Maurizio Canton

ist CTO EMEA bei TIBCO Software.

Der Zug nimmt Fahrt auf …

Unterwegs mit dem Internet-of-Things (IoT) zum rundum integrierten Verkehrswesen ist heute Maurizio Canton, CTO EMEA, TIBCO Software.

In letzter Zeit habe ich oft vom Internet der Dinge und davon gesprochen, dass wir erheblich mehr als nur universelle Konnektivität und smarte Geräte benötigen, um vollmundige IoT-Versprechungen wahr werden zu lassen.

So brauchen wir beispielsweise Data Analytics-Lösungen, damit die gigantischen Datenmengen der IoT-Geräte verarbeitet und ausgewertet werden können. Davon ganz abgesehen müssen wir wissen, wozu die Ergebnisse der Datenanalysen eigentlich dienen sollen, und wir benötigen Orchestrierungs- und Automatisierungstechnologien, die den IoT-Systemen ermöglichen, ihre Umgebung zu verstehen, selbstständig zu lernen und autonom zu handeln. Noch wichtiger ist, dass all dies in Echtzeit und über Unternehmens-, Plattform- und Anwendungsgrenzen hinweg geschehen muss, damit das Internet der Dinge sein enormes Potenzial entfalten kann.

Die gute Nachricht lautet: In vielen Fällen können ein und dieselben Enabling-Technologien genutzt werden, unabhängig von der jeweiligen IoT-Anwendung oder dem konkreten vertikalen Markt. Wie überall gibt es aber auch hier Ausnahmen von der Regel. Eine davon ist der öffentliche Personenverkehr mit seiner Vielfalt an Transportmitteln und seinen besonderen Chancen und Risiken, auf die ich im Folgenden näher eingehen will.

ÖPV ist nicht gleich Retail

Die Versuchung ist groß, den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) als bloße Facette der Retail-Welt zu sehen und sich von den verlockenden Vermarktungschancen dieser Welt blenden zu lassen. Schließlich handelt es sich bei den ÖPV-Nutzern um das stationäre Publikum schlechthin, denn die Fahrgäste befinden sich während einer bestimmten Zeit in einem Transportmedium, das sie nicht ohne Weiteres verlassen können (oder wollen).

Stationär sind die ÖPV-Nutzer vielleicht, aber sind sie deswegen auch schon Konsumenten? Vielleicht ist die Sache doch etwas komplizierter.

Die meisten Passagiere sind zu einem bestimmten Zweck unterwegs, sie wollen von A nach B und benötigen dafür ein Verkehrsmittel. Die Entscheidung für den öffentlichen Personenverkehr fällt also nicht ganz so freiwillig und selbstbestimmt wie auf den ersten Blick gedacht. Während IoT-Technologien gut dafür geeignet sind, den Besuchern eines Ladengeschäfts personalisierte Angebote zu machen und sie zu beraten, dürften sich ÖPV-Nutzer sehr viel weniger von Aspirational Marketing, Schnäppchen usw. beeinflussen lassen. Dazu kommt, dass die Fahrgäste eine Dienstleistung und keine Ware kaufen. Das größte IoT-Potenzial besteht folglich darin, ihre Erwartungen an diese Dienstleistung zu erfüllen oder gar zu übertreffen.

Genau hier kommen smarte Sensoren ins Spiel. Verkehrsunternehmen könnten damit ihre Transportmittel überwachen und verfolgen, um so nicht nur die Fahrgäste über Verzögerungen und Fahrplanänderungen zu unterrichten, sondern ihre Dienstleistungen im Bedarfsfall dynamisch anpassen zu können. Auf diese Weise lassen sich die Auswirkungen von Betriebsstörungen minimieren, unerwartete Nachfragespitzen abfedern, Nutzungstrends frühzeitig erkennen und generell Verkehrsressourcen effizienter einsetzen – kurz: bessere Dienstleistungen erbringen und loyale Kunden schaffen, die gerne wiederkommen.

Ein komplexes Puzzle aus vielen Teilen

Dass die möglichen Vorteile des Internets der Dinge auch den großen Verkehrsunternehmen nicht verborgen geblieben sind, beweisen die Echtzeit-Anzeigetafeln an Bushaltestellen, in Bahnhöfen und Flughäfen ebenso wie die vielen Apps, die den ÖPV-Nutzern vor und während ihrer Fahrt/Reise aktuelle Informationen zur Verfügung stellen. Auf dem Fundament des IoT lässt sich aber noch viel mehr erreichen, zum Beispiel ein engerer Datenaustausch mit anderen Dienstleistungsanbietern, um den Fahrgästen insgesamt eine möglichst angenehme Mobilitätserfahrung zu bieten.

Auf ihrem Weg vom Start zum Ziel müssen Reisende häufig die Route und/oder das Verkehrsmittel wechseln. Die Koordination dieser Übergänge ist nicht immer einfach, und obwohl das IoT auch hier hilfreich sein kann, besteht der wichtigste Enabler aus gemeinsamen APIs, mit denen die einzelnen Verkehrsanwendungen untereinander Informationen austauschen können. Denken wir uns dazu eine Orchestrierungsschicht, mit der auf Echtzeitereignisse reagiert werden kann, dann entstehen ganz neue Möglichkeiten. So könnten die Fahrgäste bei größeren Verzögerungen zum Beispiel Umbuchungen vornehmen, unabhängig von der Anzahl der Reiseabschnitte oder den involvierten Verkehrsmitteln. Betroffene könnten über Beeinträchtigungen informiert werden und die für sie geeigneten Alternativen auswählen oder Wegbeschreibungen und Karten angezeigt bekommen, um auf einer neuen Route an ihr Ziel zu gelangen.

Einbindung weiterer Akteure

Jenseits der obigen Vorteile können dieselben Enabling-Technologien auch wertschöpfend wirken, indem sie den Zugang zu anderen Dienstleistungen promoten und ermöglichen – sei es in Form von Taxi-, Restaurant- und Hotelbuchungen an Verkehrsknotenpunkten und in Terminals oder als Zugang zu den Informationssystemen von Bahnhöfen und Flughäfen. Das Ganze hat viel Ähnlichkeit mit der zielgerichteten Bewerbung von Waren im Retail-Sektor, ist jedoch durch die Analyse der Echtzeitfahrtdaten zwischen Ausgangs- und Endpunkt sehr viel enger an die Kundenbedürfnisse gebunden.

Allgemeiner gefasst, könnten ein und dieselben Enabling-Technologien auch zur Automatisierung von Prozessen dienen, die weiter unten in der Logistikkette angesiedelt sind. Die Bestellung von zusätzlichen Waren bei unerwarteten Nachfragespitzen, die Umleitung von Kraftstofflieferungen als Reaktion auf Routenänderungen und die Anpassung der Frachtkapazität sind hier nur einige Beispiele von vielen.

Es gibt zahllose Möglichkeiten, und die Technologien zu ihrer Realisierung stehen bereits heute bereit. Das ändert allerdings nichts daran, dass wir sehr viel mehr als nur smarte IoT-Geräte und bessere WLANs benötigen, um aus Wünschen Wirklichkeit werden zu lassen.