Heinz Paul Bonn

ist Gründer des Kölner ERP-Spezialisten GUS Group. Der Buchautor und Blogger ist Ehrenmitglied und Vorsitzender des Forums Mittelstand im BITKOM.

Watson! Watt sonst?

Cognitive Computing nennt IBM selbst das System, das in der Lage ist, aus unstrukturierten Daten empirisches Wissen zu ziehen und damit Handlungsempfehlungen auszusprechen. Dass das mehr als nur ein riesiges Arbeitsfeld ist, weiß auch silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn.

Kommt eine Grundschullehrerin zu Watson und will fragen…, kommt aber nicht dazu, weil IBMs künstlicher Intelligenzler ständig seine Vorzüge vorstellen muss. Schließlich unterbricht sie ihn (also eigentlich “es” statt “ihn”, so weit wollen wir es mit der Vermenschlichung für AI-Computer nun doch noch nicht treiben) mit einer herrischen Geste und platzt heraus. “Was muss ich tun, damit die Kinder auch mal still sind?” – Watson schweigt lange und antwortet schließlich: “Zu dieser Frage ist mir keine Lösung bekannt.”

IBM Watson (Grafik: IBM)

Dies ist einer von vielen Werbespots, mit denen IBM ihren zentralen Hoffnungsträger, das Expertensystem Watson, der Menschheit näher bringen möchte. Cognitive Computing nennt IBM selbst das System, das in der Lage ist, aus unstrukturierten Daten empirisches Wissen zu ziehen und damit Handlungsempfehlungen auszusprechen. Und das ist ein riesiges Arbeitsfeld. Denn trotz der alles speichernden und sammelnden ERP-Systeme in Unternehmen, mit denen die Firmenressourcen verwaltet und verplant und damit praktisch jedes Firmengeschehen gesteuert wird, sind es nach Schätzungen von IT-Wissenschaftlern lediglich acht Prozent aller in einer Organisation vorhandenen Daten und Informationen, die in strukturierter Form vorliegen. Alle anderen Daten entziehen sich als Wort oder Bild den Auswertungsmöglichkeiten von klassischen Datenbanksystemen.

Noch. Denn Watson soll nach den Vorstellungen der IBM in all diese Gebiete vordringen und dabei die Möglichkeiten einer In-Memory Datenbank, dem derzeit hellsten Stern am Big-Data-Firmament, hinter sich lassen.

Doch es ist ein weiter Weg bis zum kommerziellen Erfolg, den IBM nach so vielen Quartalen mit Umsatzrückgang und Verlusten so dringend benötigt. Vor gut einer Dekade begannen IBMs erste Versuche im Gesundheitswesen, die inzwischen – nach jahrelangem Input von Anamnesedaten und Diagnosen und der kontinuierlichen Verbesserung der Denkleistung von Watson und seiner Vorgänger – zu nennenswerten Ergebnissen bei der Identifikation seltener Krankheitsbilder führen.

In IBMs Watson sollen ab Herbst monatlich bis zu 15.000 sicherheitsbezogene Dokumente eingespeist werden, um neue Optionen in der Bekämpfung von Cybergefahren zu eröffnen (Bild: IBM).
In IBMs Watson sollen ab Herbst monatlich bis zu 15.000 sicherheitsbezogene Dokumente eingespeist werden, um neue Optionen in der Bekämpfung von Cybergefahren zu eröffnen (Bild: IBM).

Neben vornehmlich humanen Projekten im Gesundheitswesen gibt es inzwischen auch handfeste monetär orientierte Kunden. Zum Beispiel Talkspace, das mit CaféWell eine Online-Plattform für die wachsende Zahl der Selbstoptimierer bereithält. Wer Ratschläge und Trainingstipps für sein individuelles Gesundheitsprogramm wünscht, kann hier auf Watsons Wissen zurückgreifen. Das kognitive System hilft auf einer anderen Plattform dabei, für Online-Gesprächstherapien den richtigen (menschlichen) Therapeuten zu finden.

Versicherungen, Ingenieurbüros, Online-Plattformen, Autobauer – sie alle erkennen in Watson ein System, das dabei hilft, firmeninternes Know-how zu bewahren, zu sortieren, auszuwerten und verfügbar zu machen. Jetzt haben sich acht Universitäten zusammengeschlossen, um Watson mit Informationen zu Cyber-Attacken zu füttern. Im Ergebnis soll Watson – Schritt eins – vor Cyber-Attacken warnen, im zweiten Schritt Cyber-Attacken abwehren helfen. Dies wäre in der Tat ein Multimilliarden-Business, das nach einer Lernphase von gut einem Jahr in Angriff genommen werden soll.

Offen ist freilich noch, wie das Watson-Ecosystem, das innerhalb von IBM durch Lauri Saft vertreten wird, finanziell funktionieren soll. Wo liegen die Geldströme, mit denen Big Blue wieder zum Darling der Aktionäre werden möchte? Über die “Watson Developer Cloud” können Entwickler auf die APIs zurückgreifen, die IBM (das hätte es früher nicht gegeben!) offengelegt hat. Anders als Apple oder Google hofft IBM nicht auf Hunderttausende von Apps mit minimal invasiver Wirkung, sondern auf die mobilen Anwendungsfälle, die Hunderttausende von Spezialisten noch besser, noch effizienter, also maximal invasiv machen sollen. IBM kehrt damit nach einer langen Irrfahrt durch das Me-Too-Business zu dem zurück, was Big Blue einmal groß gemacht hat: Das tun, was andere nicht tun können.

Nur, der Anbietermarkt hat sich geändert: Mit Amazon, Google, Microsoft sind viele unterwegs, die in künstlicher oder kognitiver Intelligenz promovieren und einen Milliardenmarkt anstreben. Der Wettbewerb ist schon heiß gelaufen. Doch für IBM ist Watson die letzte verbliebene Trumpfkarte. Die einzige Antwort, die Watson auf diese Frage hat, lautet: “Watson! Watt sonst?”