Deutsche Richter begeistern sich an elektronischer Spracherkennung

Mehr als ein Drittel aller Richter in Baden-Württemberg wurden bereits für den Umgang mit elektronischer Spracherkennung trainiert – auf Hochdeutsch.

Im Auftrag der baden-württembergischen Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP) stattet der Sindelfinger Spracherkennungsspezialist ASKA 1000 Gerichtsarbeitsplätze mit der Spracherkennungssoftware Dragon NaturallySpeaking “Legal Edition” von ScanSoft aus.
Von den mehr als 2000 Richtern in Baden-Württemberg wurden bisher 650 Richter im Umgang mit der Spracherkennungssoftware geschult. 100 Richter sprechen inzwischen ausschließlich mit dem Computer, wenn sie ihre Urteile diktieren. Über 1000 Arbeitsplätze sollen es werden. Das Ministerium rechnet dabei mit Kosten von etwa 1500 Euro pro Gerichtsarbeitsplatz.

Eine Signalwirkung für den gesamten Markt für Spracherkennung, und damit eine positive Entwicklung für ihre eigene Firma, erhofft sich ASKA-Geschäftsführerin Doris Schlumberger durch den Vertrag mit der baden-württembergischen Justiz. “Der Durchbruch, auch am deutschen Markt, ist nun endgültig gelungen”, so Doris Schlumberger.

“Die Justiz in Baden-Württemberg hat nach Möglichkeiten gesucht, den starken Personalabbau vor allem im Bereich der Schreibkräfte abzumildern”, beschreibt Ministerialdirektor Michael Steindorfner, Staatssekretär des baden-württembergischen Justizministeriums, die Motive für die Einführung der Spracherkennungssoftware.

Das Justizministerium hatte sich zunächst im Rahmen eines Pilotprojektes am Amtsgericht Reutlingen von der Einsatzfähigkeit der Software an den Richter-Arbeitsplätzen überzeugt. Nach ersten Experimenten mit verschiedenen Spracherkennungssystemen wurden neun Arbeitsplätze mit Dragon NaturallySpeaking “Legal Edition” von ScanSoft ausgestattet.

“Ich war von dem Produktivitätsgewinn so begeistert, dass ich das Justizministerium davon überzeugen konnte, den Einsatz dieses Systems auf das gesamte Bundesland auszudehnen”, kommentiert Peter Uhde, Projektleiter und Amtsrichter im schwäbischen Reutlingen, die Entscheidung des Ministeriums.

Dazu erstellte Uhde im Auftrag des Justizministeriums eine Musterkonfiguration, die sich vor allem durch vergleichsweise moderate Hardwareanforderungen (Intel Celeron-Prozessor mit 800 MHz Taktfrequenz sowie 512 MB Arbeitsspeicher) auszeichnet. Wichtig, so Peter Uhde, sei eine qualitativ hochwertige Soundkarte mit guter A/D-Wandlung und ein hochwertiges Headset mit aktiver Rauschunterdrückung.

Das Justizministerium erhofft sich durch den Einsatz der Diktiersoftware an den Gerichten eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung. Bislang zeichneten die Juristen Urteile und Schriftsätze als Diktat auf, das sie anschließend vom Schreibdienst abtippen ließen.

Zudem sind seit 1995 in den Gerichten Baden-Württembergs mehr als 600 Stellen abgebaut worden, die meisten davon im Schreibdienst – mit zum Teil gravierenden Folgen für die Prozessabwicklung. “Die beteiligten Prozessparteien müssen bis zu einer Woche oder sogar länger warten, bis sie ein Urteil schriftlich in den Händen halten”, beschreibt Staatssekretär Steindorfner die Situation an den Gerichten des Landes.

Einige Richter hatten deshalb aus eigener Initiative unterschiedliche Spracherkennungssysteme eingesetzt. Aus Sicht des Ministeriums hat eine einheitliche Softwareausstattung und eine leichte Integrierbarkeit des Spracherkennungssystems in die vorhandene Systemumgebung jedoch höchste Priorität.

Um dies zu gewährleisten, hatte das Ministerium bereits im vergangenen Dezember mit dem Sindelfinger Software-Integrator und ScanSoft-Partner ASKA einen Lizenzvertrag abgeschlossen und zudem mit der Schulung der Justizmitarbeiter beauftragt.

“Damit hat das Justizministerium dafür gesorgt, dass ein einheitliches Programm zum Einsatz kommt, und die Voraussetzungen für einen breiten Modellversuch geschaffen”, erläutert Michael Steindorfner die Entscheidung des Justizministeriums, eine einheitliche Diktiersoftware einzusetzen. “Ob die sich damit verbundenen Hoffnungen erfüllen, wird im Rahmen einer Auswertung festgestellt. Diese liegt uns frühestens im Herbst vor”, so der Staatssekretär weiter.

Während Projektleiter Peter Uhde nach sechs Monaten Einsatz des Spracherkennungssystems an verschiedenen Gerichten des Landes eine positive Zwischenbilanz zieht; zeigt sich allerdings auch, dass Computer-gestützte Spracherkennung sich nicht für jeden Anwender eignet.

Der Umgang mit der digitalen Spracherkennung gelingt vor allem Anwendern mit starker Computer-Affinität und einem hohen Maß an Sprachdisziplin.

Akzeptanz findet das Spracherkennungssystem bei jenen Richtern, die bereit sind, ihre Urteile selbst zu schreiben. Dies sei vor allem bei den jüngeren Richtern der Fall. Eine sorgfältige Schulung der Mitarbeiter ist in jedem Fall absolut erforderlich, betont Staatssekretär Steindorfner nachdrücklich.

“Perfekt ist das Spracherkennungssystem noch nicht, aber unter Einhaltung bestimmter Regeln in der Praxis einsetzbar”, so der Staatssekretär. Ein klarer Entlastungseffekt für die gesamte “Organisation Justiz” sei bisher nicht erkennbar, so Steindorfner. Die Chance für eine Entlastung einzelner Mitarbeiter sei jedoch vorhanden, aber von vielen Randbedingungen abhängig – auch von der persönlichen Arbeitsweise.

Optimistisch gibt man sich auch beim Softwarehersteller ScanSoft. “Das Projekt soll vor allem Anstoß für andere Projekte dieser Art in der Justiz von Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern werden”, erklärt Daniela Uhl, bei ScanSoft zuständig für die Zusammenarbeit mit ASKA und dem Justizministerium.

ScanSoft hat Grund für Optimismus: Inzwischen lassen sich nicht nur die Richter mit der Spracherkennungssoftware von ScanSoft ausstatten, sondern der EDV-Abteilung des Justizministeriums liegen 200 Anforderungen aus der Staatsanwaltschaft vor, die laut Staatssekretär Michael Steindorfner zügig abgearbeitet werden sollen.