Wieviel ein Kunde wert ist, bestimmt bei der Post das Scoring

Welchen Kunden sollen welche Produkte angeboten werden? Die Philatelie-Abteilung der Deutschen Post implementiert IT-basierte Identifizierungsmethoden

Welchen Kunden sollen welche Produkte angeboten werden? Mit welcher Art Marketing-Kampagne sollen sie angegangen werden? Business Intelligence (BI) in Form von statistischen Verfahren und Data Mining sind die Möglichkeiten, die ein funktionierendes Data Warehouse und gute Datenqualität bieten können. ‘Scoring’ heißt das magische Wort bei der Philatelie-Abteilung der Deutschen Post, die jetzt mit IT-basierten Methoden Kundenpotenzial identifiziert.
Doch erst mussten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. “In die Verbesserung unserer Datenqualität haben wir in den vergangenen Jahren sehr viel investiert”, erklärt Johann Domogalla, IT-Chef des Geschäftsbereichs Philatelie  bei der Deutschen Post. “Heute ist unsere Datenbasis tatsächlich verwendbar.”

Der Geschäftsbereich Philatelie der Post AG beschäftigt zurzeit 451 Mitarbeiter. Davon arbeiten 31 in Bonn und 420 in Niederlassungen. Es gibt 72 Produkte beziehungsweise Produktgruppen. Dazu gehören in erster Linie Briefmarken: Grafische Editionen, Jahresausgaben-Abo, gestempelte Postwertzeichen und Numisblätter. Das Sortiment umfasst zudem Artikel wie Kalender, Bierkrüge, Medaillen und Münzen, aber auch exotischere Dinge wie Bahnpostmodelle. “Denn bis vor sechs oder sieben Jahren haben noch Bahnpostwagen existiert,” erläutert Domogalla.

Die Artikelanzahl scheint überschaubar. Aber die Post-Philatelie weist ein enormes Aufkommen an Werbeaktionen auf, ebenso wie einen voluminösen Kundenstamm. Der IT-Verantwortliche zählt pro Jahr 220 Werbeaktionen. Davon dienen 100 der Gewinnung von Neukunden. Die Adressen oder Zielgruppenabschnitte dafür kauft die Post wie andere Unternehmen auch ein, beispielsweise von Adressenhändlern wie Schober oder auch von Publikationen wie der Abendzeitung. Die jährlichen Werbeaussendungen belaufen sich auf 5,1 Millionen Stück und sie erreichen 1,5 Millionen Einzelkunden. Im Kundenstamm allein befinden sich somit rund 680.000 Abonnenten von Jahresbüchern, Ersttagsblättern sowie von aktuellen Briefmarken und Münzen.

Die Kosten müssen sinken

Das Scoring braucht der Philatelie-Geschäftsbereich, um die Menge der Aussendungen und Streuverluste zu reduzieren. “Außerdem”, ergänzt Domogalla, “waren potentielle Kunden unzufrieden durch den Beschuss mit zuviel Werbung. Die Kunden waren sauer und uns hat es zuviel Geld gekostet.” In diesem Jahr hat erstmalig ein Cross-Selling stattgefunden, mit dem das Domogalla-Team vielversprechende Stammkunden herausfilterte. Ein hoch bewerteter Münzsammler neigt eher dazu, nicht nur Münzen sondern auch beispielsweise Bierkrüge zu kaufen, als einer mit einer geringer eingestuften Affinität.

Wie der Marketing-Experte erläutert, war in der Vergangenheit die Alternative zum Scoring “ein Bauchgefühl”. Das allerdings habe durchaus funktioniert, greift Domogalla möglicher Kritik vor. Es ließ sich auch deduktiv und ohne Tools aus der Kundenhistorie ableiten, wer vermutlich noch einmal ein Philatelie-Produkt erwerben würde.

Das Ziel aber der im vergangenen Jahr initiierten Verbundverkaufsanalyse bestand darin, in der Stammkundenwerbung Aktionen für neue Zielgruppen zu ermitteln und potentielle Kunden mittels der Ergebnisse zu bewerten. Dafür sollten für die Bestandskunden Score-Werte für die Cross-Selling-Affinität je Produkt oder Produktgruppe errechnet und im Oracle-Data-Warehouse hinterlegt werden. Ermittelt wurden Kunden für zehn Kampagnen im Jahr 2003 und zehn Produkte. Die Kunden durften diese Artikel bisher nicht gekauft haben und trotzdem sollte eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sie diese kaufen würden.

Die Herausforderung bestand darin, dass sowohl unbekannt war, welche Produkte sich für Cross-Selling-Aktivitäten eignen, als auch welche Kundengruppen geneigt sind, zusätzliche Ware zu kaufen.

