Michael Koch

ist freiberuflicher SAP Mentor und Wahlengländer. Besonders gerne schreibt er über sein Lieblingsthema mit den drei Buchstaben.

Modifizierungen – ERP im kleinen gallischen Dorf?

Die Problematik ist so alt wie Standardsoftware in Unternehmen selbst: Einerseits wollen Kunden ihre Prozesse und Software so eng wie möglich zusammenbringen. Andererseits warnen Standardsoftwarehersteller wie SAP vor umfangreichen Kundenmodifizierungen, da diese zukünftige Upgrades gefährden oder gar unmöglich machen könnten.

“So wenig wie möglich, so viel wie nötig”

Ende der 90er Jahre lernte ich in meiner Arbeit als SAP-Entwickler sehr schnell die Goldene Modifikationsregel “so wenig wie möglich, so viel wie nötig”. Zudem bewarb die SAP zunehmend Themen wie “Best Practices”, um Kunden von ihrer Sichtweise der Dinge – und Prozesse – zu überzeugen. Und das aus gutem Grunde: der Walldorfer Konzern hat schließlich Einsicht in viele verschiedene Unternehmensprozesse und Wertschöpfungsketten, auf denen Best Practices beruhen.

Wir wollen (ein bisschen) anders sein. Aber wie?

Mitte des vergangenen Jahrzehnts schien es, als ob die Protagonisten der modifikationsfreien SAP ERP-Systeme gesiegt hätten. Indes formte sich bei einigen Kunden die Sichtweise, dass eine SAP-Implementierung dem Übergießen der Unternehmensprozesse mit Beton gleichkäme. Auf der einen Seite war dieser Vergleich, wie ich finde, immer leicht überzogen. Andererseits stellt sich aber natürlich schon die Frage, wo IT-bezogener Wettbewerbsvorteil herkommen soll, wenn mehr und mehr Unternehmen die gleiche Software benutzen und diese wenige oder gar keine Modifizierungen zulassen.

Aus einem am 16. Februar 2011 von Eric Kimberling (Panorama Consulting, Denver, CO) veröffentlichen Bericht zu einer von Panorama gehaltenen Umfrage geht hervor, dass im Vergleich zum Vorjahr mehr Unternehmen denn je ihre ERP-Standardsoftware wieder anpassen. Von 185 befragten Unternehmen mit ERP-Implementierungen beließen nur 15 Prozent die Standardsoftware im Auslieferungszustand, während es 2009 noch 28,3 Prozent waren.

Ich denke, man muss diese Ergebnisse u.a. im Zusammenhang mit den anderen Analyseresultaten sehen:

  • Kürzere Implementierungsprojektlaufzeiten: wenn weniger Zeit für die Einführung verwendet wird, bleibt mehr für die Modifizierungen
  • Mehr Einführungen mit Business Case: es liegt auf der Hand, dass Kunden, die eine genaue Vorstellung vom Nutzen ihres zukünftigen Systems haben, auch bei den Modifizierungen besser vorbereitet sind

Hinzu kommt außerdem, dass zum Beispiel im Bereich des SAP ERP-Systems die Werkzeuge für standardkonformes Modifizieren zuverlässiger geworden sind, mehr Freiraum geben, aber dennoch zukünftige Upgrades nicht gefährden. Es ist allerdings wichtig zu bemerken, dass die Qualität der Berater, die diese Anpassungen vornehmen, von großer Wichtigkeit ist. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt!

Eine Zukunft ohne Modifikationen?

Interessant sind diese Umfrageergebnisse auch vor dem Hintergrund von ERP Software-as-a-Service (SaaS), welche mehr und mehr von Softwarehäusern propagiert wird. Genau diese Cloud-basierten SaaS Systeme – wie z.B. SAPs Business ByDesign – sollen im Kern jedoch nicht modifizierbar sein. Als Gründe hierfür werden seitens der SAP Stabilität und Erweiterbarkeit genannt. Ob Kunden dieses Produktes keine Anpassungen benötigen steht auf einem anderen Blatt. Man muss allerdings berücksichtigen, dass SAPs ByDesign ein Produkt für kleine bis mittlere Unternehmen ist und durch ein sogenanntes SDK (Software Development Kit) im gewissen Rahmen von SAP-Partnern erweitert werden kann.

Wohin geht die Reise?

Man könnte behaupten, dass Unternehmen wieder “ihr” System haben wollen. Greifen IT-Abteilungen u.a. nicht auch zur Entwicklungswerkzeugkiste, weil sie ihren ERP-Systemen einen Prozess-Schliff verpassen sollen, die dem Gesamtunternehmen wieder Wettbewerbsvorteile geben? Egal wie gut und anpassungsfähig ERP-Software in den kommenden Jahren werden wird, das Motto “so wenig wie möglich, so viel wie nötig” wird uns wohl immer begleiten.