Warum alle den Indianer hassen

Auf was alles man doch stößt beim Surfen! “Übel, Arno Dübel!” überschrieb vor ein paar Tagen Deutschlands auflagenstärkste Boulevard-Zeitung wieder einmal ein paar skurrile Zeilen zum Thema.

Nach dem Urteil von “Bild” handelt es sich bei Arno Dübel um den “frechsten Arbeitslosen”. Das Verdikt des Blatts lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass der so Bezeichnete sich weigere, einer Lohnarbeit nachzugehen und statt dessen lieber Hartz IV beziehe, obwohl ihm durchaus lausige Jobs angeboten würden.

Wer oder was Arno Dübel wirklich ist, lässt sich allerdings nur schwer ergründen. Im Netz wird spekuliert, es handele sich um einen Fake.

Auf jeden Fall ist Arno Dübel wesentlich eine virtuelle Person, ein Medienprodukt, so wenig real wie die Stars, die bei DSDS (Deutschland sucht den Superstar) gefunden oder im Dschungelcamp (Ich bin ein Star – holt mich hier raus!) exhumiert werden.

Vor 100 Jahren wurden Menschen, die damals die Phantasie so anregten wie heute Arno Dübel, in so genannten Völkerschauen gezeigt: Afrikaner, Eskimos und Indianer. Carl Hagenbeck hatte dieses lukrative Geschäftsmodell entwickelt, als die deutsche Industriegesellschaft sich gerade zu entwickeln begann.

Die Entsprechung für die Informationsgesellschaft stellt das Geschäftsmodell Arno Dübel dar. Und weil diese Gesellschaft nicht nach irgendwelcher Information benannt ist, sondern nach ihrer informationstechnischen Infrastruktur, sieht man das besonders gut im Netz.

Absolute Profis haben die gleichnamige “offizielle Homepage” gestaltet. Mal wird ein iPhone im Namen des Hartz-IV-Empfängers verlost. Mal sieht man Arno Dübel auf Youtube in Talkshows mit weisen, alten Männern wie Heiner Geißler oder Männern, deren augenfälligste Eigenschaften andere sind. Reiner Calmund bringt in einem Clip seine Auffassung auf den Punkt, Arno Dübel habe etwas an der Klatsche.

Jaa… Und dann sieht er auch noch so aus: lange Haare, faltig, bartlos, schlechte Zähne. – Es ist eindeutig: Arno Dübel ist ein Indianer, der Indianer des Boulevards, ein Avatar, ein virtuelles Hassobjekt.

Spießer und Herrenmenschen hassen Indianer. Die einen, weil Indianer einfach tun, was sie eigentlich auch gerne möchten. Die anderen, weil Indianer einfach nicht tun, was sie von ihnen möchten.

Der Indianer entzieht sich. Er steigt auf sein Pferd und reitet weg. Nach einhelliger Auffassung von Spießer und Herrenmensch muss so einer doch was an der Klatsche haben.

John Locke (1632 – 1704) etwa gilt als einer der Väter des Liberalismus, was ihn allerdings nicht daran hinderte, im Sklavenhandel sein Geld zu machen und Unterdrückung jedweder Art zu rechtfertigen. Letzteres versuchte er mit dem Hinweis auf den “Wilden in Amerika”, der sich schlechter kleidete und nährte als der Tagelöhner in England.

Der Schreiber hatte das Glück, bei einem wirklich großen Liberalen zu studieren, Professor Karl Graf Ballestrem (1939 – 2007). Der konnte in seinen Vorlesungen seinen vermeintlichen Gesinnungsfreund denn auch nie verstehen und pries statt dessen die Freiheit des Indianers, “auf sein Pferd zu steigen und zu reiten, wohin er will”.

Zu Zeiten, als die hiesige Computerindustrie den Druck ihrer Werbebroschüren noch ausgelagert hatte, als hierzulande also noch eine so genannte IT-Fachpresse existierte, klopften zuweilen auch Indianer an die Türen gut geheizter Redaktionsstuben, um sich für ein paar hundert Mark tageweise zu verdingen, freie Zeilenschreiber.

Allesamt kannten sie sich ausgezeichnet aus und formulierten brillant. Deshalb wurden sie auch stets aufgefordert, doch zu bleiben.

Aber jedes Mal nahm der Chefredakteur schließlich seine Unteraufseher beiseite, um ihnen mitzuteilen, dass der jeweilige Indianer etwas an der Klatsche haben müsse. Denn jener hatte Geld, ausreichend für Nahrung und Kleidung, und Glasperlen, imposante Redakteurstitel, abgelehnt, stieg statt dessen wieder in das 2. Klasse-Abteil eines Feuerrosses und fuhr damit in die Freiheit.

So war er, der Indianer. So ist er. Und so wird er immer sein.

Wie sehr Seinesgleichen gehasst werden, das sieht man daran, dass die USA die Aktion, mit der sie ihren Staatsfeind Nummer 1 liquidierten, ausgerechnet nach einem der tapfersten Indianer benannten. Als der noch ein Kind war, ermordeten weiße Skalpjäger die Eltern Geronimos, später mexikanische Banditen seine Frau und seine Kinder.

Schließlich jagten bis zu 10.000 Söldner der US- und der mexikanischen Armee den Freiheitshelden, fassten ihn und sperrten ihn in Reservate, aus denen er aber mehrmals entfloh. Erst als das Heer seiner Feinde übermächtig würde, ergab er sich und ging wieder in ein Reservat, wo er noch viele Jahre zwar unter der Aufsicht seiner Unterdrücker, aber weitgehend unbehelligt von ihnen, friedlich arbeitete.

Im Alter von fast 80 Jahren endlich fiel Geronimo betrunken von seinem Pferd in einen Wassergraben, in dem er sich derart verkühlte, dass er am 17. Februar 1909 an einer Lungenentzündung starb. Es ist ein würdiger Tod für einen alten Mann, der alles daran setzte, aber seine Unterdrücker dennoch nicht besiegen konnte.

Geronimo kleidete und nährte sich schlechter als der Tagelöhner in England. Aber er führte ein freies Leben. Und er hatte gute Kollegen, Chochise etwa, den großen Apachen-Häuptling, zu dessen Nachfolger er gewählt wurde. Um Geronimo zu töten, hatte es der heimtückischsten Waffe seiner Unterdrücker bedurft, des Feuerwassers.

Möglicher Weise steigt Geronimo jetzt gerade in den ewigen Jagdgründen wieder auf sein Pferd und reitet, wohin er will. Und vielleicht blickt er milde lächelnd, wie’s im Leben nie seine Art war, herab auf die hiesigen Spießer, die an einem virtuellen Feindbild herumdilettieren.

Ja, genauso ist er, der Indianer. Und dafür wird er gehasst.