Vor dem Ergebnis stehen viele Tabellen und Listen

Um die Produkte und die Kunden grundsätzlich zu klassifizieren, erstellte Domogalla eine Ja-Nein-Liste, in der die jeweiligen Schlüssel entweder eine 1 oder eine 0 bekamen. Daraus ergab sich eine Kunden-Produkt-Datenmatrix, über die sich so genannte Lift-Werte für alle Produktkombinationen ermitteln ließen. Darunter versteht man die Werte, die sich ergeben, wenn die bisher nur mit 0 und 1 bewerteten Produkte miteinander kombiniert werden.

Der Lift-Wert zweier Produkte sagt aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass zwei verschiedene Produkte grundsätzlich vom selben Kunden gekauft werden. Zum Beispiel erhielt die Kombination Grafische Editionen und Jahressammlung einen Lift-Wert von 28,16. Die Kombination von Sonderprodukten und Weihnachtsbüchern wies bei 291.000 getätigten Transaktionen den Lift-Wert 72,43 aus.

Die Liftwerte wurden anschließend kundenbezogen auf die einzelnen Produkte zugeordnet und Scoring-Werte pro Kunde und Produktgattung ermittelt. So weist zum Beispieldie Kundennummer 1062196 bei Bahnpost-Modellen einen Scoring-Wert von 1,53 aus. Dieser Zahl errechnet sich aus den Lift-Werten der einzelnen Produkte, die er bisher gekauft hat. Laut Domogalla handelt es sich bei diesem Beispiel um einen niedrigen Wert, der bis auf 100 ansteigen kann. Für eine Kampagne sucht sich das Marketing nun die Kunden heraus, die am meisten Erfolg versprechen.

Auch dazu zitiert Domogalla ein Beispiel. In der Aktion ‘Cross Selling Bierkrüge’ wurden 8433 Kunden mit Score-Werten beworben, die mindesten einen Lift-Wert von 23 hatten. Die Rücklaufquote, also der Faktor, um den sich die Anzahl der Bestellungen nach einer Werbeaktion erhöht hat, beträgt beim Weizenbierglas ‘Postbrauereien II’ das 2,6-fache, die Zahl der Bestellungen hat sich also mehr als verdoppelt.

Somit steht für den Marketing-Spezialisten fest, dass die Methode Score-Werte liefert, die für weitere Selektionen nutzbar sind. Allerdings waren Ermittlung und Auswertung schwieriger, als es in der Darstellung erscheint. Da im Hause ein so spezielles Statistik-Know-how fehlte, suchte sich Domogalla Hilfe bei seinem Softwarelieferanten SAS Institute. Der Philatelie-Bereich setzt den ‘Enterprise Miner’ des Herstellers ein, der hierzulande in Heidelberg angesiedelt ist, sowie die Grundlagen-Technik ‘SAS-Base’. Offenbar hat sich die Anschaffung bereits rentiert. “Obwohl unsere Projekte mit rund 15 Personentagen noch klein sind und die Einführungsaktion noch nicht abgeschlossen wurde, macht sich der von uns geschlossene Rahmenvertrag bezahlt”, so Domogallas Fazit.

Scoring als Finanzprodukt

Übrigens lässt der Begriff ‘Scoring’ derzeit auch bei so manchem Mittelständler die Schweißperlen auf die Stirn treten. Denn im Rahmen der Basel II-Richtlinie, die bei Unternehmensbewertungen und der Vergabe von Krediten die Eigenkapitalanforderungen seitens der Banken neu regelt, müssen die Finanzhäuser auch die Kreditrisiken ihrer Geschäftskunden neu bewerten. Das kann so manche Anleihe kippen.

Den jüngsten Coup in Sachen Basel ll hat derweil das SAS Institute mit dem auf die Finanzbranche spezialisierten Dienstleister Schufa unternommen. Es gibt nun speziell für Retail-Banken eine gemeinsam entwickeltes Kredit-Scoring. Dieses besteht aus dem SAS Data Warehouse sowie dem Entscheidungsmanagementsystem ‘Schufa DSS’.

Interne Kundendaten etwa zum Kontenbestand, Zahlungsverkehr, Kreditantrag oder zu Vertragsstörungen lassen sich damit aus heterogenen Quellen extrahieren, bereinigen und im Data Warehouse miteinander verbinden. Das Decision Support System (DSS) weist diesen Daten dann ein Score-Wert zu, der die Risikoklasse eines Kredits festlegt. So ist es etwa möglich, ausgehend von der Ausfallwahrscheinlichkeit Verlustquoten, Betrag bei Ausfall sowie zu hinterlegendes Eigenkapital auszuweisen.