Webdesign: Die Entmündigung des Nutzers

Webdesign (Bild: Shutterstock/PureSolution)

Alle großen IT-Hersteller haben in den letzten Jahren ihre Websites modernisiert. Doch Bedienfreundlichkeit und Informationswert sind schlechter als je zuvor. Der Nutzer wird mit Bilderorgien überwältigt und zum Kleinkind degradiert.

Schon als kleiner Junge war ich Kinofan. Immer samstags um halb drei lief die Jugendvorstellung im “Filmtheater” um die Ecke. Da habe ich praktisch alle Filme mit Winnetou gesehen. Großes Erlebnis, wenn der rote Vorhang aufging. Zuerst kamen die Banditen mit dem Oberschurken Santer, überfielen unschuldige Farmer und entführten die schöne Tochter. Doch dann setzte eine majestätische Musik ein und Winnetou mit seinem Freund Old Shatterhand kam daher geritten.

Gemeinsam verfolgten sie die Banditen, Silberbüchse und Henrystutzen verfehlten nie ihr Ziel, nebenbei rang Old Shatterhand einen Komantschenhäuptling im Zweikampf nieder. Am Ende stürzte der böse Santer mit einem gellenden Schrei in die Schlucht, die Farmerstochter durfte ihren Freund in die Arme schließen und Winnetou ritt mit seinem Freund Old Shatterhand in den Sonnenuntergang. Da war ich froh.

Internet und Breitwandkino

Ein bisschen wie im Kino fühlt man sich auch heute, wenn man durchs Internet surft. Statt ordentlich strukturierter Websites sieht man nur noch riesige Bilder und wird zugedröhnt mit ungefragt startenden Videos und Hintergrundmusik. Eine Art Möchtegern-Breitwandkino hat den Informationsgehalt der klassischen Website ersetzt. Das gilt leider auch für den Internetauftritt der meisten IT-Anbieter.

Die Website von Cisco, Africa sieht genauso aus wie die ...
Die Website von Cisco, Africa sieht genauso aus wie die …

Wer sich die Veränderungen bewusst machen will, muss nur einmal auf Internet Archive eine Firmen-URL in das Suchfenster von “Wayback Machine” eingeben. Da kann man sehr schön sehen, wie sich das Design der Webseiten seit Mitte der Neunzigerjahre bis zum heutigen Tag verändert hat.

 ... Website von Cisco, Deutschland und die ...
… Website von Cisco, Deutschland und die …

In den vergangenen 20 Jahren hat das Web mehrere Modernisierungswellen erlebt. Am Anfang ging es nur darum, eine irgendwie gestaltete Seite ins Web zu stellen, um präsent zu sein.

Dann, etwa zum Ende der Neunzigerjahre, setzte die Professionalisierung ein. Unternehmen legten Wert auf Übersichtlichkeit. Der Anwender navigierte durch Menüleisten oder Rubriken und wusste beim Surfen immer wo man war. Die gesuchten Informationen, beispielsweise technische Daten von Produkten, ließen sich auf diese Weise relativ schnell finden. Lange Zeit blieb das so.

Meiner Erinnerung nach setzte vor sechs oder sieben Jahren eine weitere Modernisierungswelle ein, die inzwischen abgeschlossen ist.

... die Website von Cisco Ägypten (Screenshots: Mehmet Toprak).
… die Website von Cisco Ägypten (Screenshots: Mehmet Toprak).

Heute sind Websites wie Breitwandkino, statt Menüleisten und Kategorien gibt es riesige Bilder. In der Regel muss man sehr lange scrollen, um den ganzen Inhalt einer Website zu erfassen.

Websites als Breitwandkino, Unübersichtlichkeit ist Trumpf. Ganz wie im Kino geht es darum, den Besuchern Geschichten zu erzählen und nicht darum, Informationen zu vermitteln.

Uniformität statt Individualität

Noch etwas fällt auf. Es ist ja heute viel die Rede von der Unterschiedlichkeit der Kulturen. Doch die Internetauftritte der großen Hersteller haben praktisch alle dasselbe Layout, und auch die Fotos sehen alle ähnlich aus. Wegen dieser Uniformität unterscheiden sich die Websites ganz unterschiedlicher Unternehmen wie Microsoft, Intel, Cisco oder SAP inzwischen kaum noch.

