Urlaub von der IT

In einem ganz seltsamen Zustand befindet sich das System. Extrem heruntergetaktet ist es: Gelegentlich kommt eine Welle vorbei, die ein bisschen Gischt an den Strand spuckt. Ansonsten macht die Zeit sich nicht bemerkbar.

Urlaub! Das Systemmanagement reagiert auf die geplante, aber ungewohnte Downtime, indem es laufend Fehlermeldungen produziert: “Keine anstehende Task gefunden!” Und zwar nicht nur keine mit erhöhter Priorität. Nein, gar keine. Nichts, was abgearbeitet, endlich einmal angegangen oder erledigt werden müsste.

Ein veritabler Ausnahmezustand. Einen “fatal error” vermutet das innere Managementsystem. Um es zu stabilisieren, entschließt man sich, ein wenig Aktivität zu simulieren, ein paar Zeitungen zu kaufen und ein bisschen Input zu generieren.

Allerdings geht das nur mit historischen Daten. Tageszeitungen an Urlaubsorten entfalten ihre herrlich unaufgeregte Wirkung ja vor allem deswegen, weil sie vom Vortag stammen. Und wenn man sie derart aus der Distanz – also mit einem Delay und dazu noch remote – liest, dann kommen einem die Meldungen darin wie Hoaxes vor.

Eigenartig geht es zu im fernen Deutschland: die 30 größten Konzerne dort werden heuer den Rekordgewinn von 56,1 Milliarden Euro einfahren, erwartet “Euro am Sonntag”.

Und ein Aufsichtsratsmandat wird derzeit im Schnitt mit 78.500 Euro vergütet. Ein plus von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das vermeldet die “Süddeutsche Zeitung”. Es gibt also tatsächlich auch gut bezahlte Minijobs!

Die Wirtschaft prosperiert, sollte man meinen. Trotzdem macht sich in derselben Ausgabe des Blatts der oberste deutsche Richter – Jürgen Papier  heißt er und ist Präsident des Bundesverfassungsgerichts – Gedanken über den “Rückbau des Sozialstaats”, weil der “unfinanzierbar” sei. Wer da dagegen ist, habe “ein Mentalitätsproblem”, lautet der höchstrichterliche Bescheid.

Politik ist halt wie die IT, denkt man sich. Da braucht es Plus und Minus, Nord- und Südpol, Null und Eins. Und erst aus dem Zusammenspiel dieser Antipoden wird ein Ganzes.

Und so macht man sich denn auf die Suche nach dem Gegenpol: Dem “Handelsblatt” ist das künftige Grundsatzprogramm der SPD zugespielt worden. Das muss zwar nächstes Jahr erst noch auf einem Parteitag beschlossen werden. Allerdings alle wichtigen Leute haben es bereits unterschrieben. Und denen machen demokratische Entscheidungen nur dann wirklich Spaß, wenn sie vorab festlegen können, wie sie aussehen.

“Impuls-Papier” nennt sich das kommende SPD-Programm gegenwärtig noch. Da sollte doch die Gegenposition zum Verfassungsgerichts-Papier drinstehen!

Eine “differenzierte Betrachtung” wollen die sozialdemokratischen Autoren an den Tag legen und “vernünftige Rahmenbedingungen” schaffen. Und dann schreiben sie noch: “Einfache Antworten sind nicht möglich.”

Ja, das wird gerne gesagt von Leuten, die einem eigentlich nichts mitzuteilen haben. Politische Fuzzi-Logic halt. Plattformübergreifend: Läuft auch bei jeder anderen Partei.

Das System fährt angesichts dieses dürftigen Inputs wieder herunter und freut sich am langsamen Takt der Welle, die gelegentlich etwas Gischt an den Strand spuckt. Ein Reboot scheint in den nächsten Stunden völlig ausgeschlossen.

Dann aber ein Alert! Einen flüchtigen Eindruck vom Weg zum Strand hat das System der allseitigen Volatilität entrissen.

War da nicht…? Es war! Einen irischen Pub gibt’s hier in diesen südlichen Breiten.

Das ist es, wofür es sich lohnt, das System hochzufahren – für ein Bier, dessen Farbe – je nach Einfall des abendlichen Sonnenlichts vom Meer her – zwischen dunkel- und hellbraun changiert.