Nutzerdaten: Microsofts Joker im Werbemarkt

Das Anzeigengeschäft im Internet brummt – abgeschlagen auf Platz 3 bekommt Microsoft davon vor allem Kopfschmerzen. Experimente mit Adware sollen helfen.

“Wir sind zutiefst überzeugt davon, dass die Anwender die totale Kontrolle darüber haben sollten, was auf ihren Computern läuft.” Nachzulesen ist das in einem offiziellen Statement des US-Softwarekonzerns Microsoft. Hintergrund waren aufgeregte Schlagzeilen über ein mögliches Kaufinteresse an dem Adware-Hersteller Claria – oft auch weniger höflich als Spyware-Schleuder bezeichnet. Redmond schüttelt angesichts deren Geschäftspraktiken zwar tadelnd den Kopf – arbeitet aber gleichzeitig ungerührt daran, den eigenen Nutzerdatenpool möglichst gewinnbringend für das Anzeigengeschäft von MSN zu plündern.

Schließlich gilt es, schwergewichtige Konkurrenz aus den Weg zu räumen. Google und Yahoo haben im höchst lukrativen Markt für Online-Anzeigen längst sowohl ihre Technologien als auch ihren Markennamen etabliert. Unabhängige Studien belegen, dass die MSN-Suche deutlich hinter den Fähigkeiten der Gegenspieler hinterherhinkt. Zu allem Überfluss hängt das Anzeigengeschäft von MSN mit Overture zusammen – und damit mit Yahoo.

Von dieser Abhängigkeit nabelt sich Microsoft gerade ab, um bis zum Frühjahr kommenden Jahres komplett auf eigenen Beinen zu stehen – der Vertrag mit Overture läuft im Juli 2006 aus. Der MSN-Dienst ‘adCenter’ hat in Singapur bereits im August dieses Jahres und in Frankreich im September die Pilotphase verlassen – die ersten Reaktionen sind nach den Worten von MSN-Chef Yusuf Mehdi positiv.

Werbeopfer gekonnt in den Konsum treiben

Seit Mitte Oktober läuft adCenter nun als Pilotprojekt in den USA. In der Anfangsphase können nur Unternehmen auf den Service zugreifen, die bereits MSN-Kunden sind. Die Test-Anzeigen erscheinen in rund 25 Prozent des gesamten MSN-Traffics, der Rest wird vorerst wie bisher über Overture abgewickelt.

Die Aussicht, sich die erwirtschafteten Werbegelder demnächst komplett in die Taschen stecken zu können, ist es wohl kaum, was Microsoft dazu getrieben hat, sich von Yahoo abzunabeln. Selbst Yusuf Mehdi kann derzeit nicht sagen, welche finanziellen Auswirkungen der Alleingang haben wird. Denn Microsoft bekommt bereits jetzt 80 Prozent der Gewinne, die Yahoo für das MSN-Anzeigengeschäft erwirtschaftet. Sollte es Redmond mit dem eigenständigen Vermarktungsangebot nicht gelingen, genügend Werbetreibende zu locken und gute Preise auszuhandeln, neigt sich die Waagschale schnell zu Ungunsten des Softwareriesen.

Deswegen geht es vorerst in erster Linie um die Signalwirkung in Richtung Yahoo und vor allem Google. Da gerade letztere nicht nur ihre kometenhafte Start-up-Karriere sondern auch einen Großteil ihrer anhaltenden Marktmacht dem Anzeigengeschäft zu verdanken haben, drängt sich jedoch die Frage auf, wie Microsoft das übertrumpfen möchte. Die Antwort: durch noch genaueres ‘Targeting’. Hinter diesem Begriff auf dem Werbeneudeutschen verbirgt sich die Kunst, die Zielgruppe so exakt wie möglich einzukreisen, um sie anschließend mit maßgeschneiderter Werbung in den Konsum zu treiben. Google macht das in erster Linie, indem es die Besucher seiner Seite über die gesuchten Inhalte sortiert und dementsprechende Anzeigen einblendet.

“Wir wissen, dass wir hart um dieses Geschäft kämpfen müssen”, sagte Microsoft-Manager Mehdi während einer Konferenz für Werbeprofis in New York. “Und wir glauben, dass wir den Werbetreibenden bessere Dienste bieten können, weil wir die besseren Informationen über unser Publikum haben.”

