Achim Killers ganz persönlicher WM-Ausblick

Ich halte es für eine ziemlich rohe Form der körperlichen Betätigung, bei der die Akteure auf die Empfindungen anderer Menschen nur wenig Rücksicht nehmen.

Schon vor vielen Jahrzehnten reifte in mir – damals einem sehr ängstlichen Knaben – diese Einschätzung, als ich mich darin versuchte und die größeren und kräftigeren Jungs des öfteren statt den Ball gegen mein Schienbein traten. Diese schmerzhaften Erfahrungen haben meine Beziehung zum Fußball doch stark in Mitleidenschaft gezogen.

Computer wiederum faszinierten mich bereits, als sie in Form der ersten PCs allgemein zugänglich wurden. Im Umgang mit ihnen zählt nicht Körpereinsatz, sondern Wissen und Nachdenken. Sie sind “eine Welt für sich, in der die Logik regiert”, wie es weiland Linus Torvalds so treffend formuliert hat (L.T.: “Just for fun”, 2001, Seite 18). Deshalb bin ich nicht Sportreporter, sondern IT-Journalist geworden.

Jetzt aber veranstaltet ausgerechnet mein Lieblingsauftraggeber, der seit nunmehr über fünf Jahren klaglos Woche für Woche meine Auslassungen über Bits, Bytes, Gott und die Welt per Mail und im Web verbreitet, anlässlich der Fußball-WM ein Tipp-Kick-Turnier. Und er meint, ich könne mich ja auch dazu mal äußern.

Das wirft Fragen auf. Die naheliegendste ist relativ leicht zu beantworten: Doch, die WM hat sehr viel mit Computerei zu tun. Der Verkauf der Tickets war die größte IT-gestützte Sammlung personenbezogener Daten in jüngster Zeit. Und das Turnier selbst wird ein riesiger Feldversuch in Sachen RFID-Technik.

Wenn man wie ich eher ängstlich ist, dann fürchtet man immer, dass solche Überwachungstechnologien in die falschen Hände geraten könnten. Es ist schlimm, wenn irgendwelche Recht-und-Ordnungskräfte einem im Privatleben herumschnüffeln.

Früher musste man ja sogar einen Trauschein vorlegen, wenn man gemeinsam eine Wohnung beziehen wollte. Und daran erinnert doch sehr, dass der DFB die Übertragung von WM-Karten nur “innerhalb rechtlich anerkannter Lebensgemeinschaften” erlaubt.

Heute geht also selbst sowas nur mit Trauschein. Und das ist beängstigend, weil es zeigt, dass mit der FIFA zumindest eine autoritäre Organisation bereits modernste High Tech zur Überwachung von Millionen von Menschen einsetzt.

Ansonsten ist die Frage, ob denn überhaupt eine Beziehung zwischen Fußball und IT besteht, natürlich unsinnig. Es gibt nichts, was keinen Bezug zur WM hätte! Derzeit zumindest.

“Willkommen im Team”, mailte mir unlängst mein Telekommunikationsdienstleister, “holen Sie sich jetzt gratis Ihr Welcome-Trikot und werden Sie Teil des größten Nationalteams aller Zeiten!” Das hat mich schon etwas verwundert – von einem Unternehmen, das ich dafür bezahle, um telefonieren und surfen zu können und nicht dafür, um mich zu Laola-Wellen vorm Flachbildschirm animieren zu lassen.

Besonders gut darin, Bezüge zur WM herzustellen, sind ja Politiker. Wolfgang Schäuble etwa, der Innenminister und Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Offenburg, der Heimat des Verbandsligisten Offenburger FV. Der wollte wegen der Weltmeisterschaft erst das Grundgesetz ändern und diese Woche hat er dann noch erklärt, sie biete “eine Chance für die Integration von ausländischen Bürgern in Deutschland”, wie der Reutlinger General-Anzeiger schreibt.

Inwiefern? – Das sagt er nicht. Aber egal, es klingt gut. Ist ja WM drin.

Noch besser sind eigentlich nur die, die mit Fußball-Muffeln Geld verdienen wollen. So veranstaltet die Frankfurter Oper ein “kulturelles Gegenprogramm” zur WM mit klassischer Musik. Titel des Konzerts “1:0 für Mozart”. Wirklich!

Und Pro7 wirbt mit einem Fernsehprogramm Namens “WM for the girls”. Damit wolle der Sender “die fußballunwilligen, weiblichen Zuschauer mit lederfreien Inhalten durch die Fußball-Weltmeisterschaft begleiten”.

Das ist schon clever. Und das muss man auch sein, wenn man “WM-Brötchen” backen will. So nennen darf man die nämlich wahrscheinlich nicht. Die FIFA hat sich “WM 2006” als Marke eintragen lassen. Ob das allerdings überhaupt geht, darüber befindet derzeit der Bundesgerichtshof.

Die IHK Stuttgart rät deshalb auf ihrer Website zu unverfänglicheren Slogans wie “Wir backen wie die Weltmeister”. Ist ja auch schön. Und wenn jetzt unsere Balltreter noch so kicken…

Was mich persönlich ärgert ist nur: Eigentlich hatte ich gedacht, das sei meine ganz eigene Masche. Man denkelt ein bisschen herum, kommt dabei vom Einen zum Anderen und schreibt es dann auf.

Und auch wenn die Bezüge nicht immer ganz stimmen, interessant ist es auf jeden Fall. Wie Surfen im eigenen Kopf.

Jetzt aber muss ich feststellen, dass andere noch viel abenteuerlichere Zusammenhänge konstruieren als ich. Und die tun das nicht zwengs der Gaudi. Sondern es geht dabei um richtig viel Geld.

Allerdings haben ja weder die WM-Brötchen-Bäcker noch ich den Kniff mit den phantasievollen Bezügen erfunden. Die Urheberrechte für die rhetorische Wort-zum-Sonntag-Technik liegen eindeutig bei der Mutter Kirche. Pfarrer sind besonders virtuos darin, von jedem beliebigen Thema eine Brücke zum lieben Gott zu schlagen. Auch wenn der nun wirklich beim besten Willen nichts damit zu tun hat.

Der Pastor der Hamburger Sankt-Pauli-Kirche, ein weit überdurchschnittlich begnadeter Menschenfischer, hat sich denn auch was ganz Besonderes einfallen lassen. Er stellt während der WM eine Großbildleinwand vor dem Altar auf und veranstaltet etwas, das er “Balleluja” nennt.

Theologische Begründung: Weil sich bei einem Fußball-Match “das Drama des Lebens in 90 Spielminuten verdichtet”. Da erkennt man doch gleich den echten Profi. Das ist schon was anderes, als kleine WM-Brötchen zu backen.

Und Bild, das Blatt, das es wie kein anderes versteht, die Stimmung im Volk in grammatikalisch unkorrekte Sätze zu kleiden, dichtet nach “Wir sind Papst” jetzt schon “Wir sind Fußball”. Ja, doch. Dieser Eindruck drängt sich auf.

Ich persönlich finde dann aber doch die Idee meines Lieblingsauftraggebers sehr gelungen. Ein Tipp-Kick-Turnier – das hat was!

Tipp-Kick ist ein Spiel ohne Körpereinsatz. Fast wie ein Schachprogramm. Nur dass sich eben das rechte Bein der Figuren bewegen lässt. Und es sind feine, sehr kontrollierte Bewegungen. Und gar nie wird einem eine Spielfigur gegen’s Schienbein treten.