Neue Normalität: Alles wird zum Verwechseln anders

Neue Normalität (New Normal) heißt die Sau, die von McKinsey seit dem Frühjahr durch die Wirtschaft und jetzt auch durch die IT gejagt wird. Eine erste Kurzerklärung aus dem Management von Computacenter (“Alles wird ein bisschen weniger”) scheint alle Vorurteile zu bestätigen: Aha, die Personalreduzierer raten zur nächsten Kündigungswelle. Nun, in den USA wurden schon viele Stellen weggeschwemmt und trotz mancher Lichtblicke kann das auch uns noch blühen.

Aber nein. So war das nicht gemeint, denn dann hätte sich ja gar nichts geändert. Tatsächlich tauchen im Originaltext von McKinsey Mitarbeiter gar nicht auf – was auch einiges sagt. Sind eigentlich McKinsey-Berater fest angestellt oder gibt es sie nur, weil sie auf Provision in den Kundenunternehmen neben Sparpotenzial auch einen etwas seriöseren Job finden könnten?

Das Hewlett-Packard-Management deutet sich die neue Normalität ebenfalls fern vom Orginaltext: “Die IT muss sich an ein Wirtschaftsumfeld gewöhnen in dem es Auf- und Abschwung gibt.” Der Satz aus dem Kapitalismus-Grundkurs, klingt zwar normal, aber nicht wirklich neu. Vielleicht wurde hier der Essay mit einer Hausbroschüre verwechselt.

Aktuelle Umfragen des ifo-Instituts lassen auf eine lukrative Normalität hoffen, die zwar terminlich neu anrückt, sich sonst aber auf die guten alten Zeiten vom vergangenen Jahr bezieht. Danach ist die Stimmung in der Wirtschaft schon wieder fast so gut, wie vor der Krise.

“Wir sind Teil der Lösung”, verkündet etwa der ITK-Verband Bitkom – erleichtert, dass es dieses Mal keine Mitglieder des Branchenverbands waren, die die Blase künstlich aufblähten oder zum Platzen brachten. Cisco-Geschäftsführer Michael Ganser greift über die eigene Industrie hinaus und warnt vor der typisch deutschen Jammerei, schließlich seien ein Drittel der hiesigen Unternehmen von der Rezession gar nicht betroffen gewesen. Angesichts der Schwierigkeiten bei den restlichen zwei Dritteln fragt man sich, ob Ganser seine gute Laune aus der Gewohnheit zieht, fast leere Biergläser in kleine chinesische Teetassen umzuschenken, wo es dann auch wieder schön schäumt.

Ähnlich zweideutig frohlockte Microsofts Mittelstandschef Martin Berchtenbreiter: “Windows 7 ist ein Erfolg”. Abgesehen davon, dass es für eine Windows-7-Bilanz etwas früh ist, handelt es sich bei den jetzigen Abverkäufen um eine Sonderkonjunktur, in der ein durch das Vorgängersystem Vista verursachter Investitionsstau abgebaut wird. Und wer weiß, ob die Welt angesichts von Googles billig verchromten Wolken-OS noch ein Windows 8 braucht.

Aber zurück zur künftig neuen Normalität: Besonders vertrackt fiel die Deutung des Computacenter-Chefs Oliver Tuszik aus: “Bei uns gab es (immerhin im Krisenjahr) 2009 keine Einbußen. Es wird nicht schlechter, aber es wird auch nicht wieder normal.” Welche Normalität ist es, die Tuszik hier vermisst? Wünscht er sich Verluste oder ein paar hübsch-lukrative Spekulationsblasen?

Nein. Tusik gibt sich als Kunden- und Partner-Flüsterer: Er habe verstanden, gesteht er, dass es seine Branche gewesen ist, die den Anwendern mit immer neuen Innovationen einen schwer beherrschbaren IT-Verhau aufgehalst hat. “Nun ist es unsere Aufgabe, dieses Problem zu lösen.” Dazu gehöre einerseits, dass man künftig nicht mehr Technik, sondern Lösungen für Businessaufgaben anbiete und zudem den Kunden hohe Einstiegsinvestitionen erspare – die sie in schwierigen Zeiten nicht leisten können oder aus gesundem Misstrauen gegen die Service-Innovation nicht leisten wollten. Seine Lösung: “Wir übernehmen die Einstiegskosten und berechnen Festpreise über die Laufzeit des Vertrags.” Man müsse bei Partner- und Kundenprojekten finanzielles Risiko mit übernehmen. “Machen wir längst”, tönt das gelangweilte Echo von HP, Microsoft, Adobe & Co.

Näher in Richtung McKinseys neuer Normalität bewegt sich ifo-Chef Hans-Werner Sinn, wenn er die hauseigenen Umfragen (siehe oben) in den Wind schlägt und seine Sicht der Dinge an eine imaginäre Bergwand menetekelt: “Wir sind an der Steilwand abgestürzt und klettern langsam wieder hoch. Aber wir können jederzeit wieder fallen.” Mit diesem Bild bettelt Sinn – bis vor kurzem gerade aus seinem Mund undenkbar – um eine Verstaatlichung (!) knausriger Banken. Recht hat er insofern, dass die Banken derzeit Kredite quasi zum Nulltarif erhalten, ihn aber nur zögerlich und teuer an Kunden vergeben.

Tatsächlich sagt McKinsey über die Neue Normalität nach der Krise in aller Kürze zweierlei:

  • Es wird weniger Fremdfinanzierung geben. Das, so merkt der Autor kritisch an, komme Firmen zugute, die ihr Einkommen auf “altmodische Weise” durch Produktivitätszuwächse erwirtschaften.
  • Der wirtschaftliche Einfluss der Regierungen (siehe Sinn) steigt.