Integration: Alte Hasen suchen Job als IT-Butler

Integration von der Stange gibt es nicht, und die Software dazu muss nicht immer von den Big Five kommen. Es gibt zum Glück auch erfahrene Spezialisten.

Integrations-Spezialisten haben eine Vergangenheit und sind doch aus den Schlagzeilen verschwunden: Iona war der Corba-Anbieter (Corba = Common Object Broker Architecture), Sterling Commerce verdiente sein Geld mit der DB2-Optimierung, und die Software AG mit der Host-Sprache ‘Natural’ und dem Mainframe-Datenbanksystem ‘Adabas C’. Das heutige Paradigma lautet Service-Orientierung. Die Anbieter stellen sich darauf ein. Dabei könnte sich die Vergangenheit als Vorteil erweisen – wenn es um die Anbindung von Legacy geht.

Das jüngste Vorhaben des irischen Middleware-Anbieters Iona Technology dreht sich um einen quellcode-offenen Enterprise Service Bus (ESB). Träger des ‘Celtix’ getauften Projekts ist das Konsortium ‘Object Web’. Nach Angaben von Sean Baker, Chief Corporate Scientist und Mitbegründer von Iona, ist zum Ende dieses Jahres bereits mit einer ersten Version zu rechnen. Er betont jedoch, bei dem Open-Source-Vorhaben handle es sich keineswegs um eine minimaliserte Version von ‘Artix’, des Highend-Produkts des Herstellers für ESB. Vielmehr werde das künftige Produkt von Grund auf neu entwickelt, wenngleich Iona die Code-Basis liefere.

Zu den Kernfunktionen gehört die Unterstützung der vor kurzem verabschiedeten Spezifikation ‘Java Business Integration’ (JBI), die vom Standardisierungskomitee Java Community Process (JCP) entwickelt wurde. JBI definiert einen Standard-Container, der die kombinierte Nutzung von Komponenten unterschiedlicher Anbieter und verschiedener Integrationstechnologien ermöglicht.

Ein Integrationsbus für jedermann soll es werden

Außerdem soll Celtix den Standard ‘Web Service Description Language’ (WSDL) für die Definition von Serviceverträgen sowie Standardprotokolle wie WS-RM, JMS und HTTP unterstützen. Celtix wird auch die Anbindung per ‘Simple Object Access Protocol’ (SOAP) und XML-Payloads ermöglichen sowie Anwendungsanbindungen für Java und POJO (Plain Old Java Objects) bereitstellen. Darüber hinaus sollen Eclipse-basierte Verwaltungs- und Konfigurationstools und grundlegende Sicherheitsfunktionen vorhanden sein.

Die Open-Source-Variante soll ESB-Basisfunktionen abdecken, was heute schon eine Selbstverständlichkeit sein könnte. Dass dem nicht so ist, gesteht Ionas Cheftechniker selbst: “Wir hoffen, dass quelloffene Software die Verbreitung und Weiterentwicklung der ESB-Technologie stark beschleunigen wird.”

Tatsächlich gibt es lediglich recht unscharfe ESB-Definitionen. Gemeinhin bedienen sich die Anbieter einer Beschreibung, die von Gartner-Analysten stammt. Demnach stellt ein ESB Middleware-Funktionen zur Verfügung, die die Umwandlung von Anwendungen in Services mit Hilfe von Web-Service-Standards derart ergänzen sollen, dass eine einzige Software-Infrastruktur genügt, um alle Systeme integrieren zu können. Dazu gehören Dienste wie ‘publish and subscribe’, Versionierung, Unterstützung verschiedener Protokolle und ‘Message Queing’, sowie alles was sonst zur Skalierbarkeit, Sicherheit, Administration und Verfügbarkeit des Gesamtsystems beiträgt.

Wer sich dabei an Beschreibungen von Tools für Enterprise Application Integration (EAI) erinnert fühlt, liegt gar nicht so verkehrt. Doch sind diese Produkte zumeist älter und es liegt sehr viel Know-how in den Adaptern, auch Konnektoren genannt. Das Andocken bei ESBs funktioniert mit Hilfe standardisierter WSDL-Schnittstellenbeschreibungen. Laut Iona eignet sich ein ESB insbesondere als Integrations-Backbone, das nicht nur verschiedene Applikationen zusammenhält, sondern auch Applikations-Server, EAI-Konstrukte und Integrations-Broker wie Corba.

Corba? Oh, wie peinlich!

Für Kristof Kloeckner, Vice President IBM Tivoli Development, sind die IBM-eigenen Corba-Versuche nur noch “eine peinliche Erinnerung an den Component-Broker”. Die Komponenten seien schlichtweg zu granular gewesen, um erfolgreich zu sein. “Deswegen gefällt mir die Service-Idee so gut. Hier ist IT an den Geschäftszweck gekoppelt”, sagte er auf dem diesjährigen Karlsruher EAI-Forum und stellte die ESB-Lösung von IBM vor, sowie den Kunden Business Mart AG.

