Deutschlands erste Windows-7-Migration

Obwohl Banken Risiken eher meiden, hat die Münchener Hypothekenbank als eines der ersten Unternehmen überhaupt komplett auf Windows 7 umgestellt. silicon.de hat sich mit dem Leiter des Projektes über Stolpersteine, Risiken und über den Nutzen des neuen Betriebssystems unterhalten.

silicon.de: Die Vorgabe, Anwendungen “irgendwie zum Laufen zu bringen” muss aber nicht zwangsläufig von Erfolg gekrönt sein. Gab es denn größere Probleme mit bestehenden Anwendungen auf Windows 7?

Bayerl: Wir hatten natürlich auch solche Anwendungen, von denen wir die Produktfreigabe nicht hatten und da war uns das Risiko zu groß. Bloomberg und Reuters sind zwei Beispiele. Ohne diese Informationssysteme ist eine Bank blind. Und wenn es da zu einem Problem gekommen wäre, hätten wir von Bloomberg und Reuters keinen Support bekommen. Damit wäre die Bank praktisch lahmgelegt gewesen. Die Abteilung, die diese beiden Anwendungen einsetzt, wurde dann eben als letzte migriert. Im Januar 2010 war es dann soweit – wir hatten auch die Unterstützung von Bloomberg und von Reuters. Erst zu diesem Zeitpunkt haben wir die letzten Rechner umgestellt.

silicon.de: Seitdem ist die Migration komplett?

Bayerl: Heute werden sie im gesamten Gebäude keinen einzigen XP-Rechner mehr finden. Aber auch in unseren zehn Filialen gibt es keinen einzigen XP-Rechner mehr.

silicon.de: Wie sind die Mitarbeiter mit dem neuen Betriebssystem zurechtgekommen?

Bayerl: Im September 2009 hatten wir mit der ersten fertigen Version einen Piloten mit 20 Rechnern gemacht. Wir wussten zwar schon, welche Anwendungen laufen und welche nicht, aber wir wollten sehen, wie der Anwender mit der neuen Situation zurechtkommt. Unsere Mitarbeiter waren durchaus positiv überrascht. Aber Anwender freuen sich nur, wenn auch alles funktioniert. Und da muss ich durchaus sagen, dass wir selbst erstaunt waren, wie viel eigentlich auf Anhieb schon geklappt hat.

silicon.de: Aber eben nicht alles?

Bayerl: Ein paar Einstellungen mussten wir noch machen, wie zum Beispiel bei den Gruppen-Policies. Wir haben gemerkt, dass – nur um ein Beispiel zu nennen – Excel-Dokumente unter Windows 7 in bestimmten Tabellen, die wir ins SAP importieren, statt eines Kommas ein Semikolon setzen. Offensichtlich hat XP in einigen Details eine andere Darstellung als Windows 7. Um das Problem zu lösen haben wir in eine Gruppen-Policy eintragen, was das Standardzeichen für Trennung ist, und somit hat es dann auch außerhalb von Excel funktioniert.

silicon.de: Wo gab es noch Probleme?

Bayerl: Bei Lotus Notes haben wir eine neue Version eingeführt, weil die alte nicht mehr mit Windows 7 kompatibel ist. Wir haben auch einen neuen Virenscanner. Die Gruppen-Policies bei Windows 7 mussten wir ebenfalls anpassen. Teilweise konnten wir Einstellungen übernehmen, aber es gab in verschiedenen Bereichen eben auch Anpassungsbedarf.

silicon.de: Von den technischen Problemen abgesehen, womit hatten denn ihre Mitarbeiter am meisten zu kämpfen?

Bayerl: User Access Controll ist zum Beispiel für Entwickler ungewohnt. Die sind häufig überrascht, dass sie, obwohl sie als Administrator angemeldet sind, sich ein zweites Mal authentifizieren müssen. Diese Funktion war eigentlich schon in Windows Vista vorhanden. Aber weil eben niemand Windows Vista eingesetzt hat, taucht diese Problematik eben erst mit Windows 7 auf. Im privaten Bereich sind die Leute das bereits gewohnt, aber im Unternehmensbereich stößt man hier häufig auf Probleme.

silicon.de: Welche Vorteile sehen Sie denn mit dem neuen System?