Der Rosenkrieg

Soll heißen: aus Diensten wie Hotmail oder Passport hortet Microsoft Kundendaten – beispielsweise zu Geschlecht, Alter und Wohnort – und gedenkt, diese jetzt meistbietend zu verwerten. Was das bringt, verdeutlicht ein blumiges Beispiel. Gibt ein männlicher Anwender das Wort ‘Rose’ in die Suchmaschine ein, ist es nach Meinung von Werbeprofis angebracht, die Anzeige eines Blumenversands einzublenden – sucht dagegen eine Frau nach Rosen, freut sie sich über eine Anzeige für Gartenbedarf.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum den Werbemachern angesichts von Microsofts Kundendatenpool das Herz aufgeht. “Marketing-Profis im Bereich Online-Suche können offenbar nie genügend Traffic bekommen”, so Danny Sullivan, Herausgeber des Online-Dienstes Search Engine Watch, gegenüber der New York Times. “Ich kenne niemanden, der MSN nicht ausprobieren wird.”

Ganz hervorragend sei auch das geplante Niveau, das Microsoft bieten wird, um die Werbetreibenden über den Erfolg  ihrer Kampagne zu informieren. Niveau heißt in diesem Fall, detaillierte Informationen über die Nutzer, die sich von den Anzeigen haben anlocken lassen.

Google demonstriert angesichts derartiger Drohgebärden Gelassenheit. Demographische Daten seien für maßgeschneiderte Werbeeinblendungen nicht nötig – durch die eingegebenen Suchbegriffe machten die Anwender deutlich genug klar, für was sie sich interessierten. Außerdem: “Wir sind sehr stark auf den Datenschutz bedacht”, sagt Tim Armstrong, Vice President für das Werbegeschäft bei Google. Theoretisch gebe es in der Datenschutzrichtlinie des Konzerns jedoch keine Klausel, die den Einsatz personenbezogener Daten verbietet, ergänzt jedoch ein Sprecher – vorsichtshalber.

Manege frei für Microsoft

Das Jonglieren mit solchen Daten ist jedoch nur einer von vielen Tricks, mit denen Microsoft versucht, Star in der Internet-Manege zu werden. Denn auch die jüngste Umstrukturierung lässt interessante Rückschlüsse zu. Demnach gehört MSN nämlich seit neuestem zum selben Geschäftsbereich, dem auch Windows und andere Software-Produkte angehören. MSN könnte in Zukunft so beispielsweise als Online-Distributionskanal für Windows-Features hergenommen werden. Und nicht nur das.

“Wir denken daran, Software anzubieten, die werbefinanziert ist”, sagt Mehdi. Dieser Schachzug könnte adCenter eine enorme Schlagkraft bescheren. Die Idee einer solchen Koppelung ist nicht neu – sie bildet die Grundlage für den Erfolg von Claria.
Das Unternehmen bündelt seine Pop-up-Anzeigen mit kostenlosen Softwareprogrammen wie P2P-Services. Zwischen 2002 und 2004 kletterte der Umsatz von 15 auf 90 Millionen Dollar. Mit dem notwendigen Einverständnis der Nutzer nahm man es allerdings bis vor kurzem nicht so genau. Auch wenn Microsoft voraussichtlich mehr Feinsinn und Offenheit an den Tag legen wird, das Prinzip bleibt das Gleiche.

Welche Software genau Microsoft auf diesem Weg kostenlos zu machen gedenkt, steht noch nicht fest. Angedacht seien Spiele und Consumer-Produkte. Mehdi erläuterte auch nicht näher, wo die Anzeigen in werbefinanzierter Software auftauchen sollen – integriert in die Programme oder als separate Applikation. Am Ende steht so oder so eine werbefinanzierte Software-Distribution, bei deren Vermarktung auch bereits gesammelte Kundendaten einfließen könnten. Es braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass sich das Geschäftsmodell des Adware-Herstellers Claria hier lückenlos einfügen würde.

Doch bei Microsoft ist man nicht bereit, Überlegungen in diese Richtung zu kommentieren. Im Moment stehe “niemand für ein Gespräch zur Verfügung”, hieß es auf Anfrage von silicon.de. Das eingangs zitierte Statement, auf das verwiesen wird, hilft auch nicht viel weiter. Darin rechtfertigt sich der Konzern nur dafür, dass Microsofts Anti-Spyware-Programm Claria-Programme nicht mehr mit dem Hinweis ‘Löschen’ sondern ‘Ignorieren’ versieht. Kein Wort jedoch darüber, ob das Interesse an dem Adware-Hersteller jemals tiefer ging – aber auch kein Dementi. Auch Claria zeigt sich ebenfalls zugeknöpft. Zunächst wurde zwar ein Interview zugesichert, auf weitere Nachfragen reagierte das Unternehmen jedoch plötzlich nicht mehr. Wie heißt es so schön: Manches Schweigen ist eine beredte Antwort.