Wikipedia streikt gegen SOPA/PIPA

Was bislang nur diskutiert wurde, wird jetzt Realität. Als Protest gegen die beiden US-Gesetzesinitiativen SOPA beziehungsweise PIPA gehen viele Webseiten am 18. Januar offline, darunter die Wikipedia.

Zum Streik hat die Initiative ‘Fight for the Future’ aufgerufen. Die teilnehmenden Webseiten sollen am 18. Januar ein schwarzes Formular anzeigen, über die US-Besucher ihren Protest an den US-Kongress schicken können. Zu den prominentesten Webseiten, die den Streik unterstützen, gehören Mozilla, WordPress und die englische Version der Wikipedia.

Zum Hintergrund: SOPA ist eine Gesetzesinitiative im US-Kongress, PIPA im US-Senat. Hinter beiden Vorschlägen steht die US-Musik- und Filmindustrie, die Recording Industry Association of America (RIAA) und die Motion Picture Association of America (MPAA). Für Aufsehen sorgt vor allem, wie gegen die Verletzung von Urheberrechten vorgegangen werden soll. Wer sich im Besitz eines Urheberrechts wähnt (oder es tatsächlich ist), schreibt einfach den Betreiber der Website an, auf der angeblich verletzendes Material auftaucht. Dieses muss dann von allen Sites, auf die der Betreiber Zugriff hat, gelöscht werden.

Außerdem ist der Account des Nutzers zu sperren und seine IP-Adresse samt zusätzlicher, identifizierender Daten herauszugeben. Damit kann der Rechteinhaber den Verletzer dann auf Schadenersatz in einer Höhe verklagen, die um ein Vielfaches über das hinausgeht, was zum Beispiel in Deutschland üblich ist. Das geht sogar dem EU-Parlament zu weit, das sich in einer Resolution gegen SOPA ausgesprochen hat.

Geht es nach der Musik- und Filmindustrie, könnten Overlays ein vertrauter Anblick werden. Bild: ZDNet
Geht es nach der Musik- und Filmindustrie, könnten solche Overlays ein vertrauter Anblick werden. Bild: ZDNet

Der Vorwurf von Urheberrechtsverletzungen könnte, wenn SOPA/PIPA verabschiedet wird, zudem dazu führen, dass eine Firma ihre Domains abgeben muss. Das träfe nicht nur Kleinunternehmen, sondern könnte auch auf börsennotierte Konzerne angewandt werden. Und es wäre nicht nur für US-Firmen eine ernsthafte Bedrohung, sondern für alle, die unter den Top-Level-Domains .com, .net und .org agieren. Das Gesetz würde es auch ermöglichen, gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen, die außerhalb der USA begangen wurden. Im Zweifel würde es das Gesetz auch ermöglichen, Webseiten zu sperren.

Die Liste der SOPA-Gegner ist lang und prominent: Amazon, Ebay, Google, Facebook, LinkedIn, Mozilla, Yahoo und natürlich die Electronic Frontier Foundation (EFF) sowie die American Civil Liberties Union (ACLU). EFF und ACLU befürchten, dass die Behörden mit SOPA/PIPA so viel Macht erhalten, dass sie die Grenze zur Zensur des Webs überschreiten könnten. Amazon & Co. wollen die Kosten vermeiden, die entstehen würden, wenn sie gegen Inhalte vorgehen müssten, die angeblich Urheberechte verletzen. Die Unternehmen haben sich gegen SOPA/PIPA in der NetCoalition zusammen geschlossen.

Zuletzt hatten Vertreter des Weißen Hauses die SOPA/PIPA-Gegner in einer Stellungnahme unterstützt. Es sei zwar eine wichtige Aufgabe, das geistige Eigentum zu schützen. Diese Aufgabe dürfe aber ein offenes und innovatives Internet nicht behindern, hieß es von Victoria Espinel, Aneesh Chopra und Howard Schmidt. Zudem dürfe es nicht erlaubt sein, im Namen des Schutzes geistigen Eigentums das Domain Name System (DNS) zu ändern.

Diese Intervention zeigte Wirkung. Der Republikaner Lamar Smith, einer der Initiatoren von SOPA, kündigte an, die Klausel aus dem Entwurf zu streichen, die es der Justiz erlaubt hätte, per Gerichtsbeschluss eine Webseite über das DNS zu blockieren. Dasselbe kündigte der Demokrat Patrick Leahy für PIPA an.

Doch SOPA/PIPA-Gegner wie der Wikipedia-Begründer Jimmy Wales bleiben misstrauisch. “Wir haben keine Hinweise dafür, dass SOPA völlig vom Tisch ist”, teilte er per Twitter mit. “PIPA ist noch quicklebendig. Wir müssen Washington eine GROSSE Nachricht schicken.” Am 18. Januar werde die englische Version der Wikipedia abgeschaltet.

Wales zufolge handelt es sich bei dem Blackout um “eine Entscheidung der Community”. Schon Mitte Dezember hatte er in Wikipedia eine Diskussionsseite zu SOPA und dem weiteren Vorgehen eingerichtet. Die Teilnehmer sprachen sich überwiegend für die Aktion aus. Allein in den vergangenen drei Tagen haben sich nach Angaben der Stiftung Wikimedia 1800 Wikipedia-Nutzer an der Diskussion beteiligt.

Der 24-stündige Wikipedia-Streik soll auf die Problematik des neuen Gesetzes aufmerksam machen. In dieser Zeit werden die regulären Wikipedia-Inhalte durch Informationen darüber ersetzt, wie die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses zu erreichen sind. “Das wird Eindruck hinterlassen”, schätzt Wales. “Ich hoffe, Wikipedia wird am Mittwoch die Telefonleitungen in Washington zum Schmelzen bringen. Sagt allen Bescheid, die ihr kennt!”

“Die Befürworter von SOPA haben die Gegner als Leute charakterisiert, die Piraterie ermöglichen oder verteidigen wollen”, sagte Wales gegenüber der BBC. “Aber das trifft es nicht. Der Punkt ist vielmehr, dass der Gesetzentwurf so breit angelegt und schlecht formuliert ist, dass er alle möglichen Dinge betrifft, die überhaupt nichts mit der Verhinderung von Piraterie zu tun haben.” Der nächste wichtige Termin ist der 24. Januar – dann wird PIPA in den US-Senat eingebracht.