Bayerl: Wenn man das nur auf das Betriebssystem beschränkt, muss man sagen, dass die Mitarbeiter relativ schnell zurechtkamen. Man muss auch sagen, dass die Pilot-User eigentlich keine Einweisung gebraucht haben. Die Vorteile wurden relativ schnell bemerkt. Was die Mitarbeiter sehr schön fanden, war die Vorschau, mit der man die Fenster eines Programms sehen kann und das schnelle Rauf- und Runterfahren. Nach etwa 30 Sekunden hat man die Anmeldemaske und nach der Anmeldung ist der Rechner nach wenigen Sekunden einsatzbereit, was mit XP ja nicht der Fall war. Natürlich war der Rechner in der Pilotphase noch nicht so, dass man ihn flächendeckend hätten ausrollen können. Aber wir haben auch gesehen, dass wir mit ein paar kleineren Änderungen ein funktionierendes System bekommen können.

silicon.de: Was gibt es noch für Vorteile?

Bayerl: Die Betankung lässt sich gut machen, denn Windows 7 erkennt sehr viele Treiber von sich aus. Das liegt aber auch an Empirum, an das eine Treiberdatenbank angeschlossen ist. Damit kann man auch unterschiedliche Hardware relativ reibungsfrei mit dem Betriebssystem betanken und rund 99 Prozent der Treiber installieren. Die fehlenden kann man dann noch manuell nachinstallieren.

Und das war bei Windows XP nicht so: Wenn da ein wesentlicher Treiber gefehlt hat, ging die Installation nicht weiter. Die Betankung ist Hardware-unabhängiger geworden und ist auch deutlich schneller abgeschlossen als bei den Vorgängerversionen. Bei Vista hat das ganze eine Stunde gedauert; bei Windows 7 ist der Rechner nach drei bis vier Minuten fertig und muss auch nicht mehr so oft neu gestartet werden. Da hat Microsoft das Betriebssystem sehr stark optimiert.

silicon.de: Sie sehen also auch einen deutlichen Performance-Gewinn?

Bayerl: Absolut, wir haben uns auch den Spaß gemacht, das neue Windows auf unsere alten XP-Rechner mit einem GB Arbeitsspeicher zu installieren und das ist da wunderbar gelaufen. Und ich glaube sogar, dass Windows 7 schneller war, als Windows XP.

silicon.de: War die Umstellung insgesamt ein großer Schritt für die Mitarbeiter?

Bayerl: Die Mitarbeiter kommen ja eigentlich nur dann mit dem Betriebssystem in Berührung, wenn etwas nicht funktioniert. Für einige Administratoren bedeutete es ein Umdenken. Auch einige Power-User, die vielleicht auch Administratoren-Rechte haben, da hat ein Umdenken stattfinden müssen, dass sie sich nochmals authentifizieren müssen.

silicon.de: Mussten Sie die Anwender speziell anleiten?

Bayerl: Wir haben Schulungen durchgeführt. Die beschränkten sich auf Halbtagesveranstaltungen von etwa vier Stunden pro Mitarbeiter, wo wir das neue Lotus Notes, die neue Bedienung von Windows 7 und einige Änderungen in den Anwendungen vorgestellt haben.

silicon.de: Das ist ja überschaubar. Was war das größte Hindernis bei der Migration?

Bayerl: Zu dem Zeitpunkt, an dem wir migriert haben, waren einige Produkte eben noch nicht auf Windows 7 lauffähig. Es gab Produkte, die liefen unter Vista, aber nicht unter Windows 7. Aber es gab auch Programme, die liefen unter Windows 7, aber nicht unter Vista.

Die Aussage, dass alles, was unter Vista läuft, auch unter Windows 7 startet, kann ich so nicht unterschreiben. Manches haben wir dann doch noch über geänderte Berechtigungen hinbekommen. Aber man muss die Anwendungen auf jeden Fall unter dem spezifischen Betriebssystem testen.

Und das war ebenfalls ein Problem, denn von manchen Herstellern hatten wir die Aussage bekommen, dass neue Versionen ihrer Anwendungen kommen, sobald Windows 7 auf dem Markt ist. Aber das hat uns eigentlich nichts mehr genützt, weil wir ja schon mindestens einen Monat zuvor die Anwendungen testen und paketieren mussten.

silicon.de: Aber dieses Dilemma scheinen Sie gemeistert zu haben?

Bayerl: Die Probleme, die man hätte haben können, bei einem Betriebssystem, das so vorher noch nie ein Unternehmen produktiv getestet hat, hätten deutlich größer sein können. Unser Fokus war natürlich, dass der Betrieb aufrecht erhalten werden muss. Denn der Test hat gezeigt, dass Windows 7 nicht das Problem war, sondern eher die Anwendungen, die nicht sauber programmiert waren.

silicon.de: Im Nachgang betrachtet, wo lag der größte Aufwand?

