Audrey und das Rätsel der verschwundenen IT, Teil 6

Was bisher geschah: Die Chefredaktion des IT-Nachrichtenmagazins “Blue” hat mir den Auftrag erteilt, dem Verschwinden der IT auf den Grund zu gehen. Bei meinen Recherchen komme ich nicht weiter: Einer meiner Journalisten-Kollegen – eine investigative Spürnase – ist ebenfalls verschwunden, ein zweiter erschossen worden.

In einem Münchner Café plane ich die nächsten Schritte. Mit der Linken winke ich die Bedienung heran. Die Wintersonne heizt der Sitzecke hinter der Schaufensterscheibe kräftig ein – hier ist der Treibhauseffekt gewünscht. “Sechs Euro Achtzig macht das. Brauchen Sie einen Beleg, junger Mann?” Die Worte der Mittvierzigerin fließen wie Camembert über den Tisch. “Machen sie acht, die Rechnung brauche ich nicht, danke.” “Danke Ihnen. Ich wünsche einen schönen Tag noch, junger Mann.” Das mit dem jungen Mann hat es ihr scheinbar angetan. Ihr Parfum ist zu aufdringlich für diesen Kellnerinnen-Job, ein Geruch, der den Kuchenduft überlagert, das Aroma des italienischen Kaffees verfälscht. Irgendwie unterste Schublade.

Ich sprinte über den Sendlinger-Tor-Platz, bis mich der U-Bahn-Abgang verschluckt. Nur noch nach Hause, denke ich. Ausruhen, sortieren, was heute passiert ist, einen Rechercheplan entwerfen, alle weiteren Termine und Jobs für die nächsten Wochen absagen. Termine, Planung? Verdammt, bei meinem fluchtartigen Aufbruch aus der Redaktion habe ich meinen Rechner liegen gelassen. Egal, kann bis Montag warten. Ich brauche Ruhe, muss nachdenken, meditieren.

Freitagnachmittag ist die U-Bahn überfüllt. Müde Ameisen kehren nach fünf Tagen Alltag in ihre Herbergen zurück, um sich 48 Stunden voll zu dröhnen. Abschalten vom Job, Null-Prozent-Schnäppchen nachjagen. Flat-Rate-Telefonieren, Flat-Rate-Surfen, Flat-Rate-Saufen. Schadenfrohe, die jauchzen, wenn Heidi Klums Nachwuchsmodels sich die Haxen brechen und die in Dieter Bohlens Spannerparadies geiern. Voyeure des Alltags – solange sie selbst einen Job haben und Hartz IV als den höchsten Berg eines deutschen Mittelgebirges wähnen.

“Sieht aus, als hätte dir jemand die Luft aus den Reifen gelassen, Schatz.” Ich liebe die direkte, charmante Art meiner Frau. “Keine Ahnung – wieso? Es ist alles in Butter”, frotzel ich zurück.

“Warum habe ich dann heute Abend keinen Kuss bekommen?” “Ich bin ansteckend.” “Seit wann ist schlechte Laune denn ansteckend?” “Schau mal. Regel Nummer eins in der Ehe ist, deinem Mann nicht auf den Wecker zu gehen, bevor er nicht wenigstens 30 Sekunden zu Hause ist.”

“Und, Regel Nummer zwei ist, keine Geheimnisse vor deiner Frau zu haben.” Sie lässt nicht locker. “Und Regel Nummer drei: Du bist meine Frau und nicht meine Mutter, also lass mich in Ruhe!”

“Na, das wird ja ein schönes Wochenende. Was ist mit den Bergen, fahren wir morgen raus? Wir haben es den Kindern versprochen.” “Keine Ahnung, frag mich morgen früh nochmal. Ich bin fix und alle, hau mich gleich ins Bett.” Die knallende Wohnzimmertür ist das letzte, was ich von ihr höre.

Die Digitalanzeige meines Weckers zeigt 2:46 Uhr als ich aufwache. Mein Kopfkissen ist klatschnass, jeder Knochen schmerzt. Die Bronchitis wirkt nach – alles muss raus. Neben mir höre ich die gleichmäßigen Atemzüge meiner Frau. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie ins Bett gekommen ist – wahrscheinlich nach dem Freitags-Tatort.