Die Todesliste

Was einem halt einfach nicht aus dem Kopf geht dieser Tage, das ist die Liste der bedrohten Wörter von diesem Bodo Mrozek. “Kleinod” ist demnach die schönste jener wunderbaren Kreaturen, die Gefahr laufen, in der kalten Moderne zugrunde zu gehen.

Es befinden sich aber auch noch weitere Kleinode darunter. Gerade diese Woche, da Apple das iPhone auf den Markt wirft, wird man sich dessen schmerzlich bewusst.

Die “Wählscheibe” gehört dazu. Ganz sentimental wird einem da zumute. Erinnert dieses Wort doch an jene gute alte Zeit, als die Menschen sich noch nicht ständig gegenseitig und lautstark mit ihren privaten Angelegenheiten behelligten und sich statt dessen zum Telefonieren vornehm in abgeschlossene Räume zurückzogen, manchmal sogar in eigens dafür eingerichtete Telefonzellen.

Nur schwer vorstellbar ist es hingegen, dass jemand mit der jüngsten Kreation aus der kalifornischen Designer-Stube einmal irgendetwas “fernmündlich übermitteln” wird. Bestenfalls phonen kann man mit so einem Ding.

Andererseits gibt es auch Wörter, denen man den Tod wünscht, weil sie gar so aufdringlich sind und durch den ständigen Missbrauch seitens irgendwelcher Marktschreier aus der Computerindustrie verdorben. Das Partizip “händeringend” ist eines davon. Glaubt man den Öffentlichkeitsarbeitern und deren willfährigen Nachbetern in den Redaktionen, dann ist die Branche im Aufschwung vollauf damit beschäftigt, die Hände zu ringen.

Dann ist nicht auch mal wieder die eine oder andere Stelle vakant. Sondern es werden “IT-Fachkräfte händeringend gesucht”, wie vor ein paar Tagen The Inquirer eine Formulierung aus einer BVDW-Pressemitteilung (Bundesverband Digitale Wirtschaft) zur Headline machte.

“Noch könne der Engpass bei qualifiziertem Personal durch ältere Mitarbeiter und durch Frauen gedeckt werden”, heißt es in dem Artikel. “Nein, jetzt müssen schon ‘Ältere’ und ‘Frauen’ eingestellt werden!” kommentierte ein Surfer die Meldung. Was nicht sehr freundlich, dafür aber äußerst treffend formuliert war.

Manchmal neigt man bei der Lektüre von IT-Pressemitteilungen sogar zu verbaler Bilderstürmerei. Wie viel Freude würde es einem doch bereiten, könnte man die schrägsten Metaphern einiger Dampfplauderer einfach kurzerhand zerdeppern!

“ERP nahtlos integrieren”, fordert beispielsweise aktuell die Initiative Mittelstand einiger deutscher Software-Häuser. Mit einem Werkzeug namens “easyintegration4CRM” sei dies möglich.

Zugegeben: Das Adjektiv “nahtlos” hatte in der Wirtschaftsgeschichte einmal seine Berechtigung: 1885 gelang es Mannesmann erstmalig, Stahlrohre mit dieser Eigenschaft herzustellen. Und rund strickende Maschinen ermöglichen es der Textilindustrie seit den 50er Jahren, Strümpfe ohne Naht zu fertigen. Was – selbst, wenn viele Männer dies bedauern mögen – einen gewaltigen technischen Fortschritt darstellte.

Mittlerweile aber wurde Mannesmann von Vodafone, dem Todesengel der Telefonzellen, zerfleddert und ein Großteil der deutschen Textilproduktion ins Ausland verlagert. Im Zusammenhang mit Software wiederum hat das Wort “nahtlos” nix verloren, weil’s da keine Nähte gibt. Man sollte es deshalb in Frieden sterben lassen.

