Stefan Pfeiffer

ist Marketing Lead Social Business Europe bei IBM Deutschland und nennt sich selbst "Schreiberling aus Passion".

Das “Zerfledderphänomen” im Social Web

Das Phänomen beschäftigt mich nun schon eine Weile und noch ist keine wirkliche Lösung da: Wer auf verschiedenen Plattformen im Web 2.0 oder Social Web unterwegs ist, merkt schnell, wie Kommunikation und Diskussionen zerfasern oder zerfleddern.

Das geschieht an verschiedenen Stellen. So habe ich in Facebook, LinkedIn, Xing und auch auf Twitter einen Posteingang. Dort werden mir zusätzlich zur normalen E-Mail, Nachrichten zugestellt. Manchmal kann ich die Posteingänge mit Hilfsmitteln kombinieren, mir beispielsweise meine direkten Nachrichten von Twitter auch per E-Mail zustellen lassen. Meist bleiben diese Posteingänge jedoch getrennt. Ich muss alle separat besuchen, die Nachrichten dort abarbeiten und bekomme meine Post ganz sicher nicht mehr konsolidiert. Von Themen wie Compliance, der Notwendigkeit, geschäftsrelevante Mails aufzubewahren, will ich an dieser Stelle lieber gar nicht anfangen.

Das Social Web bringt mir also eine Vielzahl weiterer Posteingänge. Doch nicht nur das. Einer der wesentlichen Funktionen ist ja auch das Publizieren von Beiträgen und die sich hoffentlich daran anschließende Diskussion. Was heißt das konkret an einem Beispiel? Vor einiger Zeit schrieb ich in meinem auf Posterous basierenden Blog einen Beitrag. Der wurde automatisch über die AutoPost-Funktion nach Facebook, Twitter, Google Buzz und auf andere Plattformen publiziert. Ich will mit den Blogbeiträgen ja möglichst viele Leute erreichen.

Das Publizieren von Informationen ist so in Posterous oder über Social-Media-Clients wie Tweetdeck, Hootsuite oder Seesmic unterdessen sehr komfortabel möglich. Mit wenigen Klicks werden Beiträge in verschiedene Kanäle gestreut. Das in Deutschland noch immer führende Geschäftsnetzwerk Xing wird von diesen Social- Media-Clients übrigens nicht unterstützt, da es einerseits wohl ein vor allem nur deutschsprachiges Phänomen ist, amerikanische Hersteller also keine Notwendigkeit sehen, die Plattform zu unterstützen, andererseits die Firmen- und Produktpolitik von Xing lange Zeit nicht offen für andere Tools war.

Den oben genannten Beitrag kommentierten dann Uwe Hauck (@bicyclist) auf Facebook, Martin Koser (@frogpond) auf Google Buzz und Thorsten Zoerner (@zoernert) direkt auf Posterous. Parallel wurden einige Bemerkungen und Kommentare auch im Twitterversum “gezwitschert”. Die Diskussionsbeiträge sind demzufolge zerfleddert in verschiedenen Systemen abgelegt und können nur mit Handarbeit zusammenkopiert werden. Das Gespräch ist zerfasert, da an verschiedenen Stellen diskutiert wird.

Diese anarchische Struktur ist sicher auch eines der Designmerkmale des Web 2.0, aber das “Zerfledderphänomen” stellt in vielerlei Beziehung eine Herausforderung dar. Was also tun? Sich auf einzelne Kanäle konzentrieren? Aus anderen Kanälen bewusst aussteigen? Ein Weg, aber wohl eher mit der Vielfalt leben lernen, scheint mir die Antwort. Und auf neue technische Lösungsansätze hoffen, auch wenn diese für einige Aufgaben noch weit weg zu sein scheinen.

Eine neue Art von Inbox, die soziale Inbox, scheint mir zumindest am Horizont in nicht allzu großer Ferne zu sehen sein. Die Activity Streams, die ich auf der Lotusphere sehen durfte, zeigen, wie Informationen, Aufgaben und Nachrichten aus verschiedensten Systemen, von E-Mail bis SAP in einen Stream zusammenlaufen können. Besonders wichtig ist dabei, dass diese Informationen nicht nur gesehen, sondern auch direkt bearbeitet werden können (inplace editing). Das Konzept der Activity Streams könnte also der Posteingang der Zukunft sein, ein Posteingang, der aber nicht nur E-Mail-Kommunikation abdeckt, sondern stattdessen viele soziale Funktionen bietet. Ein Beispiel dafür ist die ShareBox, die es direkt ermöglicht, beliebige Inhalte mit anderen zu teilen.

Das Problem der verschiedenen Posteingänge scheint also lösbar, ja sogar erweiterbar zur universellen Inbox mit zusätzlichen Funktionen, wodurch ich nicht mehr wie heute in verschiedenste Systeme springen muss, um Aufgaben zu erledigen. Dies könnte zu einem deutlichen Produktivitätsschub führen und ich bin gespannt, wann welche Streams in diese neue Inbox integriert sein werden. Das Toolkit dafür steht ja schon zur Verfügung.

Was ist aber mit der oben beschriebenen zweiten Herausforderung? Wie bekomme ich verschiedene Diskussionsstränge zusammen, die in verschiedenen Systemen im Web 2.0 voneinander losgelöst geführt werden? Ansätze wie das Salomon-Protokoll, auf das mich Martin Koser aufmerksam gemacht hat, scheinen mir doch sehr weit weg von einer Verbreitung und Realisierung.

Was mir jedoch ein zu prüfender Weg sein könnte, ist das Konzept von Social Analytcis. Hier wird analysiert, an was jemand gerade arbeitet. Aufgrund dieser Informationen werden ihm per Social Analytics dazu passenden Informationen eingeblendet, die in dem speziellen Arbeitszusammenhang relevant sein und bei der Arbeit helfen könnten. Das können Kollegen sein, die sich mit dem Thema als Experten auskennen. Es könnten aber auch dazu passende Blog- oder Wiki-Einträge sein. Diese Funktionen des Predictive Web, wie sie schon in der neuen Version von Lotus Connections zu sehen sind, könnten dabei helfen, Diskussionsstränge und Wissen effizient zusammenzubringen – und das idealerweise direkt in die persönliche Arbeitsumgebung, die universelle, soziale Inbox integriert.

Activity Streams und Social Analytics sind also Funktionen, die die Arbeitsweise im privaten Web 2.0 wie auch – und vielleicht vor allem – in Unternehmen ändern und optimieren können: Eine neue universelle Inbox mit sozialen Funktionen, angereichert und intelligenter gemacht durch Social Analytics. Das ist das, was wir in nicht allzu großer Ferne sehen und benutzen werden.



  1. Tja – vorbei ist vorbei Google Wave
    Ich hatte große Hoffnungen auf Google Wave gesetzt. Mit einer offenen Plattform und benutzerspezifischen Plug-Ins wäre endlich eine vom Anbieter unabhängige Zusammenführung der Kommunikation möglich gewesen.
    Aber, egal warum jeder Anbieter buhlt um "seine" Kunden und will möglichst ein geschlossenes System. Werbeeinnahmen winken.