Google Phone nur eine Software?

Jüngsten Medienberichten zufolge soll das Google Phone gar kein Handy sein, sondern nur ein Betriebssystem, das mit Werbung Geld verdienen soll.

Bernhard Steimel, Sprecher des Bonner Sprachtechnologie-Fachkongresses Voice Days, glaubt aber nicht an den Erfolg eines solchen Modells: “Die Vorstellung, dass die Hersteller sich auf ein fremdes Betriebssystem einlassen, ist absurd. Diese Software wird von Firmen wie Nokia oder Sony Ericsson gehütet wie der heilige Gral, deshalb sind auch alle bisherigen Standardisierungsbemühungen gescheitert. Die Experten, die wir in unserer Mobile-Marketing-Studie befragt haben, bestätigen diese Einschätzung. Fast bei jedem Handyhersteller gibt es unterschiedliche Betriebssysteme und Browserstrategien für das mobile Internet. Zusätzlich fährt jeder Hersteller eine andere Browserstrategie für mobiles Internet. Und schon teilweise innerhalb ihrer eigenen Produktlinie. Die befragten Experten gehen davon aus, dass es weiterhin zehn verschiedene Browsertypen geben wird”, so Steimel. Wahrscheinlich werde Google eine Variante anbieten, die man sehr einfach aus dem Internet auf das Handy herunterladen könne, die dann zum Beispiel werbefinanzierte Telefonie ermöglicht. “Allerdings wird die Reichweite am Anfang nicht so hoch sein, weil die Installationsroutinen nicht für jeden Nutzer einfach zu handhaben sind. Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass sich die Netzbetreiber und Handyanbieter ihr eigenes Grab schaufeln und diese Software vorinstallieren. Hier braucht Google eine Übereinstimmung mit den Handyherstellern und Netzbetreibern”, so Steimel.

Der Kampf um den Handynutzer und die Mehrwertdienste hat nach Marktanalyse von Lupo Pape, Geschäftsführer von SemanticEdge in Berlin, gerade eine äußerst spannende Dimension angenommen. “Apple etabliert mit einem gigantischen PR-Etat das iPhone, Nokia erfindet sich mit seinen Ovi-Diensten gerade neu und kauft für viele Milliarden Navteq. Zudem zirkulieren enorme Gerüchte über das Google Phone. Seit langem schon bemüht sich Microsoft bei den mobilen Endgeräten Fuß zu fassen. Eines ist klar: neue Killerapplikationen sind notwendig, um die Milliardeninvestments beim Kampf der Giganten zu rechtfertigen. Um die Vielzahl der innovativen Anwendungen überhaupt nutzen zu können, braucht es neue Interfaces, die von Jedermann einfach zu bedienen sind. Hier bietet sich Spracherkennung gekoppelt mit Sprachverarbeitung und intelligentem multimodalen Dialogmanagement an. Google forscht mit vielen Experten an einer besseren Spracherkennung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Suchmaschinen-Gigant nur ein Betriebssystem für die mobile Kommunikation bringt”, sagt Sprachdialogexperte Pape.

William S. Meisel, Herausgeber der Speech Strategy News, bestätigt die Prognosen von Steimel und Pape: “Schon jetzt bietet Google in den USA einen kostenfreien experimentellen Sprachservice unter dem Namen ‘Google Voice Local Search’ an. Unter der Nummer 1-800-GOOG-411 kann man den Namen eines Unternehmens oder einer Unternehmensbranche in allen Teilen der USA anfragen. Das erfolgt nach der Eingabeaufforderung. Man kann Stadt und Bundesstaat oder wahlweise die Postleitzahl in einem Satz nennen: Nachdem der Anrufer einen Eintrag gewählt hat, hat er in nächster Instanz die Möglichkeit, den Anruf direkt zu tätigen”, erläutert Meisel. Das lokale Suchsystem sei vollständig automatisiert und basiert auf dem Spracherkennungssystem in Englisch. Es liefere die gleichen lokalen Geschäftsinformationen wie Google Maps. Die Ergebnisse werden über das Text-to-Speech-System wiedergegeben und können zudem als SMS auf den Mobiltelefonen abgerufen werden.

In seiner programmatischen Rede bei der Speech TEK-Konferenz in New York untermauerte Mike Cohen, Manager der Speech Technology Group bei Google, das Interesse und das aktuelle Angebot seines Unternehmens für die automatische Spracherkennung. Google habe sich für die Sprachtechnologie entschieden, so Cohen in New York, weil Informationen weltweit organisiert werden müssen. Sie müssen leicht zugänglich und leicht recherchierbar sein. Ferner betonte er, dass eine große Anzahl von Informationen in der Welt gesprochene Informationen sind und daher zum Aufgabenprofil seines Unternehmens zählen. Hierzu gehören auch die Audio-Angebote, die sich immer stärker im Internet ausbreiten. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Rede legte Cohen auf das Marktpotenzial der Dialogsysteme für mobile Endgeräte und hob besonders die experimentelle Business Directory 800-GOOG-411 hervor. Ein Beispiel wäre das Ausfindigmachen eines Lebensmittelladens während der Autofahrt: “Um den Nutzwert des mobilen Endgerätes zu steigern und die wichtigsten Informationen schnell und einfach liefern zu können, ist es besonders wichtig, dass die Anwendung kontextuell, lokalisiert und personenbezogen ist”, kommentiert Meisel die Google-Planungen. Dem automatischen Sprachsystem komme dabei die Aufgabe zu, Informationen auf einem kleinen mobilen Gerät zugänglich zu machen und darüber hinaus eine freihändige und blickfreie Option zu liefern. “Die Nutzererfahrung zu vereinfachen, ist selbst im Web von Bedeutung und Google ist bekannt für das knappe Interface seiner Suchfunktionen. Bei mobilen Geräten ist das Streamlining von noch größerer Bedeutung, besonders dann, wenn die Interaktion komplett von einem Sprachsystem getragen wird, da die Sprachausgabe als Serie verläuft und langsamer als eine Textmitteilung ist”, so Meisel.

Google will nach Einschätzung des Internetexperten Michael Sander einen möglichst großen Kuchen backen und die rund drei Milliarden Handynutzer erreichen. “Der Mountain View-Konzern wird wie beim PC Werbung für den Bildschirm verkaufen – diesmal für das Handy-Display. Die Mobilität sorgt für viel mehr Anlässe zum Suchen. Hier schlummert ein gigantisches Marktpotenzial, das man gar nicht mehr rechnen kann. Die von Google entwickelte Technologie für die automatische Spracheingabe und Sprachausgabe wird dabei zum unverzichtbaren Mittler der mobilen Welt mit dem universellen digitalen Archiv des Internets. Ein geniales, beängstigend einfaches Geschäftsmodell mit nur noch wenigen technischen Hürden und damit einer verdammt kurzen Verfallszeit für die Mobilfunkindustrie”, so das Fazit von Sander, Geschäftsführer der Lindauer Unternehmensberatung Terra Consulting Partners (TCP).