Von Unwörtern und Rechenfehlern

“Es degradiert nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen.”

“Es degradiert nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen.” So der Frankfurter Professor Horst Dieter Schlosser zur Begründung. Gut, ein allzu warmherziger Begriff ist es nun wirklich nicht. Aber “Faktor Arbeit” hört sich auch nicht sehr viel kuscheliger an.
Eine glatte Fehlentscheidung! Selbst der feinfühlige Professor, der die Unwort-Wahl alljährlich veranstaltet, spricht von einem “nicht sehr aufregenden Wort”.

Da hat es dann auch nicht geholfen, dass das arbeitgebereigene Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) noch am gleichen Tag eine Pressemitteilung zu dieser “ökonomisch interessanten Größe” herausgegeben hat. Auf 3750 Milliarden Euro belaufe sich das Humankapital hierzulande – exakt.

Aber das hat ebenfalls keine Emotionen in den Unwort-Event bringen können. Das IW rechnet nun mal alles exakt aus. Mit Vorliebe, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gefährdet sei. Auf Platz 24 sei sie mittlerweile abgerutscht, teilte das Institut zum Jahreswechsel mit.

Dazu passt dann allerdings nicht so recht, dass Deutschland 2004 wieder mal einen Rekord beim Exportüberschuss erzielt hat. 155,6 Milliarden Euro waren’s, wie das Statistische Bundesamt ebenfalls am Dienstag mitgeteilt hat. Und das nach dem schon weltweit höchsten Handelsbilanzüberschuss des Jahres 2003.

Vielleicht wäre es da doch ganz abwechslungsreich, statt der faden Unwort-Wahl, mal einen Contest der unsinnigsten Berechnungen zu veranstalten. Aber dabei würde wahrscheinlich die Vorauswahl eine kaum zu bewältigende Aufgabe darstellen – wegen der schieren Masse absichtsvoll begangener Rechenfehler.

Allerdings hätte es durchaus auch bessere Kandidaten für das Unwort 2004 gegeben. Gerade im Bereich der Wirtschaft.

Schließlich genügt es nicht irgendwelchen Volkswirten ihre auf Statistiken beschränkte Emotionalität vorzuwerfen. Gefühlsarmut ist ein Defizit, aber noch lange keine aktive Gemeinheit.

Richtig fies hingegen sind gezielte Euphemismen. Und davon gab’s doch nun wirklich genug – auch im vergangenen Jahr. Ein Blick in die I+K-Branche hätte genügt.

“Praktikant” beispielsweise hätte eine preisverdächtige Beschönigung abgeben können. Laut connex.av bestehen große Teile der Belegschaft des Klingelton-Ladens Jamba aus Leuten, die nur so einen Vertrag haben.

Gut, Gewerkschaften, mag man einwenden, die haben immer was rumzumäkeln. Das hat sich auch der Betriebsrat der deutschen E-Bay-Niederlassung gesagt, als connex.av dort eine Umfrage zu den Arbeitsbedingungen gemacht hat. Und dazu hat er dann erklärt, dass “weder der Betriebsrat noch das Leadership-Team diese” Umfrage unterstütze, weil sie “in keinster Weise den eBay-Values entsprechend” sei.

Das wär’s doch gewesen. Also wenn einem sowas nicht ein respektvolles “Wow! ” abringt. Die ganz hohe Schule der sprachlichen Verhüllung. Ein veritabler verbaler Tschador. Ein echt radegebrochener Euphemismus. “Leadership-Team”! Das hätte doch den Titel Unwort des Jahres verdient.

Und wenn man dann noch “Team” zum Unwort des Jahrhunderts gewählt hätte, dann hatte man auch schön Entwicklungslinien der sprachlichen Veräppelung aufzeigen können. Schließlich gibt es mittlerweile keinen schiechen Job mehr, der nicht in so einem Team erledigt würde.

Aber das ging halt auch nicht, weil zuvor schon “Menschenmaterial” zur säkularen Entgleisung gekürt worden war. Ebenfalls keine glückliche Wahl.

Erstmalig verwendet hat Theodor Fontane dieses Wort, 1854 in “Der englische Zopf”, wo er die Zustände in der dortigen Armee kritisiert. Man fragt sich natürlich schon, welche Rolle denn Soldaten in einer – die Welt britisch rot färbenden – Kriegsmaschine haben, wenn nicht jene des Menschenmaterials. Aber die heutigen Germanisten vertreten die Ansicht, der große Romancier des vorvergangenen Jahrhundert hätte sich doch in seiner Wortwahl etwas mehr zurückhalten sollen.

1867 dann nennt Karl Marx im Kapital das Arbeitslosenheer “das stets bereite exploitable Menschenmaterial” (MEW Bd. 23, S. 661). Auch da weiß man sich heute gefälliger auszudrücken. Man spricht neuerdings von “Kunden der Bundesagentur für Arbeit”. Ebenfalls eine preiswürdige Wortschöpfung.

Kurzzeitig arbeitslos war letztes Jahr ja auch Ulrich Schumacher, vormals Infineon-Chef. Den hätte man gleichermaßen schon mal mit einem Preis bedenken können. Der wollte die “Lowperformer” in seinem Konzern turnusmäßig aussondern.

Auch bei Siebel und der SAP gibt es entsprechende Programme. Allerdings ist wohl nur die SAP Gefahr gelaufen, ins Visier der pietätvollen Sprachschützer zu geraten. Dass das dann doch nicht geschehen ist, liegt wahrscheinlich daran, dass Germanisten sich meist nicht sehr gut in der Computerei auskennen. Jedenfalls ist ihnen ganz offenkundig entgangen, dass ein Modul der Betriebswirtschaftssoftware aus Walldorf HR – Human Resources – heißt.

Ach ja. Schluss mit den hässlichen Wörtern! Es gibt auch wunderbare. Der Landesverein für Heimatpflege im weiß-blauen Freistaat etwa hat vergangenen November “fei” zum schönsten bayerischen Wort gewählt.

Es handelt sich dabei um einen so genannten Modalpartikel. Damit gebildete Sätze gehören zu den komplexesten und am schwersten zu erfassenden sprachlichen Konstrukte überhaupt. Zufriedenstellende Synonyme gibt’s dafür häufig nicht. Weshalb man ihre Bedeutung meist anhand von Beispielen erläutert.

Also: Um noch einmal auf die unsägliche Unwort-Wahl des Germanisten Horst Dieter Schlosser zurückzukommen, da könnte man sagen: Professor, des war fei nix!