Stasi 3.1

Es gibt Wörter, die stoßen einem einfach auf. Am Dienstag etwa, da hat sich ein Oppositionspolitiker in Österreich zur dortigen Diskussion um ein Rauchverbot geäußert. Er halte die Vorstellungen der Regierungspartei SPÖ hierzu für “totalitär”, ließ er per Pressemitteilung verbreiten.

Oder: die Welt. Die druckte ein paar Tage zuvor unter der Überschrift “Der Staat, eine Räuberbande” den Gastkommentar eines Autors ab, als dessen Berufsbezeichnung sie “Wirtschaftsphilosoph” angab.

Gerd Habermann heißt der Mann. Ein Name, den man sich ebenso wenig wie den Inhalt des Kommentars merken muss.

Aber seine Wortwahl ist bemerkenswert. Der Fiskus sei “totalitär” geworden, schreibt der kriminalistisch ambitionierte Wirtschaftsphilosoph. – Da fragt man sich schon: Gibt’s sowas denn überhaupt noch?

Früher war die Totalitarismus-These ja weit verbreitet, und unzählige wissenschaftliche Abhandlungen sind zum Thema verfasst worden. Die verstauben mittlerweile alle in irgendwelchen Universitätsbibliotheken.

Die Autoren liefern darin jeweils in gesetzten akademischen Worten eigene – und meist auch eigenwillige – Definitionen, was unter dem Gegenstand ihrer Betrachtungen zu verstehen ist. Für die Praxis bewährt allerdings hat sich die schlichte Faustregel: Wenn jemand einer totalitären Ideologie anhängt, erkennt man dies unschwer daran, dass er äußerst verquer daherredet.

Ein Beispiel: “Alles für das Wohl des Volkes”. Sowas ist doch eindeutig! – Eine kommunistische Parole. In dem Fall das Motto des 10. Parteitags der SED von 1981. Zum Glück redet heutzutage kaum noch jemand so verquast.

Zwar werden auch heute noch Slogans verbreitet, aber die sind nicht unfreiwillig komisch, sondern möchten es lediglich gerne höchst absichtsvoll sein. “Wir sind Auto”, wirbt etwa ein Allgäuer Autohändler oder mit “Wir leben Werbung” eine Oranienburger Agentur.

Bei diesem Slogan allerdings kommt man doch ins Grübeln. Die Agentur verlangt von ihren Angestellten schließlich nicht nur, dass sie Werbung gestalten und vielleicht noch platzieren, sondern dass sie sie leben. Das ist schon ein umfassender Anspruch. Man könnte ihn auch totalitär nennen.

Tatsächlich allerdings dürfte es praktisch nicht gar so schlimm sein. Wohl keiner der Oranienburger Werbe-Lebemänner wird beim Feierabendbier über das Firmenmotto sinnieren. Aber das war ja auch in totalitären Staaten so: Kaum jemand hat die offiziellen Sprüche ernst genommen. Nur: Etwas dagegen sagen durfte man halt nicht.

Und so verhält es heute auch mit den Botschaften, die Unternehmen ausgeben. Es wird wohl keinen bei Sun Microsystems geben, der sagt, dass er dort nur seinen Job mache und Thin Clients verkaufe, weil der Konzern das gut für sein Server-Geschäft hält. Er persönlich finde aber ordentliche Windows-PCs sehr viel besser. Sowas ginge nicht.

Oder IBM: Veranstaltungen für die meist etwas alternativ angehauchte Open Source Community stellt der Konzern gerne unter das Motto: “Love, Peace and Linux”. Seine lukrativsten Aufträge allerdings bekommt er vom Pentagon. Die nächste Generation des Power-Prozessors beispielsweise ist gerade erst in der Entwicklung. Die DARPA aber hat bereits geordert.

In George Orwells Wahrheitsministerium hätte man sich keine sophistischere Sprachregelung zur Rolle von IBM als Peacemaker ausdenken können.

Sprachregelungen sind überhaupt die Kernelemente der Unternehmenskommunikation und etwas, das man ebenfalls von kommunistischen Staatsparteien her kennt. Die Technik besteht darin, aus einer zu kommunizierenden Textsequenz eine eventuell vorhandene Aussage herauszunehmen und dafür Emphase hineinzulegen.

