Wut über den verlorenen Telefongroschen

Es hat so kommen müssen! – Der wohlige Entsetzensschrei aller Technikfeinde und Sozialromantiker. Er ist aber auch angebracht. In dem Fall. Das muss man sich mal vorstellen: Qualcomm hat jetzt einen Chipsatz für Dual-Prozessor-Handys entwickelt.

Die Gadgets gibt’s – technisch gesprochen – künftig also auch als asymmetrische Multiprozessor-Systeme. Ein Chip ist für die Verbindung zuständig, einer für’s Betriebssystem.

Aber für Details der Hardware-Architektur interessiert sich wahrscheinlich eh niemand. Ist auch schon egal. Zeiten sind das!

Was aber wichtig ist: Angesichts von soviel Rechenleistung in einem Konsumartikel ist jetzt wohl endgültig klar, welches Gerät das Bild des 21. Jahrhunderts prägen wird – so wie das Auto das Bild des 20ten.

Der Computer hatte da wahrscheinlich nie eine echte Chance. Der wirkt viel zu intellektuell.

Wie die Druckerpresse. Die hat zwar auch die Welt verändert. Aber so richtig populär geworden ist sie deswegen noch lange nicht – so wie etwa die Dampfmaschine, das Auto oder eben das Handy.

Vor allem die Parallelen von Auto und Handy sind ja eklatant. Beispielsweise deformieren beide in einem epidemischen Ausmaß die menschliche Physiologie.
Ihr üblicher – das heißt: unmäßiger – Gebrauch führt zu Bleifuß und Handydaumen. Kaum noch jemand verteilt heute etwa bei der Dateneingabe die Arbeit alternierend auf zehn Finger – eine Fähigkeit, die zu erwerben, ja auch einiges an Ausdauer erfordert. Für’s Handy genügt der relativ ungelenke Daumen.

Oder welcher Autofahrer beherrscht noch die Kunst des Zwischengas-Gebens – beim Runterschalten in den Ersten? Hacke-Spitze! Wer kann noch – indem er die unterschiedlichen Zentrifugalkräfte virtuos ausnutzt, die auf einen Wagen wirken – eine Kurve enger nehmen, als es der Lenkradstellung entspricht?

Geht heute ja gar nicht mehr. Schließlich bestimmt nicht der hinterm Lenkrad wo’s wie langgeht, sondern das Antiblockiersystem (ABS), die Antriebsschlupfregelung (ASR), die elektronische Bremskraftverteilung (EBS), die Motorschleppmomentregelung (MSR) und der mit Global-Positioning-Daten (GPS) gespeiste Routenplaner. Und die Leute setzen sich rein in diesen Automaten und drücken den Fuß durch.

Dabei tritt dann das Hektiker-Paradoxon auf. Vor allem diejenigen haben’s besonders eilig, hupen, drängeln und schimpfen über Rentner am Steuer, die eigentlich gar nichts mit ihrer Zeit anzufangen wissen. Wenn die angekommen sind, wird ihnen langweilig.

Das ist genauso wie bei den Erfolgsmenschen, den wirklichen und denen, die’s eigentlich nur gern wären. Die haben Ziele. Und die verfolgen sie.

Und vor allem reden sie davon – dass sie Ziele haben. Welche ist egal.

Weder der Weg noch das Ziel ist ihnen Ziel. Das Ziel ist lediglich eine Art mentaler Wegzehrung. Wenn wegen irgendwelcher widrigen Umstände einmal einer sein Ziel erreicht, dann ist das eine menschliche Katastrophe, dann fühlt er diese ganz große, lähmende innere Leere.

Beim Handy-Betrieb nun tritt das Hektiker-Paradoxon leicht modifiziert auf: Diejenigen, die nichts mitzuteilen wissen, telefonieren am aufgeregtesten und am häufigsten – eigentlich immer, wenn’s irgendwie geht.

Und noch eine Gemeinsamkeit: Um die jeweilige Schlüsselbranche – im letzten Jahrhundert die Automobil- und heute die Handy-Industrie – entwickelt sich zum Höhepunkt einer Epoche immer ein Art technologischer Devotionalienhandel.

Für’s Auto gab’s früher – je nach Familienstand, Spiritualität und Verdauung des Fahrers – Christopherus-Plaketten, magnetische Bilderrahmen für’s Bild von Frau und Kindern, Münzboxen und Umhäkelungen für die Klopapierrolle auf der Hutablage. Auf dem erweiterten Mobiltelefon-Markt entsprechen dem Hartplastikhüllen, Logos und jedwede Art von Handy-Taschen.

Dem Bedürfnis zu imponieren, dienten früher Rallye-Streifen, welche den nicht zu unterschätzenden Vorteil hatten, dass man sie nicht hören konnte. Heute erfüllen Klingeltöne auf eine sehr viel weniger sozial verträgliche Art diese Funktion.

Der Gebrauch epochaler Gerätschaften erfolgt Anfangs nach Gusto, wird aber dann im Laufe der Zeit zunehmend staatlich reguliert. Im Fall des Straßenverkehrs dient dem ein reifes 59-paragraphiges Werk.

Das brauch’s wohl, um den Autofahrer dazu anzuhalten, “dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird” (§1, Abs. 2 StVO).

Von der Mobilfunk-Ordnung werden eben erst die ersten Paragraphen geschrieben. Der Verkehrsminister hat ja jetzt in der Bildzeitung, dem amtlichen Organ jeder Bundesregierung, bekannt gegeben, dass das Bußgeld für’s Telefonieren am Steuer erhöht wird.

Und in New York bekommt man seit kurzem einen Strafzettel, wenn das Handy in der Oper klingelt. Da haben die Juristen noch einiges zu tun, bis die Benutzung des Mobiltelefons so kodifiziert ist, dass “kein Anderer … mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, … belästigt wird”.

Ach ja, manchmal ist’s einem halt so nostalgisch zumute. Und schön war’s doch schon, als manch überflüssiger Anruf noch durch ein fehlendes 10-Pfennig-Stück verhindert wurde.

Der Telefongroschen war eine sozial sehr nützliche Instanz. Beethoven hat ja die “Wut über den verlorenen Groschen” geschrieben. Ein fast schon prophetisches Stück Klassik.

Apropos klassische Musik. Die wurde früher vorwiegend auf Schallplatten gespeichert – analog, aber mit einem gewaltigen Frequenzumfang und in hervorragender Qualität. Heute kommt sie ja meist aus dem Handylautsprecher … Es war halt die gute, alte Zeit damals.