Das Stuttgarter Unternehmen betreibt seit 2000 elektronische Marktplätze und E-Business-Systeme für Handel und Industrie. ‘Nexmart’, eine Informations- und Handelsplattform für Eisenwaren, Werkzeuge und Beschläge, bietet den Kunden nun dank Service-orientierter Plattform die Möglichkeit, ihre Warenwirtschaftssysteme zu integrieren. Das Angebot nehmen bisher bereits 350 Händler wahr. Von einzelnen wird dabei eine E-Commerce-Quote von 60 Prozent erreicht.

Später versuchte Kloeckner seine eigenen Worte zu relativieren: “Ich will Corba nicht komplett ausschütten. Es gibt sicherlich ein paar Sweetspots.” Iona-Kunden tappen offenbar direkt in solche Honigtöpfe. Cheftechniker Baker berichtet, zugegeben ein wenig verschämt, dass sich erst jüngst eine große deutsche Fluggesellschaft von ‘Orbix’ überzeugen ließ. Längst gehört zum Produkt, dass sich Corba-Objekte als Web-Services präsentieren können.

ESB ist bei Big Blue kein einzelnes Produkt. Vielmehr setzt es sich aus WebSphere-, MQ- und Tivoli-Komponenten zusammen. Die Kritik von Iona-Gründer Baker an dem IBM-Angebot lautet denn auch: “Das ist kein neutraler ESB. Vielmehr gibt es ESB-Funktionen rund um Websphere.” Doch auch Artix ist mehr oder minder eine Art Baukasten, dessen Module sich die Kernfunktionalität teilen. Das liegt unter anderem daran, dass Unternehmen für SOA mehr benötigen als einen Message-Bus.

Semantik sorgt für den richtigen Blickwinkel

Bei der Software AG versteckt sich der ESB hinter der Bezeichnung ‘Enterprise Service Integrator’. Das Produkt ergänzt den ‘Enterprise Legacy Integrator’ speziell für die Integration von Host-Anwendungen, den ‘Enterprise Information Integrator’ für die Zusammenführung von Daten, sowie ‘Enterprise Process Management’, das SAG-eigene Prozess-Management-Werkzeug. Die Verbindung zwischen den Integrationsschichten Service, Information und Prozess soll ein Metadaten-Repository gewährleisten. Grundlage für das Repository bildet die XML-Datenbank ‘Tamino’.

Interessant ist auch die Integration der Semantik-Lösungen der Ontoprise GmbH.  Das SAG-Tool Information Integrator zapft Datenquellen wie Datenbanken, operative Systeme, Web Services oder XML-Dateien über eine gemeinsame Ontologie an. Dabei durchsucht die Software selbständig die angeschlossenen Datenquellen nach Informationen und stellt sie dem Nutzer in der richtigen Begrifflichkeit dar. Dadurch werde ein ‘Single View’ möglich, also der einheitliche Blick auf unterschiedliche Informationsquellen, ohne dass der Nutzer die ausgewerteten Quellen selbst durchforsten muss und ohne dass die Daten von ihrem angestammten Platz verschoben werden müssten, erläutert Christian Zimmermann, Marketing Manager XML Business Integration Zentraleuropa und Asien. Von Ontoprise stammen etwa die Modellierungsumgebung ‘OntoStudio’, mit der die zugrunde liegenden Wissensmodelle erstellt werden, und die Inferenzmaschine ‘OntoBroker’, die dazu dient, aus den Wissensmodellen logische Schlüsse zu ziehen.

Die meisten der 3000 SAG-Kunden setzen Adabas C und Natural ein. So ist es für den Hersteller unerlässlich dafür zu sorgen, dass diese Systeme in Service-Architekturen passen. Da gibt es zunächst einmal passende Adapter, eigene für IBM-Mainframes, BS2000 und VSE, Unix und AS/400 für Web-Services, Dotnet und J2EE-Umgebungen. Hierbei geht es um Programmschnittstellen und um das Einwickeln (Wrapping) von Altanwendungen, so dass sie sich integrieren lassen.

SAG interpretiert den Bildschirm

Eine zweite Möglichkeit der Legacy-Verwertung bietet nach Zimmermann der Web-Service Generator, der den Datenstrom von Bildschirmmasken abgreift. Kunde ist etwa die Bundeswertpapierverwaltung, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Sie arbeitet seit 1986 mit ‘Navis’, einem zentralen System für die Schuldbuchverwaltung auf Basis von Adabas und Natural. Die monolithische Softwarearchitektur erwies sich als ungeeignet für die gestiegenen Anforderungen von Anwendern und Kunden. Ein Projekt zur kompletten Neuentwicklung scheiterte und wurde nach negativen Erfahrungen und aus grundsätzlichen Kosten- und Risikoüberlegungen abgebrochen. Es gab aber auch keine geeignete Standardlösung.

