Intelligente Kleidung: Wenn der Hut gescheiter wird als der Kopf

Wearable Technologies – damit ist Hightech zum Anziehen gemeint. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird eine Zukunft mit intelligenter Kleidung gepriesen. Doch auf der Straße sieht man noch niemanden mit verdrahteten Anzügen herumlaufen. Oder ist die Technik einfach gut kaschiert?

… Im Lehr- und Forschungsbereich für Tragbare Elektronik und Rechentechnik an der BTU Cottbus wird ein neuer Studiengang “Mediziningenieurwesen” aufgebaut, der sich mit e-Health und Telemedizin beschäftigt. Die Studenten sind dabei interdisziplinär ausgerichtet, haben sich vorher mit Elektrotechnik, IT, Biomedizinischer Gerätetechnik oder Kultur und Technik befasst.

“Was wir brauchen ist eine standardisierte Plattform bei e-Textiles”, fordert Professorin Böger. “Wäre es nicht toll, wenn wir in unserer Bekleidung Interfaces finden würden, mit denen wir gleichzeitig medizinische Funktionen, Entertainment und vieles mehr einbinden könnten?” Die Wissenschaft nennt dies ‘Intelligente Fashion Interfaces’. So wie Mobiltelefone heute mit Apps individuell gestaltbar sind, so könnte man eines Tages seine Kleidung modular mit Anwendungen bestücken, die direkt mit der Umwelt verbunden sind.

Astrid Böger
Professorin Astrid Böger
Foto: BTU Cottbus

“Das Body Area Network (BAN) aus Sensoren, Speicher, Verarbeitungseinheiten, Kamera und Lautsprecher könnte zur Standardausstattung gehören und unabhängig von bisherigen modischen Trends werden. Stellen Sie sich vor, welcher Hype ausgelöst würde, wenn man so etwas wie das ‘iPad’ anziehen und Farbe und Form vom Internet downloaden könnte”, so Böger. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen in der geeigneten Energieversorgung sowie in den Bereichen Usability und Wearability, denn daran sind bisher die meisten Produkte für den Endkunden gescheitert.

Ubiquitous Computing nennt man den Trend zur Allgegenwärtigkeit von Rechnern in unserem Leben. Da werden Handschuhe oder Ärmel zur Tastatur, die Lautsprecher sind in den Kragen oder den Helm eingearbeitet. Und wo ist der Monitor eines Wearable Systems? An den verschiedensten Stellen: auf dem Display der vernetzten Uhr, auf einem Stück Kleidung oder, noch besser, direkt vor den Augen als Headup-Display.

Der Sportartikelhersteller Nike hat jetzt mit dem Navigationsspezialisten TomTom die Nike+ SportWatch GPS vorgestellt (ab Juli 2011 in Deutschland). Sie tauscht mit dem Nike+ Sensor im Laufschuh Daten aus, dokumentiert die Strecke und motiviert den Läufer unterwegs und zu Hause.

Wearable Technologies sollen so selbstverständlich wie möglich genutzt werden können. Wer mag beim Anziehen schon daran denken, ob die Batterien seiner Kleidung geladen sind und ob seine sehr persönlichen Biodaten vor Fremden wirklich sicher sind. Das sollen Selbstverständlichkeiten werden. Qualcomm will deshalb noch in diesem Jahr die nächste Generation an Chips vorstellen, mit Ultra Low Power Technologie, die neben niedrigem Stromverbrauch auch eine präzise Sendereichweite für den jeweiligen Bedarf, einen besseren Audiocodec und verbesserten Schutz der übermittelten Daten gewährleisten sollen. Diese werden auf dem 8-Gigahertz-Band mit 10 Metern Reichweite und einer Datenrate von 11 Mbps pro Kanal arbeiten.

Damit sollen Sensorenstreifen am Bauch einer Schwangeren laufend Informationen über das Baby erfassen. Bei Kühen will Qualcomm helfen, Bewegung, Grasverzehr und optimale Melkzeit zu ermitteln (smarter farming nennt man das). Und besorgte Angehörige sollen einen Hinweis bekommen, wenn sich ihre allein lebenden Verwandten für mehrere Stunden nicht mehr bewegt oder ihre Tabletten vergessen haben. Das Fraunhofer Institut IIS entwickelt unterdessen ein waschbares, eng anliegendes T-Shirt mit Sensoren, das chronisch Kranken regelmäßige Klinikbesuche ersparen soll, in dem relevante Daten über Bluetooth und Internet an den Arzt gesendet werden.

Flexible, auf Kunststofffolie gedruckte organische Solarzellen können heute sehr kostengünstig in die Kleidung integriert werden. Varta ist in eine Reihe innovativer Stromversorgungen für Wearables involviert: solarbetriebene Schultaschen und Polizeijacken, ein Hemd mit integrierter Ventilatorfunktion, ein Skianzug mit Mobiltelefon im Kragen und ein Feuerwehr-Schutzanzug mit Sensoren für Kohlenmonoxid, Hitze und Herzschlag und mit einem “heißen Draht” zur Einsatzleitung.

Texsys zeigte auf der Konferenz, wie man daran arbeitet, einen intelligenten Motorrad-Handschuh zum Telefonieren über induktives Laden kabellos durch die Solarzellen im Helm versorgt. In einer 1,9 Millimeter dünnen Polycarbonat-Hülle mit Scheckkartenformat können Techniker von Q-mo solar heute bereits unverwüstliche Solarzellen für 2 Watt an Energie unterbringen. In zehn bis 15 Jahren darf man laut Varta auf Batterien hoffen, die als solche nicht mehr erkennbar sind, weil sie völlig in das Textil eingewebt werden. Dann gibt es positiv und negativ gepolte Textilfasern, die von einer hauchdünnen Isolation umgeben sind. Man wird sein Hemd also künftig nach dem Waschen und Bügeln auch noch zum Aufladen an die Steckdose hängen müssen, um damit dann den Tag über sein Leben auf völlig neue Weise zu regeln.