Bayerl: Den höchsten Aufwand hat man beim Testen der Anwendungen. An zweiter Stelle folgt dann die Überlegung, welche Policies gebe ich mir. Kann ich das alles eins zu eins übernehmen oder muss ich umdenken.

silicon.de: Aber wieso hatten Sie denn so große Eile, warum haben Sie so aufs Gas gedrückt?

Bayerl:Wir hatten uns intern vorgenommen, bis Ende 2009 fertig zu sein. Wir haben zwar schon gewusst, wenn Windows 7 nicht herausgekommen wäre, dann hätten wir unser Projekt strecken müssen, das war uns auch klar. Aber nachdem Windows bereits im Oktober auf den Markt kam, wollten wir eben nicht mit einem neuen Projekt ins nächste Jahr starten, weil dann im Januar schon wieder neue Dinge anstanden. Wir haben zwar im Januar noch einige Bereiche, wie etwa die Notebooks, ausrollen müssen. Aber es war eher ein psychologischer Grund. Bei uns ist Anfang Dezember so eine Art ‘Frozen Zone’, wo ganz viele Jahresabschlüsse und Meldungen an die BaFIN gemacht werden müssen, so dass ich durch die Migration den Arbeitsablauf der Mitarbeiter nicht unterbrechen darf. Daher hatten wir festgelegt, dass ein PC, der am 9. Dezember noch nicht ausgerollt ist, erst wieder im Januar ausgetauscht werden darf.

Das Rückgebäude der Bank im Zentrum Münchens. Foto: Martin Schindler
Das Rückgebäude der Bank im Zentrum Münchens. Foto: Martin Schindler

silicon.de: Die ‘staade Zeit’ einer Migration sozusagen. Gab es noch andere Bereiche, die Sie von dem Upgrade ausgeklammert haben?

Bayerl:Was wir nicht gemacht haben, ist Office zu migrieren. Wir hatten Office 2003 und da sind wir auch heute noch. Und zwar aus dem Grund, weil wir sehr starke Abhängigkeiten zwischen unserem Office-Paket und einer bankspezifischen Anwendung haben. Nehmen wir zum Beispiel einen Darlehensvertrag. Der besteht aus mehreren Textbausteinen: Aus SAP kommen die Daten für den Darlehensnehmer, dann kommen Textbausteine aus dem Dokumentenmanagement-System, dann muss vielleicht noch der Darlehensstand mit hinein. Jeder Vertrag mit rund 30 Seiten Umfang wird nach bestimmten Gesichtspunkten je nachdem, ob es ein privater oder gewerblicher Vertrag, ob Haus oder Wohnung, mit verschiedenen Textbausteinen befüllt. Aber diese Bausteine sind alle abhängig von Word und da hätten wir sehr viel umstellen müssen.
Wir haben uns dann gegen eine weitere komplexe Migration parallel zur Windows-7-Migration entschieden, denn uns war auch klar, dass Office 2007 kurz nach dem Zeitpunkt bereits veraltet sein wird. Daher ist demnächst bei uns eine Office-2010-Migration angedacht. Ich muss aber auch sagen, dass nach wie vor auf Office alles wunderbar funktioniert.

silicon.de: Ich glaube, diesem ‘Problem’, dass mit Office eigentlich alles wunderbar läuft, begegnet Microsoft häufiger. Wie würden Sie abschließend den Erfolg ihrer Migration bewerten?

Bayerl: Unser Projekt war Gott sei Dank von Erfolg gekrönt und die Produktivität hat sich bei uns tatsächlich erhöht. Vor ein paar Tagen gab es eine Pressemitteilung eines Analystenhauses, dass bereits nach sieben Monaten die Mehrkosten für Windows 7 sich amortisiert haben. Es sei dahingestellt, ob die Investition bereits nach sieben Monaten amortisiert ist. Ich kann aber sagen, dass unsere Leute jetzt deutlich zufriedener sind. Sie sehen, dass sie ein tolles Betriebssystem haben und man spürt eine gewisse Begeisterung. Würden man heute einem Mitarbeiter seinen Windows-7-Rechner wieder gegen einen XP-Rechner tauschen, wäre der sicherlich sehr unzufrieden. Dass Mitarbeiter überhaupt nicht damit zurechtkommen, haben wir nicht erlebt. Windows 7 ist mindesten genau so gut wie XP, wenn nicht sogar besser.

silicon.de: Herr Bayerl, wir danken für das Gespräch.