Open Source hinkt bei Anwendungen hinterher

Im Bereich Infrastruktur haben Open-Source-Projekte inzwischen ihren Platz neben kommerziellen Produkten. Applikationen, mit denen geschäftskritische Prozesse abgebildet werden, stammen jedoch nur selten aus der Community.

Linux, speziell die Enterprise Server von Red Hat und Novell, sind gute Beispiele für ausgereifte Produkte, die den Vergleich mit proprietären Plattformen nicht zu scheuen brauchen. Der LAMP-Stack (Linux, Apache, MySQL und PHP/Pearl oder Python) gilt inzwischen als das “Betriebssystem des Internets”. Der Kauf des Open-Source-Middleware-Spezialisten JBoss durch Red Hat zeigt, dass es im Bereich Open Source Middleware weitere Entwicklungen geben wird.

Bei Datenbanken können Open-Source-Projekte noch bis zu einem gewissen Grad mit kommerziellen Anbietern wie Oracle, IBM oder Microsoft mithalten. Klettert man die Leiter des OSI-Modells (Open Source Initiative) weiter nach oben, wird die Luft für Open Source immer dünner. “Es tut sich ein Graben auf zwischen privaten Anwendungen und Open-Source-Applikationen”, kommentierte Jeff Smith, IBM Vice President Open Source and Linux Middleware, auf der Konferenz ‘Open Source meets Business’ in Nürnberg.

Ins gleiche Horn stößt auch Martin Fink, Senior Vice President and General Manager Business Critical Systems bei Hewlett-Packard. “Auf Applikations-Ebene steht noch ein weiter Weg bevor. Hier muss noch viel getan werden.”

Fink erklärt auch, warum sich die Open-Source-Gemeinschaft hier so schwer tut und warum es zu diesem ‘Application Layer Gap’ kommt. “Das liegt zu einem guten Teil an der Größe der Community.” Grundlegende Technologien wie Betriebssysteme und andere Infrastrukturlösungen würden im Grunde alle betreffen. Daher sei die Community gerade hier sehr stark. “Eine Anwendung birgt aber immer eine gewisse Spezialisierung”, erklärte Fink. Durch die Spezialisierung teilt sich auch das Interesse der teilnehmenden Entwickler auf verschiedene Projekte auf, wodurch sich letztlich die Entwicklergruppen reduzierten.

Wegen dieses Application Layer Gap dürften gewerbliche Anwender sich nicht polarisieren lassen, warnte IBMs Smith. Unternehmen sind nach wie vor gezwungen, Open Source und kommerzielle Software – ‘private’ Software, wie Smith es nennt – Seite an Seite gemeinsam einzusetzen. Jedoch ist auch in diesem Fall das Ende der Entwicklung noch nicht abzusehen. “Bei der Interoperabilität zwischen Open Source und privater Software sind wir noch immer in einer Phase des Lernens”, gesteht Smith. Nach wie vor sei noch nicht klar, welches Modell für Integration und Interoperabilität das beste sei.

Andererseits lasse sich nicht jedes Produkt wirtschaftlich in ein offenes Projekt überleiten, ergänzte Fink im Rahmen einer Podiumsdiskussion. “Es kostet uns gewaltige Summen, den Code zu überprüfen, den die Entwickler einschicken.” Der Code müsse auf die Verletzung geistigen Eigentums und auf andere Dinge hin untersucht werden, deswegen sei oftmals eine geschlossene Entwicklung unterm Strich billiger. 

IBM und HP jedoch bauen bereits ihr Geschäftsmodell auf dem Problem der Interoperabilität zwischen diesen beiden Welten auf. Beide bieten Services für Unternehmen, bei denen verschiedene quelloffene Programme mit den kommerziellen Produkten der Hersteller integriert werden. So können sich HP und IBM einerseits dem offenen Modell zuwenden und davon technologisch, aber auch in Hinsicht auf Image-Bildung und Marketing, profitieren. Auf der anderen Seite erwirtschaften sie mit dem Verkauf von Services und Software-Lizenzen weiterhin Umsätze.

Den größten Vorteil dieses Modells sieht Smith darin, dass die Verbreitung von Open Source Software auch offene Standards fördert und verbreitet. “Das ist essentiell”, kommentierte Smith. “IBM kann für schuldig befunden werden, den Fehler gemacht zu haben, die Anwender in proprietäre Strukturen einzusperren. Wir haben aber erkannt, dass wir mit dieser Strategie auf dem Markt nicht überleben können.”

Daher rät der IBM-Manger den Anwendern, auf jeden Fall bei ihren Anbietern auf offenen Standards zu beharren, um auch weiterhin eine Wahlmöglichkeit zu haben und flexibel zu bleiben.