Chipkarte und System

Unser Gesundheitssystem beispielsweise. Das funktioniert ja im Prinzip ganz einfach: Alle werfen in einen Topf.

Unser Gesundheitssystem beispielsweise. Das funktioniert ja im Prinzip ganz einfach: Alle werfen in einen Topf. Den nennt man in dem Fall Krankenkasse. 290 gibt’s davon. Und aus diesem Topf nimmt dann jeder nach Lust und Laune.
Nein, nicht die Patienten. Das wäre schließlich eine eigenartige Laune, wegen der man sich einen Zahn mehr ziehen ließe. Außerdem wären einem solchen Verhalten in den meisten Fällen schon rein physiologische Grenzen gesetzt. Den Blinddarm etwa kann man sich nur einmal herausnehmen lassen.

Richtig was heraus nehmen sich hingegen die Anbieter. Die Ärzte, Apotheker und pharmazeutischen Unternehmen. Und aus diesem systembedingten Grund gibt es in Deutschland so einen gesunden Mittelstand. Deswegen heißt’s ja auch so: Gesundheitssystem. Das ist der soziologische Aspekt.

Allerdings ist Mittelstandsförderung teuer. Und die Arbeitgeber, die schließlich auch in den Topf zahlen müssen, achten sehr auf’s Geld. Im Unterschied zu den Arbeitnehmern, die gar nicht so recht achten können, weil man ihnen den Krankenkassenbeitrag gleich zusammen mit der Steuer vom Lohn abzieht.

Daher ist man übereingekommen, aus dem Topf nicht auch noch alle möglichen Krankheitskosten zu bestreiten. Das übernehmen jetzt die Kranken: Für Arztbesuche zahlen sie eine Praxisgebühr und die Brille aus eigener Tasche. Für kaputte Zähne und für’s Krankengeld müssen sie demnächst eine Zusatzversicherung abschließen. Und für Medikamente leisten sie Zuzahlungen. Das der standortpolitische Aspekt. Er nennt sich Gesundheitsreform.

Einen technologiepolitischen gibt’s natürlich auch. Damit hat man sich in Deutschland bislang ja immer arg schwer getan: Kernkraftwerke, die man im Inland für zu gefährlich hält, kann man schließlich schlecht ins Ausland verkaufen. Das gleiche gilt für eine Magnetschwebebahn, die so teuer ist, dass sie daheim niemand bezahlen will. Und Realitätssinn – der, der in solchen Einschätzungen zum Tragen kommt – der wiederum bringt auf dem Weltmarkt kein Geld ein.

Ebenfalls kein Renner ist schließlich ein Mautsystem, deren Betreiber es arg locker haben angehen lassen. Weil: Man hat ihnen nicht mit den geschäftsüblichen Vertragsstrafen gedroht, sondern nur damit, wenn alles daneben geht, den Zeigefinger zu heben und ganz böse “Du, du!” zu sagen. (So sieht’s auch der Bundesrechnungshof. Aber der hat’s diese Woche natürlich etwas anders formuliert.)

Jetzt will das zuständige Ministerium ein klein wenig Effizienz ins Gesundheitssystem bringen. Darum geht’s in Berlin schon seit Monaten. Das könnte wirklich zum Exportschlager werden. Mit ein bisschen EDV: ein paar Millionen so genannter Gesundheitskarten bräuchte man dazu. Die würden sich eigentlich kaum von dem unterscheiden, was man eh schon vielfach in der Brieftasche mit sich herumträgt. Einige Back-up-Server. Die gibt’s zu Commodity-Preisen von den einschlägigen Herstellern.

Und 23,6 Terabyte Daten, die jährlich anfallen, müssten verwaltet werden. Das ist in etwa so viel wie das, was sich in dem Zeitraum einige wenige Dutzend Tauschbörsennutzer mit Breitbandanschluss an Film-Files aus dem Netz saugen. Also das sollte doch machbar sein.

Da aber hat sich der Verein “Freie Ärzteschaft” – so eine Art durchgängig promoviertes medizinisches Freicorps – etwas einfallen lassen: den datenschutzrechtlichen Aspekt. Auf der vereinseigenen Site geht der so: “Ob und aus welchen Gründen (aufgeführt werden Softwarekosten und Internetanschluss) wir Ärzte gegen die eCard sind, interessiert niemanden.” Deshalb der Datenschutz: “Sollten jedoch unsere Patienten dagegen sein, zum ‘gläsernen Patienten’ gemacht zu werden, dann könnte ein Protest bei der Regierung erfolgreich sein.”

Also auch ein standespolitischer Aspekt.

Wie sagt die Sprechstundenhilfe immer so schön? – Der nächste, bitte.

Der kommt von den Apothekern, die sind dagegen, dass Rezeptdaten auf der Gesundheitskarte gespeichert werden. Weil: Dann könnten die Patienten sich ja leicht über das Internet mit Medikamenten versorgen.

Internet-Apotheken aber, das erfährt man auf “aponet.de – Das offizielle Gesundheitsportal der deutschen ApothekerInnen”, bieten “keine ausreichenden Informationen zu den von ihnen abgegebenen Arzneimitteln und gefährden damit die Gesundheit ihrer Kunden”.

Otto Waalkes, der Doyen humoresker Kausalität, hat es ja einmal so formuliert: “Ich könnte Ihnen noch Tausende von Gründen nennen, wenn mir welche einfallen würden.”

Aber sie fallen einem ja ein: Vielleicht kommt, wenn erst ein Chipkarten- und Internet-basierter Verbund steht, jemand darauf, Röntgenbilder auf einem zentralen Server lagern zu wollen. Anstatt wie bislang beim Arzt in Packpapier. Das würde zwar die Strahlenbelastung der Bevölkerung herabsetzen, aber gleichzeitig auch die Auslastung des medizinischen Maschinenparks.

Oder wenn der Patient später einmal IT-gestützt Zugriff auf die Rechnung bekäme, die der Doktor für seinen Fall der Krankenkasse stellt. Das wäre dann wie im Supermarkt, wo man anhand des Kassenzettels überprüfen kann, ob alles seine Richtigkeit hat. Das ärztliche Vertrauensverhältnis würde das doch sehr beeinträchtigen.

Also Intelligenz im Gesundheitswesen – und sei es nur maschinelle – ist ein ganz heikles Thema.

Ach ja, einen medizinischen Aspekt gibt es auch noch: Die US-Firma Cyberkinetics hat vor ein paar Monaten einigen Probanden Chips in die Großhirnrinde implantiert. Ziel des Experiment ist es, in Zukunft intelligente Prothesen direkt durch Gehirnströme zu kontrollieren.

Die Machbarkeit wurde mittels der TV-Fernbedienung getestet. Ein Proband heißt Matthew Nagle und kann mittlerweile durch die schiere Kraft seiner Gedanken das Fernsehgerät ein-, aus- und umschalten. Man kann für den Mann nur hoffen, dass er beim Zappen nicht einmal auf einen Bericht über das deutsche Gesundheitssystem stößt.