Klinsmann-RISC

Die Vorgaben für diesen Wochenrückblick sind eindeutig: Fußball! Was anderes interessiert derzeit schließlich niemanden.

Das allerdings ist hart für einen unsportlichen IT-Schreiberling. Denn was versteht unsereins schon davon?

Die beiden größten IT-Konzerne der Welt, IBM und Hewlett-Packard haben hier um die Ecke ihre deutschen Niederlassungen, in Stuttgart und Böblingen. Aber News über die haben aktuell überhaupt keinen Marktwert.

Wenn die deutsche Elf lediglich Gruppenzweiter geworden wäre, hätte man wenigstens durch die Nähe zum Neckarstadion einen Standortvorteil. Dort würde die dann nämlich am Sonntag spielen. Aber so?

Verzweifelt irrt der Blick umher und trifft die Landkarte an der Wand. Ganz links, am Rand von Stuttgart, ist da ein Ort Namens Botnang eingezeichnet.

Daher kommt doch… Genau! Und eben das qualifiziert einen dafür, über das absolute Top-Thema zu schreiben. Unsereins versteht nämlich doch etwas von Fußball. Unsereins versteht Jürgen Klinsmann. Nativ! Der Kärle nämlich, der schwätzt wie mir.

Bislang hatte man ja eher unter seiner Sprachfärbung gelitten. Einige Linguisten behaupten sogar, das Schwäbische sei keine Mundart, sondern eine Art verbales Root-Kit. Also: Mar kriegt’s ni me los.

Aber das stimmt nicht. Fähler! däd de Klinsmann sage. Schwäbisch ist vielmehr die Sprache der Leistung, der Laischdung.


Das lässt sich leicht nachweisen: Was etwa die Semantik anbelangt, so ist das Schwäbische hocheffizient. Es zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es überflüssige Wörter einspart.

Beispielsweise existiert das, was der Nation vor dem Eröffnungsspiel die größten Sorgen bereitet hat – die Ballack-Wade – im Schwäbischen überhaupt nicht. Bei uns hat man vom Ballack seim Fuß gesprochen.

Der schwäbische Fuß nämlich reicht von den Zehen bis zur Hüfte. Und über die (weiblichen) Schlachtenbummler aus Brasilien weiß der (männliche) Fan aus Schwaben zu sagen: Jesses, henn die scheene Fies.

So sieht das sicherlich auch Jürgen Klinsmann. Und es ist evident, dass jemand, der dem Fuß einen derartigen Bedeutungsumfang beimisst, der richtige Mann als Fußballbundestrainer ist.

Das Schwäbische ist so eine Art RISC. Es bedient sich eines reduced Instruction Sets. RISC-Maschinen wiederum sind in der Regel Hochleistungssysteme. Und unsere Nationalmannschaft implementiert das reduced Instruction Set vom Klinsmann. – Entsprechend hat sie ja bislang auch gespielt.

Ein weiteres Beispiel: Auf Hochdeutsch kann man plaudern, sprechen, argumentieren, vortragen… Im RISC unter den deutschen Mundarten heißt das alles “schwätze”. Schee isch’s net. Awwer zom Schaffe langt’s. Un Fussball isch a Gschäft.

Wäge dem Schwätze allerdings gestaltet sich die Kommunikation von Landesfremden mit Schwaben oft als problematisch. Es kursiert sogar das Gerücht, in Baden-Württemberg fänden regelmäßig Geheimtreffen jener Persönlichkeiten statt, die sprachlich besonders gezeichnet sind. Und die teilten dann alle vakanten Posten unter sich auf.

Beim letzten Mal sei dabei demjenigen, der am unverständlichsten schwätzt, das Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zugedacht worden. Der Mann heißt Günther Oettinger.

Über ihn werden viele Witze gerissen. Was aber sehr ungerecht ist. Günther Oettinger ist hochinteger. Er könnte beispielsweise nie ein Staatsgeheimnis aus’m Ländle verraten – ins Ausland oder an ein anderes Bundesland. Den Kärle nämlich, den värschdehd mar do gar net.

Derjenige, der am staatsmännischsten schaut, wenner schwätzt, der kommt aus Ludwigsburg und ist Bundespräsident geworden. “Ich erkläre die Fußball-WM 2006 in Deutschland für eröffnet”, hat er vor 14 Tagen in München gesagt.

Das war ein Satz von Horst Köhler, bei dem sicherlich einige zum ersten Mal nicht den Drang verspürt haben, laut “Fähler!” zu rufen. – Ja, und der Mann, der das sonst immer ruft: “Fähler!”, der ist eben Fußballbundestrainer geworden.

Das geschah wohl auch deshalb, weil Jürgen Klinsmann kosmopolit und absolut up-to-date ist. Der kann auf Deutsch und auf Englisch schwäbeln. Und er hat die Sprache der modernen Informations- und Kommunikationstechnik in den Fußball eingeführt.

“Ersatz” beispielsweise heißt jetzt “Back-up”. Also Oliver Kahn – der kommt aus Karlsruhe – der ist bloß das Back-up von Jens Lehmann. “Fähler”, meint da so mancher. Allerdings der Klinsmann sieht’s anders.

Wahrscheinlich hat da auch die alte Abneigung zwischen Schwaben und Badenern eine Rolle gespielt. Die sind sich nämlich ähnlich zugetan wie die Franken und die Bayern.

Aber darum geht’s hier ja gar nicht. Es geht vielmehr darum, wie der Bundestrainer mit originär baden-württembergischen Erfolgsrezepten unsere Nationalelf zum Titel führt.

Und in der IT, da gibt’s vor allem eine deutsche Erfolgsgeschichte, die der SAP in Walldorf – in Baden-Württemberg selbstverständlich. Das ist das seltsame Unternehmen, dessen Beschäftigte vorgestern ihre Betriebsräte gewählt und dabei vor allem darauf geachtet haben, dass es nicht so viele werden. Damit’s net soviel koschd.

“Hamballe” – däd dozu wahrscheinlich dr Schwob sage. Was die in Walldorf allerdings nicht verstünden, weil’s Badener sind.

Aber man muss sich mal anhören, wie die bei der SAP reden: Englisch, aber doch so, dass es sehr nach Baden-Württemberg klingt: Se wanderfull Walldorf-Inglisch halt. Überall auf der Welt kann man das hören.

Und deshalb fühlt man sich, wenn man aus Baden-Württemberg kommt und mit IT zu tun hat, überall auf der Welt zuhause. Dahoim halt.

Un genauso schwätzt de Klinsmann. Das ist die Sprache des Erfolgs: ein reduced Instruction Set – net schwätze, schaffe – und Se Walldorf-Inglisch. Un deswäge wärre mir au Wäldmeischder. Die Sprachanalyse lässt gar keinen anderen Schluss zu.

Und überhaupt: Es gab’s in jüngster Zeit bloß oin Raigschmeggde – einen Zugereisten – der die Sprache in Baden-Württemberg in nennenswertem Umfang bereichert hat, den ehemaligen Trainer vom VfB, Giovanni Trappatoni. Der hat nämlich den wunderschönen Satz gesagt: “Ich habe fertig.”