Seele, Dosenbier und Selbstkritik

Tja, äh… also ich schreib’ dann halt mal wieder. Ich bin in mich gegangen, hab’ Selbstkritik geübt und bin zu dem Schluss gelangt, dass ich ein rechter Underperformer bin, wenn’s darum geht, einen sauberen Abgang hinzulegen. “Nö, so nicht”, per Mail geschickt an einen Chef, und sei’s bloß ein Chefredakteur, das genügt heutzutage einfach nicht mehr, um ordentlich Schluss zu machen. Da kann man’s gleich bleiben lassen, bleiben und seine Arbeit erledigen. Na jaaa… und außerdem gibt’s so viel, was mal geschrieben werden müsste, nicht, weil’s die Welt verändern würde, sondern vor allem, weil’s einen drückt…

So weit die unvermeidliche persönliche Vorbemerkung, nun zum eigentlichen Thema, nämlich: Wie man sich mit Stil vom Acker macht. – Phantastisch, was einige Arbeitsmänner und -frauen in jüngster Zeit da so vorgelegt haben!

Der Altmeister in dieser Disziplin ist – ganz klar – Terry Childs, jener Netzwerk-Admin von San Francisco, der bis ins Jahr 2008 hinein über inkompetente Vorgesetzte klagte, die ihn deckelten*, schließlich ging und das Administrator-Passwort fürs Netz mitnahm. Auf der Chefetage der städtischen Verwaltung brach in den Folgetagen Panik aus.

Der Fall Childs zeigt zweierlei:

1. Den technischen Fortschritt. Heute braucht es keinen starken Arm mehr, damit alle Räder still stehen, wie Georg Herwegh weiland so schön dichtete. Ein gutes Gedächtnis, um sich ein sicheres, also kompliziertes Passwort merken zu können, genügt vollkommen.

2. Wie sich die Medienlandschaft seitdem doch gewandelt hat! Childs wurde von der so genannten IT-Fachpresse noch unisono als “Psycho-Admin” bezeichnet.

Das ist eigentlich ja ein Lob. Childs hat seine Arbeit ganz offenkundig geliebt. Er wollte daher nicht, dass das, was er damit geschaffen hat, ein leistungsfähiges Glasfasernetz, Leuten in die Hände fällt, die er für Dilettanten hielt. Das zeugt von einer empfindsamen Seele (lat.: Psyche).

Aber so war’s nicht gemeint, der Titel “Pscho-Admin”. Jene Fachjournalisten, die ihn vergeben haben, waren wohl vielmehr der gleichen Ansicht wie die Anzeigenkunden ihrer Publikationen. Also, dass jemand, der in seiner Arbeit mehr sieht als einen Job, etwas an der Klatsche haben muss.

Die meisten dieser Schreiber haben inzwischen wahrscheinlich einen anderen Job, weil die Blätter, für die sie jobbten, mittlerweile eingestampft worden sind. Denn die ehemaligen Anzeigenkunden sind drauf gekommen, dass sie Lobhudeleien über ihre Produkte und Unternehmen auch selbst drucken können. Oder sie versuchen, im Web 2.0 zu werben.

Jenes aber ist gar nicht so schlecht, wie unsereins immer gemeint hat. Facebook und Twitter sind tatsächlich mehr als nur ein neuer Distributionskanal für Katzenbilder und 140 Zeichen lange Belanglosigkeiten. Die TCP/IP-basierten sozialen Netzwerke sind voll von Nachrichten über Menschen, die’s so ähnlich gehalten haben wie Terry Childs.

Wenn man sich keine Namen merken kann, wie das bei Leuten, die einen seltsamen tragen, oft der Fall ist, dann braucht man nur “Flugbegleiter” und “Bi…” einzugeben. Und schon ergänzt Google “…er Notrutsche” und listet 35.000 Einträge über Steven Slater, den Steward von JetBlue Airways. Den nervten herrische Passagiere, denen bzw. die zu (be)dienen, sein Job war – so sehr, dass er sich eine Dose Bier aus der Bordküche griff und diesen Job mit den Worten “That’s it” hinwarf.

Steven Slater kennt inzwischen jeder. Er ist der Freiheitsheld der modernen Dienstleister oder -boten, wie’s früher treffender hieß. Und wie für Freiheitshelden üblich, wird er erst einmal vor Gericht gestellt – wohl diesen Monat.

Was aber ist JetBlue Airways? mag man sich noch fragen. Von Wikipedia erfährt man, dass es sich dabei um jenen Billigflieger handelt, den am 10. August 2010 der Flugbegleiter Steven Slater “nach der Landung in New York wutentbrannt per Notrutsche verließ”. Das ist der USP, das Alleinstellungsmerkmal, der blauen Düse, die ansonsten vor allem Commodity-Services anzubieten hat: Steven Slater.

Dem Schreiber besonders sympathisch wiederum ist Pia Beathe Pedersen. Sie eröffnete am 9. September dieses Jahres die News-Sendung des norwegischen Radios mit: “Nachrichten gibt es heute keine, aber es ist ohnehin nichts los.” Dann präsentierte sie, wie es sich für eine gute Journalistin gehört, harte Fakten – zu den prekären Arbeitsverhältnissen im norwegischen Rundfunk.

Sie endete mit: “Ich kündige jetzt und gehe. Tschüss, und habt es gut”, schaltete das Mikro aus – offenbar ein Kondensator-Mikrophon mit eigener Stromspeisung –, verließ das Studio, stieg auf ihr Fahrrad und fuhr heim. Whow!

Der norwegische Rundfunk hat den Podcast der Nachrichtensendung natürlich gleich gelöscht. Aber dank Youtube findet man ihn – neben unzähligen Clips von Britney Spears – immer noch im Netz. Ist doch gar nicht so schlecht, dieses Web 2.0!

Aber – ach, ja – es bleiben doch Fragen über Fragen. An Terry Childs etwa, der jetzt zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden ist und dem möglicher Weise noch Schadenersatzforderungen von 900.000 Dollar ins Haus stehen: Sagen Sie, wenn es soviel Geld kostet, Ihr Netzwerk wieder so sicher zu machen, wie es unter Ihrer Obhut war, haben Sie dann schon mal daran gedacht, entsprechende Lohnnachforderungen für all Ihre Jahre als Netzwerkadministrator der Stadt San Francisco zu stellen?

Oder die Bier-Frage – an Steve Slater: Muss es denn wirklich eine Dose sein? Bier in Stahlummantelung, das nimmt dieser wunderbarsten aller Flüssigkeiten doch die ganze innere Wärme.

Gut, mit einem ordentlich eingeschenkten, dünnwandigen Halbliterglas auf der Notrutsche, das wäre schon schwierig. Aber wär’s nicht überhaupt besser, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um einen Billigflieger, sondern um einen Airliner mit Business-Class, wenn man nicht sich selbst, sondern ein paar von diesen Manager-Typen auf die Rutsche setzen würde? – Ohne Bier, versteht sich?

Ja, doch, es gibt, noch vieles zu klären. Der Schreiber sieht ein, dass er sich da nicht so einfach vom Acker machen kann, sondern weiterhin Unwesentliches zur Debatte beizutragen hat.

So, und jetzt noch die unvermeidliche persönliche Nachbemerkung: War wohl wieder etwas lang diesmal. Die Leserinnen und Leser mögen es mir mit christlicher Milde nachsehen. Denn wie lesen wir doch so schön beim Evangelisten Matthäus (Kap. 12, Vers 34)? – Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

* Aus juristischen Gründen sollte der Modus dieses Verbs als Konjunktiv interpretiert werden.