Heinz Paul Bonn

ist Gründer des Kölner ERP-Spezialisten GUS Group. Der Buchautor und Blogger ist Ehrenmitglied und Vorsitzender des Forums Mittelstand im BITKOM.

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war…

silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn setzt sich noch einmal mit den Konsolidierungsprognosen eines John Chambers auseinander. Denn auch Größen wie IBM, SAP, Microsoft und natürlich auch Cisco müssen sich ständig neu erfinden, denn Leistungen der Vergangenheit gelten in der Zukunft wenig.

“Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben”, gestand der feinsinnige Albert Einstein, der zugleich feststellte, dass Gleichungen für die Ewigkeit gemacht sind (also auch für die Zukunft). Politik dagegen schaue nur auf die Gegenwart. Der vollmundige John Chambers, Chef des Netzwerkausrüsters Cisco, hat letzte Woche eine solche Gleichung für die Ewigkeit gefunden und musste sich gleichzeitig mit einem äußerst gegenwärtigen politischen Problem auseinandersetzen…

Die Gleichung, die Chambers als Keynote-Speaker auf seiner Hausmesse in San Francisco aufstellte, besagt, dass von den derzeit führenden globalen IT-Ausrüstern in den nächsten fünf Jahren nur drei überleben werden. Wobei man zugeben muss, dass diese Aussage so falsch nicht sein kann, denn relativ gesehen wird es naturgemäß immer drei geben, die das Spitzentrio bilden.

Diese “Spezielle Relativitätstheorie der globalen Dominanz” ergänzte Chambers dann auch um eine “Allgemeine Relativitätstheorie”, in der er postulierte, dass diese Entwicklung für alle Branchen gelte. Auch das wird so falsch nicht sein, angesichts der allgemeinen Tendenz innerhalb der Top Ten einer jeden Branche, sich gegenseitig aufzukaufen. Vor allem in der Pharma-Industrie, der Elektronikbranche und im Anlagenbau ist dies derzeit zu beobachten. Und überall gilt zudem: Wer nicht innoviert, wird nivelliert.

Dabei ist die Digitalisierung der Geschäftsprozesse – ob wir es nun Industrie 4.0, Internet of Everything oder Big Data Analytics nennen – in der Tat eine derart fundamentale Innovation, dass sich jeder Player in jeder Branche neu orientieren muss. Wer sich nicht nach ihr ausrichtet, ist schnell im Digital der Tränen. Deshalb ist das Innovieren auch heilsamer als Fusionieren.

Wer wüsste das besser als die alten Haudegen der IT-Branche – IBM, HP, SAP, Oracle, Microsoft, Apple und (einverstanden!) Cisco. Sie alle haben schon viele Blogs damit gefüllt, dass sie sich kontinuierlich und gekonnt immer wieder neu aufstellen und so disruptiv neu erfinden. Sie tun es auch gegenwärtig. Chambers ergänzte seine Theorie jedoch um ein Menetekel, indem er die Quartalsverluste von IBM und HP an die Wand malte. Seine Justitiare werden ihn daran gehindert haben, IBM und HP eine Negativbewertung zu attestieren. Aber genau das wollte er offenbar. Dabei übersieht Chambers: Beide Unternehmen hatten sich bereits mehrfach gehäutet, als Cisco überhaupt erst das Licht der Welt erblickte. Nur: Die Leistungen der Vergangenheit kann man nicht auf die Zukunft einklagen, man muss sich immer wieder neu beweisen. Die Adaption der Digitalen Zukunft haben insofern alle noch vor sich.

Und dies gilt in der Tat für alle Branchen: Wie sich Siemens neu aufstellt, Bosch plötzlich seine mit Siemens geteilten Hausgeräte wieder sexy findet, weil die Hausvernetzung eben auch zum Internet of Everything gehört, sind Lehrstücke des Neu-Sich-Entdeckens, denen wir live beiwohnen dürfen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Logistik, der Publizistik und vieler anderer Branchen findet parallel dazu statt. Und am Ende gilt auf jeden Fall die Chambers-Hypothese: Es wird immer drei geben, die auf Treppchen kommen.

Ob Cisco auch dazu gehört? Chambers ist davon überzeugt, dass – vorausgesetzt man wird so leicht und einfach wie Apple – die Digitalisierung der Geschäftsprozesse einen globalen Ausrüster für die Vernetzung von Everything benötigt. Ob es tatsächlich Cisco sein wird, hängt unter anderem davon ab, ob Cisco sich des Konkurrenzmodells von VMware, nämlich der Billig-Vernetzung unter dem Kürzel SDN (software-definiertes Netz) erwehren kann, indem es zum Beispiel mit einem Alternativ-Angebot rüberkommt. Das wäre dann aber nicht Innovation, sondern Imitation.

Dass Chambers die Ellison-Nummer gibt und wie der Oracle-Chef die gesamte Konkurrenz erst einmal in Grund und Boden redet (mit Ausnahmen von Apple immerhin), dürfte mit einer handfesten Krise der Gegenwart zu tun haben, von der es abzulenken gilt – jedoch nicht in diesem Blog:

Glen Greenwald, der Verwalter und Verwerter der Snowden-Dokumente, behauptet in seinem Buch “No Place to Hide“, dass die NSA Cisco-Produkte abfängt, um Hintertüren zum Ausspähen der Kommunikation einzubauen. Ähnliche Vorwürfe sind auch über Huawei und die chinesischen Behörden zu lesen. Das Beweisstück, zwei Fotos, die im letzten Monat durchs Internet tickerten, nahm Chambers jetzt zum Anlass, US-Präsident Obama einen Klagebrief zu schreiben: “Wir können so einfach nicht arbeiten…”, schreibt er. Eine Antwort des Präsidenten steht noch aus, sie wird aber auch nicht direkt mit Spannung erwartet. Ärger mit den Behörden – auch da können IBM und HP ein Lied singen. Auch da hilft nur ein Mittel: Innovation. Sonst ist die Zukunft echt nicht mehr, wie sie einmal hätte gewesen sein können.