Konservative Wende in der IT-Politik gestoppt?

Noch Anfang dieses Jahres musste man sich Sorgen machen über Anzeichen einer Abkehr der öffentlichen Verwaltung von offenen Schnittstellen und Standards, auf europäischer wie auf bundesdeutscher Ebene. Jetzt aber mehren sich Stellungnahmen maßgeblicher politischer Kräfte, die Offenheit wieder in das Zentrum der IT-politischen Orientierung rücken.

Viele Behörden seien durch eine unüberlegte Einkaufsentscheidung für Jahrzehnte auf proprietäre Techniken festgelegt, so dass jetzt Alternativen systematisch ignoriert würden. “Dies ist eine Vergeudung öffentlicher Gelder, welche sich die meisten Behörden nicht mehr leisten können.” Kroes weiter: “Das ist noch schlimmer, wenn solche Entscheidungen auf die Vergeudung privater Mittel hinauslaufen. Das geschieht, wenn die Entscheidungen öffentlicher Stellen die Bürger zwingen, bestimmte Produkte zu kaufen.” Als Beispiele nannte sie Textverarbeitungsprogramme in Schulen und die Browser-Vorgaben einiger Finanzbehörden.

Das klingt nach einer eindeutigen IT-politischen Orientierung der EU. Doch dem ist nicht ganz so. Kroes erwähnte heftige Auseinandersetzungen um die kürzlich von ihr vorgelegte Digitale Agenda der EU und sprach abweichend vom Text ihrer Rede davon, in der Europäischen Kommission klebe “Blut an den Wänden”. Böses Blut hat es dem Vernehmen nach vor allem über den EIF-Entwurf gegeben, dem die Kommissarin am Rande der Konferenz eine Abfuhr erteilte: “Wir haben ein sehr übles Dokument gesehen.”

Auch wenn es in Brüssel heftige Debatten über die IT-Orientierung auf europäischer Ebene gibt, sind positivere Zeichen zu registrieren, als man bisher erhoffen durfte. Dies ist insofern wichtig, als die einzelnen Regierungen die Vorgaben aus Brüssel in nationale Gesetze gießen müssen. Viel grundsätzlicher Entscheidungsspielraum bleibt dabei nicht. Möglicherweise hat sich die Erkenntnis, welche IT-politischen Positionen sich in der EU herausbilden, in zwei bemerkenswerten Stellungnahmen aus Deutschland niedergeschlagen.

Den Anfang machte Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit seinen 14 Thesen zu den Grundsätzen einer deutschen Internetpolitik. Sie gehen, was den meisten Beobachtern entgangen ist, über das Kernthema hinaus und formulieren Aspekte einer IT-Politik im umfassenderen Sinne. Dafür ist Maizière der von Amts wegen oberste Zuständige in der Regierung, was seinen Positionen Gewicht verleiht. Kurioserweise muss man die 14 Internetthesen von hinten lesen, um ihren Gehalt zu entdecken.

In der letzten These schreibt er: “Staatliche IT-Systeme und Internet-Dienste müssen angesichts der Abhängigkeit der Bürger und der Verwaltung von ihnen sicher und ungestört funktionieren, auf offenen Standards basieren, von allen Menschen plattformunabhängig genutzt werden können und größtmögliche Transparenz bieten.”