Mit den SAG-Tools erfolgte das schrittweise Redesign Navis mit Browser-basierender Oberfläche, einer Business-Logik-Schicht für die Abbildung von Geschäftsprozessen sowie einer Persistenzschicht für die Datenbankzugriffe. Das Prozess-Management der SAG kommt übrigens aus dem Hause Fujitsu und trägt dort die Bezeichnung ‘Interstage’.

Sterling Commerce hingegen bietet seinen Anwendern eine Eigenentwicklung in Sachen Prozess-Management. Laut Michael Leuschner, der beim Anbieter für Zentraleuropa zuständige Vertriebs-Manager, dienen die ‘Business Process Services’ der regelbasierten Modellierung und Ausführung von Prozessen. Sie erlaubten eine vollständige Automatisierung sowie die Integration manueller Aktivitäten. Das Produkt gehört zu einer ganzen Integrationsfamilie, die vor kurzem noch die Bezeichnung ‘Sterling Integrator’ trug und seit kurzem als ‘Gentran Integration Suite 4.0’ angeboten wird. Sie bietet nach Anbieterangaben B2B-Kommunikation und -Management, Übersetzungen, Geschäftsintegration und Business Process Management.

Sterling Commerce: Nobody und Ballkönigin

Doch dürften wechselnde Bezeichnungen nur einer der Gründe sein, warum das Unternehmen in einer breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Zum einen ist es schon vor 30 Jahren von Sterling Williams gegründet worden. In den 80er Jahren erbrachte das Unternehmen Pionierleistungen im elektronischen Datenaustausch mit EDI-Software und -Services. Sodann wurde das Unternehmen im März 1996 im Rahmen eines Börsenganges aus Sterling Software ausgegliedert. Seit 2000 gehört es zum amerikanischen Telekommunikationsgiganten SBC Communications und zählt nach eigenen Angaben rund 29.000 Kunden sowie 1800 Mitarbeiter. Der Fokus liegt bei Kunden mit über 100 Millionen Euro Umsatz und in der “Optimierung entlang der Wertschöpfungskette”.

Stolz ist man bei Sterling Commerce auf die jüngsten Platzierungen in ‘Magischen Quadraten’ von den Analysten des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Gartner, zum Beispiel im Bereich ‘Integration Backbone Software’. Um den Status eines Marktführers zu erlangen, müssen Unternehmen in dem Bemessungszeitraum gute Leistungen erbringen, eine klare Vision der Marktentwicklung haben und aktiv Kompetenzen bilden, um ihre Marktführerschaft zu behaupten. Außer Sterling Commerce tauchen hier IBM, Microsoft, Tibco, Seebeyond, Fujitsu, Webmethods, Bea, und Oracle auf. Ganz knapp heran reicht der Herausforderer SAP. Zu den Visionären zählt Gartner Inter Systems, Sonic, Iona, Magic, Cape Clear, Vitria, Cordys, Fiorano und Polar Lake.

Zu den Kunden mit Legacy-Problemen gehört die Bundesknappschaft mir zirka 2.4 Millionen Versicherten und 15.740 Mitarbeitern. Eines der Probleme stellt die Digitalisierung und Automatisierung der Rechnungsstellung durch die Leistungserbringer dar: Krankenhäuser, Apotheken, Ärzte und Reha-Kliniken beispielsweise. Etwa 100.000 Rechnungen pro Monat wurde im Januar 2005 elektronisch verarbeitet. Die Wachstumsrate beträgt 10 Prozent.

Doch sind die Abläufe sehr komplex und die Daten sind sensibel. Die Fehlerrate war hoch und somit auch die Prozess- und Wartungskosten. Die Rechner wurden über Gebühr beansprucht und neue Anforderungen konnten weder effizient noch bei Erhalt der Stabilität umgesetzt werden.

Mit Prozess-Modellierung und -Monitoring inklusive Drill-down-Möglichkeiten im Problemfall rückt der Versicherer den Problemen zu Leibe. Schon ein Auszug aus den Maßnahmen, die notwendig waren, um den Prozess in den Griff zu bekommen, macht deutlich, dass der Einsatz einer Integrations-Suite wie Gentran zwar für die notwendige lose Kopplung sorgt, nicht jedoch von allen Schwierigkeiten befreit. Adapter mussten speziell für die Knappschaft in Java codiert und Shell-Skripte eingebunden werden, Drittanbieter-Software zur Kompression und Verschlüsselung sowie ein Mapping von Steuerdaten war notwendig.

Festzuhalten bleibt, dass Integrationssoftware nicht in jedem Fall von den Big Five kommen muss, um ein Projekt erfolgreich abzuschließen. Außerdem ist mit viel Denkarbeit zu rechnen. Integration von der Stange gibt es nicht.