Krabbelnde Chaos-Kontrolle aus Göttingen

Der autonome Laufroboter AMOS krabbelt nach dem Vorbild von Insekten auf sechs Beinen und wechselt dabei je nach Situation flexibel die Gangart. So kann er sich befreien, wenn er in ein Loch getreten ist oder lernt, Steigungen in einer energiesparenden Gangart zu erklimmen. Dahinter steckt das Prinzip der “Chaos-Kontrolle”. Im Interview mit silcion.de erklärt Professor Marc Timme, vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, wie das kontrollierte Chaos den Roboter in Gang hält.

silicon.de: Wo kann ein solcher Roboter zum Einsatz kommen?

Professor Timme: Einen Roboter, der autonom (d.h. ohne direkte menschliche Kontrolle, sondern aufgrund seiner eigenen sensorischen “Wahrnehmung”) ein so vielfältiges Verhaltensspektrum zeigt, hat es bisher nicht gegeben.

Auch die Biologie wirft hier Fragen auf. Einige Insekten haben nur etwa 100 Nervenzellen zur Kontrolle ihres Bewegungsverhaltens, sind jedoch in der Lage viele verschiedene Verhaltensweisen zu zeigen. Es ist bisher nicht endgültig geklärt, wie dies mit so wenigen Nervenzellen möglich ist. Unsere Arbeit bietet hier einen Ansatz für eine Erklärungsmöglichkeit, auch wenn sie nicht eins zu eins übertragbar ist.

Konkrete Anwendungen für das tägliche Leben haben wir zwar noch nicht entwickelt, die technologische Methode ist jedoch allgemein einsetzbar. Schon frei verfügbare Haushaltsroboter, zum Staubsaugen zum Beispiel, sind zwar teilweise autonom, d.h. sie fahren nicht gegen die Wand und fallen auch nicht die Treppe herab (meistens), aber wirklich flexibel sind sie noch nicht. Hier besteht sicherlich Entwicklungspotential.

Wenn Sie an die Katastrophe in Haiti denken, wird schon eher klar, wo weitgehend autonome System gebraucht werden können. Ein Roboter könnte zum Beispiel die Aufgabe übernehmen, in einem einsturzgefährdeten Gebäude nach Überlebenden zu suchen. Er stieße hier auf unbekanntes Gelände und müsste sich durch geschickte Kombination verschiedener Fortbewegungsarten und Verhaltensweisen einen Weg erarbeiten. Auch beim Marsroboter ist autonome Bewegung notwendig, da Sie ja die Marsoberfläche nicht genau vorher kennen und also auch nicht vorprogrammieren können. Ich denke aber nicht, dass sich die NASA nun direkt an uns wendet – in fünf Jahren vielleicht, wenn die Forschung noch etwas weiter vorangeschritten ist.

silicon.de: Wo ließe sich diese Technik theoretisch noch einsetzen?

Professor Timme: Chaos-Kontrolle ist quasi in allen chaotischen Systemen auf Recht einfache Weise möglich und unsere Idee ist hier sehr flexibel. Daher lässt sich die Kontrolle in vielen verschiedenen Laufrobotern anwenden, auch in vierbeinigen, oder zweibeinigen zum Beispiel. Auch dort, wo Autos oder Fahrräder gesteuert oder andere regelmäßige Bewegungsabläufe geregelt werden müssen, kann die Technik zum Einsatz kommen. Die Arbeitsgruppe meines Kollegen Florentin Wörgötter beschäftigt sich derzeit mit Methoden, Orthesen (das sind mechanische Unterstützungen für Arme oder Beine für Menschen mit Bewegungseinschränkungen) adaptiv zu steuern.