Diese Woche etwa verbreitete ein Internet-Marktforschungsunternehmen Namens Mindtake per Pressemitteilung an Interessierte wie Desinteressierte, dass es auch Preisnachlässe auf seine Online-Befragungen einräumt. In der Mitteilung “kommentiert” der Geschäftsführer Klaus Oberecker: “Viele unserer Auftraggeber sind sehr erfreut, ein weiteres, effektives und kostengünstiges Umfrage-Instrument für den Online-Bereich zu haben”.

Hätte der Delegierte Oberecker in diesem Duktus weiland vor der Partei der Arbeit Albaniens gesprochen – selbstverständlich auf Albanisch und zu einem anderen Thema, aber genauso inhaltsleer – das Protokoll hätte sicherlich wie seinerzeit üblich vermerkt: “Beifall, stehend – Ovationen, nicht enden wollend”.

Nun mag man einwenden, dass im Totalitarismus alles im Einheitsgrau daherkommt, in einer unternehmerischen Marktwirtschaft hingegen alles bunt sei. – Aber das stimmt nicht.

Das Service-Personal bei MacDonald’s ist ebenso uniformiert wie es damals die Halbwüchsigen in Maos Roten Garden waren. Überhaupt ist der Uniformenverbrauch der hiesigen Wirtschaft deutlich höher als jener der Bundeswehr. Nur, dass die einzelnen Uniformteile halt nicht bloß oliv sind.

Und dass die Stasi ein USP der DRR gewesen sei, glaubt inzwischen auch keiner mehr.

Nein, damit ist nicht die Stasi 2.0 gemeint, wie manche gern Wolfgang Schäuble bezeichnen. Der ist etwas anderes. Niemand mag das vielleicht so sehr bedauern wie er selbst. Aber er ist Minister in einer Demokratie. Und deshalb muss er es sich gefallen lassen, dass er mit seinen Orwellschen Phantasien nicht durchkommt (mit einigen zumindest).

In einem Unternehmen hingegen gibt’s keine Demokratie. Deswegen konnten beim Lidl Detektive auch ungehindert die Angestellten überwachen.

Diese Woche hat der Konzern sich bei ihnen “ausdrücklich” dafür entschuldigt – ebenfalls wieder mit dem äußerst verqueren Produkt einer Sprachregelung: “Der erweckte Eindruck, Lidl hätte seine Mitarbeiter systematisch ‘bespitzelt’, entspricht in keinem Fall dem gelebten fairen Umgang des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern.”

Ja was jetzt? fragt man sich da doch, haben sie nun und müssen sich deswegen entschuldigen, oder haben sie nicht und müssen deshalb auch nicht?

Rein sprachlich war einem da das “ich liebe doch alle” von Erich Mielke (zur Rechtfertigung der Stasi am 13.11.1989 vor der Volkskammer der DDR) noch lieber.

Besagten Eindruck erweckt haben übrigens Journalisten des Stern. Gut, dass es Journalisten gibt!

Solche wie den Schreiber nennt man gemeinhin sogar Fachjournalisten. Die allerdings erwecken selten einen unliebsamen Eindruck. Sie lassen vielmehr Pressemitteilungen wie jene von Mindtake in ihre Blätter laufen.

Dass sie einen Großteil ihrer Zeit auf diese Art von Tätigkeit verwenden, kann man einfach überprüfen, indem man nach einem beliebigen IT-Thema im Web sucht. Man wird in der Regel mindestens ein halbes Dutzend wortgleiche Fachartikel und die zugehörige Pressemitteilung finden.

DDR-Journalisten wiederum, welche das nicht mit Unternehmensmeldungen, sondern mit Parteitagsresolutionen so hielten, bezeichnete die SED als: “Unsere Presse – Die schärfste Waffe der Partei”.

Also man sieht halt wieder: Wenn man sich auf diese Totalitarismus-Vergleiche einlässt, kommt man nur auf ganz schlimme Gedanken.