere Kunden haben uns bisher auf diese Themen nicht angesprochen.

silicon.de: Mit Partnern geht Amazon in den umstrittenen Bereichen nicht zimperlich um. Steht zu befürchten, dass das irgendwann auch bei AWS so sein wird?

Martin Geier: Wir legen größten Wert auf unsere Software- und Integrationspartner. Deshalb haben wir auch ein eigenes Team, das die Partner betreut. Schließlich arbeiten viele unserer Endkunden eng mit ihnen zusammen, wenn sie eine Lösung mit AWS realisieren. Zum Beispiel der Reinigungsspezialist Kärcher. Er hat mit Hilfe von AWS-Partnern eine Flottenmanagement-Lösung für die von dem Unternehmen produzierten Reinigungs- und Kehrmaschinen auf Basis von AWS-Infrastruktur realisiert. Damit ist  beispielsweise vorausschauende Wartung möglich. Softwarepartner und Kunden freut sicher auch, dass wir jetzt den AWS Marketplace auch in der Region Frankfurt bereitstellen. Dort liegen derzeit etwa 700 Anwendungen, die die Kunden dann nach Bedarf auf unserer Infrastruktur betreiben können.

silicon.de: Welche Vorteile hat das für Ihre Kunden?

Martin Geier: Sie können unternehmenstaugliche Software unterschiedlichster Art mieten, sofort über AWS-Infrastruktur bereitstellen und damit arbeiten, ohne sich um die Lizenzierung zu kümmern, das hat AWS bei der Software im Marketplace bereits erledigt. Der Abrechnungs-Zeittakt reicht von stündlich bis jährlich. Wir haben beispielsweise allein 200 Security-Anwendungen im Angebot, aber auch Open-Source-Software wie WordPress, mehrere Datenbanken und Analytic-Tools. Voll ausgebaut, kann ein Marketplace mehrere tausend Anwendungen anbieten.

Martin Geier ist Geschäftsführer Amazon Web Services Deutschland GmbH. (Bild: Rüdiger)
“Rechenzentren der Region Frankfurt sind jetzt nach dem IT-Grundschutz zertifiziert.” Martin Geier ist Geschäftsführer Amazon Web Services Deutschland GmbH. (Bild: Rüdiger)

silicon.de: Amazon war anfangs ein reiner IaaS- oder allenfalls PaaS-Anbieter. Inzwischen dehnt sich das Spektrum der eigenen Services oft weit in den Anwendungs- oder anwendungsnahen Bereich aus. Bedeutet das nicht, dass Sie mit Softwarelieferanten in Wettbewerb treten?

Martin Geier: Das ist sicher richtig. Wir haben inzwischen 40 Services, und viele führen zu Wettbewerb mit Softwareanbietern oder anderen Partnern. Meist geht es um eine Mischung zwischen Kooperation und Wettbewerb. Denken Sie etwa an Netapp. Das Unternehmen hat hier und heute eine gemeinsame Lösung mit SAP präsentiert hat, mit der man auf Netapp-Filern gespeicherte SAP-Daten auf der AWS-Compute-Cloud bearbeiten kann, ohne die Daten aus der Hand zu geben oder Verzögerungen in Kauf zu nehmen. SAP hat dazu eigens das sogenannte Landscape Virtual Management (LVM) entwickelt.

Netapp stellt für den jeweiligen Kunden einen Filer in unmittelbarer Nähe der Amazon-Compute-Cloud auf, auf dem die zu bearbeitenden Daten aus der Private Cloud, wo ein zweiter Filer steht, gespiegelt werden. Mit der  SAP-Lösung werden zwischen den beiden Filern jeweils nur die veränderten Datenblöcke transportiert, so dass die Daten immer im privaten Bereich des Kunden liegen. Nur zur Analyse wandern sie durch die Compute Cloud.

Und obwohl jedes Bit auf S3 weniger verkauften Speicher für Netapp bedeutet, hat Netapp Ontap jetzt an AWS lizenziert. Anwender können so in der hybriden Cloud die von Netapp vertraute Technologie weiter verwenden, wenn sie auf S3 arbeiten. Ein weiteres Beispiel ist die Software AG. Statt eine eigene Cloud aufzubauen und SaaS von dort anzubieten, bietet sie nun alle Lösungen bis auf die für Mainframes im AWS-Marketplace an. Dort konzentriert man sich in Zukunft lieber auf die eigenen Kernkompoetenzen  – Softwareentwicklung und Kunden finden – und überlässt uns den Infrastruktur-Teil.

silicon.de: Warum soll ein Endkunde seine IT zu AWS auslagern, wenn er die Wahl hat, auch zu einem regionalen Cloud-Dienstleister zu gehen, den er vielleicht schon Jahre kennt und dem er vertraut?

Martin Geier: Zum Beispiel wegen unserer langen Erfahrung, unseres technologischen Vorsprungs und unserer globalen Reichweite. Tatsächlich reden wir heute mit vielen regionalen Cloud-Dienstleistern aus Deutschland, die darüber nachdenken, ob sie nicht Teile des Service an uns auslagern sollen.

silicon.de: Warum sollten sie das tun?

