“Das Geld ist überwiesen, jetzt reden wir über Integration”

Das Ehepaar Fleury, Gründer des Open-Source-Anbieters JBoss, sprach mit silicon.de über die Strategie nach der Akquisition durch Red Hat.

Die diesjährige Entwickler- und Anwenderkonferenz ‘JBoss World’ in Las Vegas begann Marc Fleury mit den Worten: “Die Übernahme durch Red Hat ist offiziell abgeschlossen, das Geld überwiesen – jetzt können wir über Integration reden.” Auf der Produktebene kündigte der jetzige Senior Vice President und Geschäftsführer der Red-Hat-Abteilung JBoss sodann ein Bündel aus Red Hats Linux-Distribution, dem JBoss-Applikationsserver und dem Persistenz-Framework Hibernate an sowie eine gemeinsame, agentenbasierte Software für das System- und Applikations-Management-System. Darüber, welche Auswirkungen das Verweben von Produkten und Organisation für JBoss-Kunden und -Partner haben werden, gaben Marc Fleury und seine Frau Nathalie Mason-Fleury, die JBoss mitgegründet hat und für die Kommunikation verantwortlich ist, im Interview Auskunft.

silicon.de:  Herr Fleury, wie fühlt es sich an, wenn man gerade noch Chef einer eigenen, aufstrebenden Open-Source-Firma war, und nun an einen Red-Hat-Chef berichten muss?

Marc Fleury:  Es ist ja nicht so gewesen, dass ich eine Firma besessen hätte. Es gab zum Beispiel Geschäftsführer, Produkt – und Projektleiter, die bereits viel Verantwortung trugen. Zugleich musste ich aber auch viele Dinge machen, die mir nur wenig Spaß gemacht haben. Jetzt habe ich einen Chef, der das Geschäft am Laufen hält und ich bin sehr glücklich.

silicon.de:  Einmal abgesehen von persönlichen Gründen: Warum haben Sie JBoss verkauft?

Marc Fleury: Wir brauchten Geld.

silicon.de: Wofür?

Marc Fleury:  Wir mussten in den Ausbau unserer Infrastruktur investieren, zum Beispiel um in vielen Gegenden die regionale Präsenz zu erhöhen. Außerdem  soll sich unser Produktportfolio erweitern. Wenn wir aber an die Börse gegangen wären, hätte das zu viel Zeit in Anspruch genommen, mindestens 18 Monate. Selbst wenn wir das geschafft hätten, wäre das Ziel noch immer schwer zu erreichen gewesen: Wir wollten schlichtweg, dass Cash fließt und wir investieren können.

Nathalie Mason-Fleury: In Red Hat haben wir den idealen Partner gesehen, weil das Unternehmen ebenfalls eine reine Open-Source-Company ist, so dass die Eingliederung wenige kulturelle Konflikte erwarten lässt.

silicon.de:  Sie bezeichnen den Aufkauf durch Red Hat als “ideale Heirat”, auch weil sich die Produktlinien hervorragend ergänzten. Doch hätte es nicht bessere Kandidaten gegeben? JBoss hat beispielsweise in Europa und speziell in Deutschland seine größte Anhängerschaft, wo die Suse-Distribution von Novell eine wesentliche Rolle spielt, ein JBoss-Partner, der im vergangenen Jahr noch zu den Sponsoren dieser Veranstaltung gehörte. In diesem Jahr jedoch nicht.

Marc Fleury:  Erstens hoffe ich, dass wir weiterhin mit Novell arbeiten werden und zweitens hätte es eine Reihe von Firmen gegeben, die besser ins regionale Profil gepasst hätten, aber nur wenige, die reine Open-Source-Unternehmen sind.

silicon.de:  Bisher haben Sie Wert darauf gelegt, kein Software-Distributor wie Red Hat oder Suse zu sein. Ändert sich das nun? Ist das angekündigte Bundle der erste Schritt in eine solche Richtung?