Logische Lücken existieren hingegen in Software-Systemen jedweder Art. Das Attribut “lückenlos” würde daher in der IT auf eine Besonderheit hinweisen.

Wahrscheinlich wird es gerade deswegen dort nicht so oft benutzt, sondern statt dessen in der Politik, wo es nichtssagend ist. Die “lückenlose Aufklärung” der Affäre um die gelöschten Dateien im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr etwa forderte diese Woche die Berliner Opposition.

Politisch ist das richtig, sprachlich aber falsch. Eine Aufklärung nur mit Lücken wäre schließlich keine.

Sehr viel feinsinniger formulierte da weiland schon der hessische Ministerpräsident Roland Koch, als er die “brutalstmögliche Aufklärung” der CDU-Spendenaffäre versprach. Das ergab einen Sinn, sollte es doch heißen: So brutal zu sein, dass er damit selbst ins Zwielicht geraten könnte, war ihm halt einfach nicht möglich.

Auch ein Wort, das einen jedes Mal zusammenzucken lässt, ist “Handlungsbedarf”, jedenfalls dann, wenn es aus einem Politikermund kommt. Angela Merkel sah solchen diese Woche wieder hinsichtlich der inneren Sicherheit.

Immer wenn Politiker von Handlungsbedarf reden, dann wissen die Bürger, dass einiges auf sie zukommt. Die Bundeskanzlerin nun möchte, Online-Durchsuchungen zulassen und darüber hinaus generell die Überwachungsmöglichkeiten erweitern.

In dem Zusammenhang: Der Großversuch zur digitalen Erfassung von Fingerabdrücken im Duisburger Einwohnermeldeamt ist vergangene Woche abgeschlossen worden. Und einige Sicherheitspolitiker wollen ja, dass biometrische Daten nicht nur in den Pass kommen, sondern darüber hinaus auch noch in einer zentralen Datenbank gespeichert werden.

Der Test sei zufriedenstellend verlaufen, erklärte die Amtsleiterin Karin Bäcker gegenüber der Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung: “Die Geräte sind einfach zu bedienen. Das ist sehr benutzerfreundlich” (NRZ vom 2.7.).

Wichtiger als die Benutzerfreundlichkeit wäre einem in dem Fall aber die Gewissheit, dass die erfassten Daten anschließend bestimmt wieder gelöscht werden. Am besten so zuverlässig wie im Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr.

Und dann wurde diese Woche noch das Programm Mindmeister für seine Benutzerfreundlichkeit ausgezeichnet. “Im Rahmen des Forum on Entrepreneurship von Hasso Plattner Ventures wurde der Software Design Award 2007 für das beste User Centered Design verliehen”, heißt es dazu in einer Pressemitteilung der Firma Codemart, die das prämierte Stück Software geschrieben hat.

Ach ja. Wie schön wäre es doch, wenn Firmen so freundlich zu den Benutzern wären, dass sie mit ihnen in gutem Deutsch zu kommunizieren versuchten.

“Der Hauptfokus liegt bei den Anwendungsbereichen im Heimkinosektor”, beschreibt Epson den Zielmarkt für einen neuen Beamer. Eine erschütternde Aussage aus der Feder eines Herstellers optischer Geräte. Da kann man nur hoffen, dass der Beamer nicht viele kleine Nebenfokusse bildet. Sonst wird das Bild unscharf.

Und im Handelsblatt schreibt dann noch einer vom Internet-Dienstleister Komdat einen Gastbeitrag über das “Preferred-Cost-Bidding-Verfahren” bei Google. Damit könne man Anzeigen stets an die “optimalste Position” hieven. Grammatikalisch wäre das eine Steigerungsform jenseits des Superlativs. IT-Vermarktern ist jene durchaus geläufig.

Na ja. Eigentlich gehören all die Firmen, aus denen so Seltsames verlautet, ja auch zum Organisationsbereich des BVDW. Vielleicht liegt es daran, dass die dort so mit den Händen ringen.