Martin Geier: Oft wegen der Reichweite. Wenn mittelständische Kunden ins Ausland expandieren, wollen sie dort ihre IT so betreiben wie hier, aber ihr regionaler Cloud-Dienstleister wird ihnen in den USA oder Asien meist keine Präsenz anbieten können. Dann ist die Kundenbeziehung in Gefahr. Über AWS bekommen solche Dienstleister die nötige Reichweite.

silicon.de: Kommt der klassische deutsche Mittelstand angesichts der Skandale um den NSA überhaupt zu Ihnen?

Martin Geier: Ja, er kommt. Unsere Kunden sind inzwischen nicht mehr nur Unternehmen der neuen Generation wie etwa Airbnb oder Soundcloud, eine alternative Online-Plattform für die Bereitstellung von Musik und anderem Audiomaterial, die von Anfang an auf die Cloud setzen.

Inzwischen verstehen viele traditionelle Firmen, dass sie ihr Geschäftsmodell transformieren müssen, wenn sie in der digitalen Welt mithalten wollen. So versucht beispielsweise ProSiebenSat 1 mit uns gemeinsam ein Geschäftsmodell für das Fernsehen der Zukunft zu entwickeln.

Ein anderes Beispiel ist Philipps. Der Beleuchtungsspezialist geriet durch die LED-Technologie plötzlich in ein vollkommen neues Konkurrenzumfeld und musste sich praktisch neu erfinden. Entstanden ist  das Tochterunternehmen CityTouch mit einem komplett neuen Geschäftsmodell, das statt Straßenbeleuchtung als Produkt einen webbasierenden, hoch skalierfähigen und extrem flexiblen Echtzeitservice für optimal gesteuerte Straßenbeleuchtung anbietet und damit sehr erfolgreich ist. Die Hardware ist da nur noch ein Teil. Solche Beispiele sehen wir immer öfter.

silicon.de: Spielt die Sicherheitsthematik für solche Kunden keine Rolle?

Martin Geier: Natürlich, gerade in Deutschland. Und wir reagieren darauf, indem wir alle  nur denkbaren für unsere Kunden wichtigen Zertifizierungen erwerben und pflegen. So sind die Rechenzentren der Region Frankfurt seit Kurzem neben allen möglichen anderen Zertifizierungen auch nach dem IT-Grundschutz des Bundesamtes für Informationstechnik (BSI) durch den TÜV Austria zertifiziert.

silicon.de: Was hat sie dazu veranlasst?

Martin Geier: Wir haben in den vergangenen Monaten immer wieder von unseren Kunden gehört, dass das für sie wichtig ist, um uns noch mehr Teile ihrer Informationstechnik anzuvertrauen.

silicon.de: Könnte dabei auch das demnächst zu erwartende IT-Sicherheitsgesetz eine Rolle gespielt haben, das Unternehmen erheblich mehr Verantwortung für die Sicherheit ihrer kritischen IT-Infrastruktur auferlegen wird als bisher?

Martin Geier: Noch ist dieses Gesetz ja gar nicht verabschiedet. Was am Ende drin steht, wird man dann sehen. Wir haben uns zu dieser Zertifizierung entschlossen, weil unsere Kunden diesen Wunsch geäußert haben, und weil es zu unserer Philosophie gehört, unseren Kunden zuzuhören.

silicon.de: Wie schnell wachsen Sie in Deutschland und welche Kundenwünsche werden Sie als nächstes erfüllen?

Martin Geier: Wir sprechen über neue Features öffentlich immer erst dann, wenn sie unsere Kunden nutzen können. Wachstumszahlen für Deutschland veröffentlichen wir nicht. Amazon wird im Rahmen seiner Quartalsberichterstattung zum ersten Quartal 2015 Ende April, zum ersten Mal separate Zahlen AWS global ausweisen, auf die sind wir selbst schon sehr gespannt.

silicon.de: Herr Geier, wir Danken für das Gespräch.

 

 

Tipp: Sie interessieren sich für AWS und Cloud-Dienste? In unserer Serie über Desktop und Workspace as a Service, finden Sie Marktübersichten und Vergleiche von Leistungsmekrmalen aller derzeit in Deutschland verfügbaren DaaS- und WaaS-Angebote:

Der Endgerätetyp wird für die WaaS-Nutzung bedeutungslos

Desktop-as-a-Service und Management – Selber machen ist Trumpf

Desktop-as-a-Service: Sicherheit und Verfügbarkeit wird immer besser 

Kleiner Wegweiser durch den Microsoft-Lizenzdschungel

Workspaces: Für jeden Leistungsbedarf die richtige Ausrüstung

Desktop-as-a-Service: Welcher Anbieter hat die beste Infrastruktur?

Desktop-as-a-Service: Verträge gründlich verhandeln und lesen!

WaaS und DaaS: Anbieter und -Produkte im Überblick

Office-365-Anwender überwiegend zufrieden