Marc Fleury:  Das Bundle-Geschäft ist zwar neu für uns, aber kein Abschied. Bisher waren wir immer stolz darauf, nur unser eigenes Know-how anzubieten, wie es etwa auch MySQL mit der Datenbank macht, und keine Fremdentwicklungen geschickt zu verpacken. Ein Bundle mit der Linux-Distribution ist nur ein Angebot unter anderen, das sich speziell an die Channel-Partner richtet, die nach der Akquisition so etwas von uns erwarten. Es wird kein ‘Friss-oder-stirb’ von uns geben. Das könnten wir uns gar nicht erlauben. Immerhin setzt fast die Hälfte unserer Kundschaft Windows ein, aber nur 37 Prozent nutzen ein Linux.

Nathalie Mason-Fleury:  Nicht einmal unsere Hibernate-Kunden setzen unseren Applikations- oder Web-Server ein. Alles wird auch weiterhin getrennt zur Verfügung stehen.

silicon.de:  Wie steht es mit dem Pricing? Manche Kunden fürchten schon jetzt, mit der Nutzung von Red-Hat-Ressourcen für die Kundenbetreuung könnte sich das Preisniveau für den JBoss-Support auf einen höheren Level bewegen. So erzählt ein Kunde wörtlich: “Wir haben Red Hat wieder abgeschafft, als wir gemerkt haben, dass uns das Linux teurer kommt als Windows-Lizenzen mit allem Drum und Dran. Die JBoss-Preise brauchen sich nicht an Red Hat zu orientieren.”

Marc Fleury:  Tatsächlich leitet sich der Bundle-Preis von dem CPU-basiertem Pricing ab, das die Kunden von Red Hat her schon kennen. Doch noch einmal: Das Bundle ist ein Angebot speziell für die Integrations- beziehungsweise Support-Partner von Red Hat und JBoss. Ansonsten ändert sich für die JBoss-Produkte nichts.

silicon.de:  Welche Bundles kommen als nächstes? Vielleicht branchenorientierte Lösungen?

Marc Fleury:  Unser Geschäft ist und bleibt Open Source. Deshalb werden wir das anbieten, was die Kunden wollen. So hat rund 90 Prozent unserer Klientel eine Oracle-Datenbank im Einsatz. Wenn es also Sinn machte, sprich: gewünscht wäre, böten wir selbst ein Bundle mit Oracle-Datenbanken an.

silicon.de:  Apropos Oracle: Nachdem im April die Akquisition durch Red Hat angekündigt worden war, gab es insbesondere von Oracle-Chef Larry Ellison heftige Reaktionen. Unter anderen überlegte er öffentlich, sich ein eigenes Betriebssystem zulegen zu wollen. Seither reißen die Mutmaßungen, Oracle könne eventuell Novell oder gleich Red Hat übernehmen zu wollen, nicht ab.

Marc Fleury:  Ja, es gab eine Menge Wirbel. Aber nun ist es wieder still geworden. Larry Ellison liebt die Open-Source-Idee, aber Oracle hat ja die Middleware ‘Fusion’. Doch sein größtes Problem ist SAP, und zwar nicht deren Middleware, sondern die Tatsache, dass die Software in höchstem Maße integriert ist. Hier steckt die Herausforderung für Oracle.

silicon.de:  Analysten meinen, Red Hat im Rücken zu haben verhelfe JBoss vielleicht zu dem Vertrauensvorschuss, der notwendig ist, um ins High End des Marktes vorzudringen.

Marc Fleury:  In diesem Marktsegment bewegen wir uns schon seit zwei Jahren. Die Partnerschaft mit IBM hat uns dabei geholfen. Jetzt wird uns Red Hat helfen. Der Punkt aber ist, dass Anwender tatsächlich Open Source wollen.

silicon.de:  Der JBoss-Umsatz stammt hauptsächlich von den 700 Subskriptions-Kunden, die sich den Support durch JBoss leisten. Die Zahl klingt nicht gerade beeindruckend.