Dem Kunden wird einerseits ständig Individualität und Flexibilität versprochen, doch Layout und Anmutung der Unternehmensauftritte sind uniform. Das gilt übrigens auch für den Webauftritt in unterschiedlichen Ländern. Wer sich die Websites von Microsoft oder Cisco in Deutschland, Afrika oder Asien ansieht, findet überall dasselbe.

 Die Website von Intel, Deutschland sieht genauso aus wie die  ... (Screenshot: Mehmet Toprak)
Die Website von Intel, Deutschland sieht genauso aus wie die … )
... Website von Intel Kanada. (Screenshot: Mehmet Toprak)
… Website von Intel Kanada …
... und die Website von Intel Taiwan (Screenshot: Mehmet Toprak).
… und die Website von Intel Taiwan (Screenshots: Mehmet Toprak).

Automatik statt selber surfen

Nervtötend sind auch die ständigen Automatismen im Web. Triviale Imagevideos, die ungefragt starten, trashige Hintergrundmusik, die ohne Vorwarnung losdudelt. Wer die Maus nur ein bisschen nach links oder rechts bewegt, löst schnell einen Mouse-Over-Effekt aus, und irgendein grafisches Element oder ein Textkasten schiebt sich ins Bild. Navigieren mit der Maus wird zum Spießrutenlauf zwischen den Mouse-over- und Rollover-Effekten.

Wegen all dieser HTML-Eskapaden dauert es heute deutlich länger als noch vor zehn Jahren, an die gewünschten Informationen zu kommen. Man wird das Gefühl nicht los, dass es den IT-Anbietern im Web gar nicht mehr darum geht, die Besucher ihrer Website zu informieren, sondern mit einer Flut von Multimedia-Müll (Bilder, Musik, Videos) zu überwältigen. Auf diese Weise wird der Anwender oder Kunde degradiert und entmündigt.

Nicht besonders schön, dafür übersichtlich: Microsofts Auftritt vom Mai 1999. (Screenshot: Internet Archive Wayback Machine).
Nicht besonders schön, dafür übersichtlich: Microsofts Auftritt vom Mai 1999. (Screenshot: Internet Archive Wayback Machine).

Kommandoton in der Kundenansprache

Zu dieser Entmündigung des Anwenders gehört auch der Befehlston, mit dem man auf Websites angesprochen wird. Beispielsweise, wenn die Vorteile und Features einer Lösung oder eines Produkts geschildert werden. Da heißt es: “Melden Sie sich an …”, Nutzen Sie die …”, “Verschaffen Sie sich einen Überblick …”, “Optimieren Sie … “Erhalten Sie …”.

Das passt gut zum Befehlston, den auch Facebook gerne pflegt: “Wünsche Deinen Freunden alles Gute zum Geburtstag”, um nur ein Beispiel zu bringen.

Design und Marketing ersetzt Information

Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, dass Unternehmen ihre Websites optisch auf dem neuesten Stand halten und sich dabei an Trends und Moden anpassen. Und sicher spielt es eine Rolle, dass die Websites auch auf Smartphones und Tablets gut aussehen müssen.

Problematisch wird es aber, wenn der visuelle Ehrgeiz von Designern und Marketingagenturen wichtiger ist als der eigentliche Zweck einer Website. Der sollte zum großen Teil darin bestehen, die Anwender zu informieren. Und dazu gehört ein Mindestmaß an sichtbarer Ordnung und Struktur.

Schön, aber trotzdem übersichtlich: die aktuelle Homepage von Apple (Screenshot: Mehmet Toprak).
Schön, aber trotzdem übersichtlich: die aktuelle Homepage von Apple (Screenshot: Mehmet Toprak).

Diese Forderung mag manchem spießig und altbacken vorkommen. Doch das dem nicht so ist, zeigt ein Unternehmen, das in Sachen Ästhetik und Multimedia ganz vorne steht, nämlich Apple. Dessen Webdesigner schaffen es seit vielen Jahren, Schönheit, Eleganz und Übersichtlichkeit miteinander zu verbinden. Und niemand würde das Apple-Design für spießig halten.

Bei den Websites von Intel, Microsoft, Cisco, Sony und anderen ist man fürs erste dazu verurteilt, sich die Finger wund zu klicken, bis man an die gesuchten Informationen kommt.

Das ist ein bisschen so wie bei Winnetou und Old Shatterhand, die immer wieder vom Pferd steigen müssen, um mühsam die Spuren zu lesen, die sie am Ende zu den Banditen und dem “Schatz im Silbersee” führen. Aber die Suche nach dem Schatz ist mir im Kino lieber als im Internet.

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