Schwäbischer Spamfilter

Ach ja, der November: Draußen ist’s trüb. Die Tage werden immer kürzer. – Da wird man leicht melancholisch und sehnt sich nach vergangenem Glück: der Sommer damals mit der neuen Liebe am Strand oder die Reise nach Venedig.

Und auch an die kleinen Freuden denkt man wehmütig zurück: die Weinprobe von vor vielen Jahren mit den harmonischen Cuvées oder das lange gesuchte Buch, das man seinerzeit unter ansonsten lauter Schund entdeckt hatte.

Dank der modernen Datenkommunikation werden solch schöne Erinnerungen aber ja für immer wachgehalten: Wer einmal einen Billigflug gebucht, einem Händler seine E-Mail-Adresse hinterlassen oder irgendwann irgendwas im Internet gekauft hat, dem wird dies unvergesslich bleiben, weil er dann für den Rest seines Lebens so genannte Newsletters bekommt.

Von begeisterten Menschen formuliert sind sie, diese Newsletters. Ja. “Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über” (Matthäus, Kapitel 12, Vers 34).

Schon vor 2000 Jahren hat er das geschrieben, der Apostel. Damals gab’s noch keine Newsletters, sonst hätte er sicherlich hinzugefügt: “… und er schwatzt seinem Nächsten ein Ohr ab.”

Besonders voll nun ist das Herz des Menschen stets dann, wenn’s um Geld geht. Es ist phantastisch, welch wundersame Wortschöpfungen dann sein Mund hervorbringt: “Top-Preise für smarte Shopper” etwa oder “Schnäppchen-Preise”. Um viel Geld geht’s dabei insoweit, als dass in der Regel jenes verdient, wer so wirbt.

Und geradezu in Verzückung versetzt den Menschen die Vorstellung, etwas unentgeltlich zu erhalten. Dann greift er zu sprachlichen Anleihen aus dem Bereich dessen, was ihm heilig ist, seiner Spiritualität oder seiner politischen Überzeugung und spricht von “für Gotteslohn” oder schlicht von “frei”, wenn er gratis meint. – Auch Verzückung ist gut für’s Geschäft.

Insofern ist bemerkenswert, dass eines der mittlerweile geläufigsten Synonyme für kostenlos aus der Handy-Branche stammt: 87 Newsletters, in denen Mobilfunkgeräte “für 0;- Euro*!” offeriert werden, sind heuer im Posteingangsfach aufgelaufen.

Selbst in die gesprochene Sprache hält diese seltsame Preisangabe inzwischen Einzug, obwohl’s dann definitiv falsch wird, weil man ja das entscheidende “*” nicht mitsprechen kann. – Jenes, worunter vermerkt ist, dass das vermeintliche Gratis-Handy nur als Dreingabe zu einem Mobilfunkvertrag mit äußerst ungünstigen Konditionen zu haben ist.

Da ist es gut, wenn man wie der Schreiber unter Schwaben lebt, Menschen, deren Sprachfärbung jedwedem hochdeutschen Sprechunterricht trotzt. Die nämlich sind – eben wegen der Robustheit ihrer Sprache – völlig resistent gegen die Wortschöpfungen der Handy- und anderer Verkäufer. Newsletters landen deshalb in Baden-Württemberg automatisch im mentalen Spam-Ordner.

“Schnäppchen” etwa wird hierzulande immer als deplaziertes Fremdwort empfunden werden. Zwar ist das Diminutiv (die Verkleinerungsform) in Baden-Württemberg obligatorisch, weshalb man es auch für Großes, Schreckliches oder Beängstigendes verwendet, beispielsweise für die große Liebe (Schätzle), einen Schlaganfall (Schlägle) oder die Gefahren, denen der liberale Rechtsstaat ausgesetzt ist (Schäuble), aber es wird immer mit “le” gebildet, keinesfalls jedoch mit “chen”.

Auch etwas “für 0;- Euro*” wird hier nie sprachlich ankommen. Allein schon, weil es dafür einen sehr viel schöneren Ausdruck gibt: “S’koschd nix!”

Dieser Satz erfüllt im Schwäbischen die Funktion des Alarmrufs, des Triumphgeheuls und des Lustschreis. Er führt unmittelbar zur massiven Ausschüttung von Adrenalin und zur Unterdrückung jedweder kulturell erworbenen Hemmung. Kurz: Er löst Urgewalten aus.

Wenn etwa eine eigentlich schenante (hochdeutsch: “scheue”) ältere Dame während eines Ausflugs ihre Freundin im Reisebus darauf aufmerksam machen möchte, dass in der Raststätte, an der man gerade hält, die Möglichkeit besteht, Darm und Blase kostengünstig zu entleeren, so wird sie ihr – wenn nötig über sämtliche Sitzreihen hinweg – zurufen: “Hermine (landesüblicher Frauenname), dapfer (hochdeutsch: “schnell”)! Do kansch uff’s Klo. S’koschd nix (Werbesprache: “0;- Euro” – aber ohne “*”)!”

Gegen soviel Sprachgewalt und derartig authentische Emotionen haben nur geschäftsmäßig begeisterte Newsletter-Schreiber keine Chance. Und deshalb wirkt die schwäbische Seele wie ein hochperformanter Spamfilter, der kein Handy “für 0;- Euro*” durchlässt.

Den Bewohnern Baden-Württembergs erspart dies immense Ausgaben, die sie andernfalls vielleicht zu “Top-Preisen” tätigen würden. Das ist auch notwendig, denn die – einzige – landestypische Primärtugend, die Sparsamkeit, impliziert, dass man sein Geld in Immobilien investiert (schwäbisch: “Stickle” und “Heisle”).

Na ja, womit man sich halt so einen grauen Novembertag schön redet. Die hiesige Landesregierung wirbt ja mit: “Mir kennet alles, außer Hochdeitsch.” Zumindest Letzteres stimmt. Jedenfalls können die Baden-Württemberger kein “*” aussprechen. Und das Gute daran ist: Sie wissen das.