Nathalie Mason-Fleury:  Das sind gleichsam 4000 Nutzer. Damit sind wir höchst profitabel und eine sehr sexy Firma.

silicon.de:  Was halten Sie eigentlich von den Bemühungen der Anbieter kommerzieller Software, die sich auch im Open-Source-Umfeld tummeln?

Marc Fleury:  Tatsächlich scheint die freie Verfügbarkeit von Software für viele Anbieter irgendwie hipp zu sein. IBM hat eine Menge für Open Source bewirkt, allerdings möchte Big Blue auch den Eindruck erwecken, alles was quelloffen und frei verfügbar daherkommt, sei irgendwie schmutzig und müsse erst einmal durch einen IBM-Waschgang blau eingefärbt und damit veredelt werden. BEA Systems aber wirft nur sein wertloses Zeug in den Open-Source-Markt und der Chef Alfred Chuang sagt dann: “Schaut her, wir wissen wie man’s macht!” Da muss sich doch jeder fragen, warum er das nötig hat.

silicon.de:  BEA-Systems-Mitarbeiter deuten indes an, wenn es um die Gesamtkosten für Lizenzen, Wartung und Support ginge, stünde das eigene Portfolio viel besser da als die JBoss-Angebote.

Marc Fleury:  Pah! BEA Systems führt immer nur eine Studie ins Feld, in der es um ihren Applikationsserver ging, der gerade einmal auf zwei CPUs installiert war. Eine derartige Skalierung ist geradezu lächerlich und andere, höhere Dimensionen haben die Studienmacher ganz einfach unterschlagen.

silicon.de:  Außerdem weisen die BEA-Systems-Werbetrommler genüsslich darauf hin, dass dem JBoss-Produktportfolio ein Enterprise Service Bus (ESB) fehle. Gemeinhin dient ein ESB als Backbone für serviceorientierte Architekturen (SOA) und kann Applikationsserver ersetzen.

Marc Fleury:  Wir haben drei Jahre auf ein solches Bus-System hinentwickelt. Herausgekommen ist die JBoss Enterprise Middleware Suite (JEMS), unser SOA-Stack. Und nun haben wir von einem Kunden, einer kanadischen Versicherung, einen ESB gekauft.

silicon.de: Mit einer Produktfreigabe ist im Winter dieses Jahres zu rechnen?

Marc Fleury: Ja, aber die Versicherung hat den Bus schon seit drei Jahren im Einsatz. Kein BEA-Kunde kann den ‘Aqua-Logic-Bus’ so lange nutzen; den gibt es erst seit einem Jahr.

silicon.de:  Im September des vergangenen Jahres war eine hitzige Diskussion über die Lesser GPL für den Application Server entstanden, nachdem der frühere JBoss-Projektpartner Richard Öberg Ansprüche daran geltend gemacht hatte. Lizenz-Streitigkeiten scheinen das Open-Source-Modell immer wieder in den Grundfesten zu erschüttern.

Mark Fleury:  Ach Papperlapapp. Lizenzstreitigkeiten gibt es im Open-Source-Umfeld keinesfalls mehr als im traditionellen Software-Entwicklungs- und -Vermarktungswettbewerb.

Natahlie Mason-Fleury: Die ganze Aufregung war recht surreal.

Mark Fleury: Es hat sich damals schlichtweg darum gehandelt, dass uns jemand beklauen wollte. Es ging um Dokumentationen und Schulungsmaterial, an dem JBoss die Rechte hat. Natürlich konnte und kann jedes Unternehmen hingehen und JBoss-Training anbieten – aber doch nicht unter der Fahne eines zertifizierten Partners. Darum aber ging es und darum, dass andere Partner, die tatsächlich von uns einen Qualitätsstempel bekommen hatten, sich darüber beschwert haben.