Gedanken über den Tod

Ein Gang durch die Unterwelt des Internet steht an. Dem Schreiber graut vor dem digitalen Totenreich. Vielleicht wär’s doch besser, zu den Rauchern zu gehen.

Man kann sie sich halt nicht aussuchen, die Aufträge. Und dieser passt ja auch zur Jahreszeit: wieder mal ein Radiobeitrag zum Thema social Networks. Bei beidem fröstelt einen.

Draußen entweicht der Natur das Leben. Stunden schon ist der Tag alt, und noch immer ist’s dunkel. Es regnet. Bestimmt wird es so weitergehen. Ein trüber, trübsinniger Tag wird’s werden.

Und social Networks haben ganz unabhängig von der Jahreszeit etwas Leichenhaftes an sich: Leute, die den Inhaber eines Facebook-Accounts für einen Freund nehmen, einen Link für eine menschliche Beziehung, einen Tweet wie einen Scherz, erzählt von einer fröhlichen Stimme. Kein Mensch redet in Smileys, damit man merkt, wie er etwas meint. Man merkt’s auch so. Twitter wiederum ist voll davon.

Wie anders ist da doch das richtige Leben. Die Gedanken schweifen ab, viele Jahre zurück, zu einem Sommer, den mit ihr…

Na ja, irgendwann war Schluss. Eine Mail noch – lange Zeit später. Das war’s gewesen. Und es bringt jetzt auch gar nichts, darüber nachzudenken. Vielmehr sind Thema ja diese social Networks. Also hinein ins digitale Beinhaus!

Aber da ist es wieder: ihr Bild! Nein, nicht vor dem geistigen Auge, sondern auf dem Computerbildschirm, auf Facebook. Die Mail seinerzeit ging an eine gmx-Adresse. Die beiden Konzerne kooperieren. Und deshalb schlägt Facebook sie jetzt als virtuelle Freundin vor.

Sie hat die elterliche Firma übernommen, steht da zu lesen, ist eine erfolgreiche Unternehmerin, engagiert sich in ihrer Heimatstadt sozial und kulturell, hat drei Kinder. Noch immer ist sie sehr schön. Sie wirkt damenhaft. Früher hat sie ganz anders gewirkt. Und es war schön.

Sie als Facebook-Freundin? Nein, bloß nicht! Es schaudert einen bei dem Gedanken, eine Liebesbeziehung Jahre nach ihrem Absterben einzubalsamieren und auf einer Internet-Plattform aufzubahren.

Ständig kommt einem der Tod in den Sinn. Das könnte an der Jahreszeit liegen. Oder eben an diesem Thema. Wenn tot ist, was lebendig war, dann breiten sich darin ja auch Würmer aus. Koobface heißt einer von jenen in den sozialen Netzwerken.

Und auch die Geier kreisen schon, weil sie das, was sie begehren, in einer Form vorfinden, wie sie’s mögen: tot und digital leicht verdaulich. 15 Milliarden Dollar soll Facebook wert sein. Vom Microblogger Twitter hieß es vor einem Jahr, er sei bereits eine Milliarde wert. Das erscheint viel für Firmen, die über nichts verfügen außer ein paar Millionen binärer Schatten.

Aber lebendige Menschen kriegen Marketing-Geier halt nur sehr schwer zu greifen. Erst wenn jene zu Files erstarrt und in ein digitales Beinhaus, genannt Data Warehouse, gezerrt worden sind, lassen sie sich profitabel ausweiden. Und Facebook, Twitter, Myspace, StudiVZ, Orkut und ähnliche sind gewaltige Data Warehouses, geradezu Pyramiden für Internet-Mumien nur halt mit höherem Besatz.

Schluss mit dem Trübsinn! Kein Gang durch die Unterwelt des Internet heute, das Reich der TCP/IP-basierten Schatten. Dafür ist’s ein viel zu schöner Tag: Es hat aufgehört zu regnen. Und wider Erwarten scheint die Sonne. Billiarden Tropfen reflektieren ihre Strahlen. Ja, auch der Herbst hat noch schöne Tage.

Vielleicht ein Waldlauf? – Nö, nach so einem Tagesbeginn hat man Angst, dass unter den vielen Kläffzern, die – von ihren Frauchen – erklärter Maßen bloß spielen wollen, doch ein Kerberos sein könnte.

Frühstücken gehen, das ist es! Ins Café zwei Straßen weiter. Wegen des Rauchverbots stellen sie dort zu jeder Jahreszeit Tische und Stühle raus. Dort sitzen immer richtig lebendige Menschen. Denn das kann ja nur sein, wer sterblich ist. Und diesen Leuten schreibt man das sogar auf die Packung, die sie stets bei sich tragen. Ein memento mori mit 19 Fluppen drin.

Und sozial sind diese Menschen auch. Klaglos geben sie jedem, der barmt. Künftig sogar den notleidenden deutschen Aluminiumhütten, die sonst ihre Stromrechnung nicht bezahlen könnten. Da zieht’s einen jetzt hin, wo der Geruch von Abenteuer und Freiheit in der Luft liegt, Kondensat und Nikotin und nicht die ludrige Fäulnis eines social Network.