Gebrauchte Software: Streit vor dem EuGH

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verhandelt seit heute über die Zulässigkeit des Vertriebs gebrauchter Software. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hatte ein entsprechendes Verfahren ausgesetzt und dem EuGH drei Fragen vorlegt.

Hintergrund des Falls, der Unternehmen, Softwarehersteller und Gerichte seit Jahren beschäftigt, ist ein Rechtsstreit zwischen Oracle und dem Software-Händler Usedsoft. Usedsoft bot bereits 2005 genutzte Lizenzen für Oracle-Programme an. Die Rechtmäßigkeit des Kaufs sollte eine notarielle Beglaubigung bestätigen, der zufolge ein Lieferschein und Bestätigungen des ursprünglichen Lizenznehmers vorlägen, dass er rechtmäßiger Inhaber der Lizenzen gewesen sei, diese nicht mehr nutze und den Kaufpreis vollständig bezahlt habe. Oracle klagte gegen diese Form der Weiterverbreitung, weil das Unternehmen seine ausschließlichen Nutzungsrechte verletzt sah. In mehreren Instanzen wurde der Klage bereits stattgegeben. Der BGH sollte über die Revision von Usedsoft entscheiden.

Wie es vom BGH im Februar 2011 hieß, können sich Kunden von Usedsoft möglicherweise auf das deutsche Urheberrecht berufen, das auf eine EU-Richtlinie Bezug nimmt. Diese besagt, dass die Vervielfältigung eines Computerprogramms – solange nichts anderes vereinbart ist – nicht der Zustimmung des Rechteinhabers bedarf, “wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist”. Es stelle sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen derjenige, der eine gebrauchte Softwarelizenz erwirbt, als rechtmäßiger Erwerber des entsprechenden Computerprogramms anzusehen ist. Da der BGH diesen Sachverhalt nicht klären konnte, wurde er dem EuGH vorgelegt.

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Oracle hat nach eigenen Angaben am 6. März beim EuGH beantragt, die Illegalität des Handels mit gebrauchten Software-Lizenzen gemäß europäischem Recht festzustellen. Mehrere deutsche Gerichte hätten das Geschäftsmodell von Usedsoft bereits als illegal eingeschätzt. Es bestehe eine einstweilige Verfügung, den Wiederverkauf von Oracle-Lizenzen zu unterlassen. Vertreter der Europäischen Kommission sowie Frankreichs und Italiens gaben laut Oracle Stellungnahmen im gleichen Sinne ab.

“EU-Gesetze schützen Firmen wie Usedsoft nicht, die mit nichts anderem als heißer Luft handeln”, sagte Uwe Hornung von Clifford Chance, Vertreter von Oracle beim Verfahren vor dem EuGH. “Das Copyright umfasst verschiedene Rechte, einschließlich das Recht zu entscheiden, ob eine Lizenz übertragbar ist oder nicht. Usedsoft behauptet, man wäre in der Lage, Lizenzen an Dritte zu übertragen, obwohl sie das tatsächlich nicht können.”

“Vorherige Instanzen haben in Deutschland zwei Mal im Sinne von Oracle entschieden”, sagte Dr. Truiken Heydn von TCI Rechtsantwälte, Vertreterin von Oracle vor EuGH. “Der Bundesgerichtshof hat bei seiner Vorlage für das vorläufige Urteil des Europäischen Gerichtshofs klar zum Ausdruck gebracht, dass er dahin tendiere, im Sinne von Oracle zu entscheiden.”

Usedsoft sieht die Sache anders. Demnach hat Oracle vor dem EuGH einen “Rückzieher” gemacht und eine Rechtsposition aufgeben: In der mündlichen Verhandlung habe Oracle zugegeben, dass die Unterscheidung zwischen körperlicher Übertragung und Online-Übertragung von Oracle-Software unerheblich sei – wenn es um die Frage geht, ob Oracle-Software der “Erschöpfung” unterliegt. Es bestehe kein Unterschied, ob die Software per Datenträger oder über das Internet vertrieben werde; beide Wege führten zum selben Ergebnis.

Die Unterscheidung zwischen körperlicher Übertragung und Online-Übertragung sei noch für eine weitere zentrale Rechtsfrage entscheidend, so Usedsoft. Oracle habe immer behauptet, Oracle-Software dürfte deshalb nicht weiterverkauft werden, weil die Missbrauchsgefahr bei online übertragener Software besonders groß sei. Nun habe die Oracle-Anwältin zugegeben, dass eine Missbrauchsgefahr überhaupt nicht bestehe: wer Oracle-Software herunterlade, könne damit überhaupt nichts anfangen.

“Ich bin zuversichtlich, dass der EuGH eine Entscheidung fällt, die eine solide rechtliche Grundlage für den Software-Gebrauchthandel schafft”, sagte Usedsoft-Geschäftsführer Peter Schneider. “In der Tat war aus den Fragen des Gerichts eine Tendenz erkennbar, die darauf hindeutet, dass der EuGH dem Weiterverkauf von Software durchaus aufgeschlossen gegenübersteht.”

Usedsoft-Anwalt Andreas Meisternst von der Kanzlei Meisterernst Rechtsanwälte hatte in seinem Plädoyer betont, dass Computerprogramme juristisch gesehen Sachen seien. Als solche dürften sie gebraucht gehandelt werden, wenn sie auf dem Wege des Verkaufs und zur unbegrenzten Nutzung in den Markt gelangt seien. Körperliche Übertragung und Online-Übertragung seien “substanziell äquivalent”. Die Trennung der verschiedenen Vertriebswege sei durch Oracle künstlich erfolgt, um den Gebrauchtmarkt zu verhindern. Dies sei jedoch mit dem im EU-Recht verbindlich verankerten Erschöpfungsgrundsatz nicht vereinbar.

Die Entscheidung des EuGH wird vermutlich noch in diesem Jahr ergehen. Anschließend fällt der Bundesgerichtshof auf Grundlage des EuGH-Spruchs das letztinstanzliche Urteil. “Der EuGH hat auf Anfrage des BGH darüber zu entscheiden, wie dieser diejenigen Normen des deutschen Urheberrechts auszulegen hat, die auf europäischem Recht beruhen”, erläutert Dr. Hauke Hansen von FPS Rechtsanwälte & Notare.

Alle drei vom BGH vorgelegten Fragen beziehen sich laut Hansen auf die Frage der Erschöpfung. Was bedeutet der Begriff der Erschöpfung? Software ist in Deutschland nach dem Urheberrechtsgesetz geschützt, das zum Teil auf europäischen Richtlinien beruht. Danach gilt – anders als beispielsweise beim Vertrieb von Autos – der Grundsatz, dass jede Verwertungshandlung eines geschützten Werkes – zum Beispiel die Vervielfältigung – der Zustimmung des Urhebers bedarf. Zu diesem Grundsatz gibt es die Ausnahme der Erschöpfung des Verbreitungsrechts. Erschöpfung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass bei physischen Datenträgern, die der Hersteller in den Verkehr gebracht hat, der Abnehmer diese ausnahmsweise ohne Zustimmung des Urhebers weiterverbreiten darf.

Anders verhält es sich aber bei virtueller Software, die eben nicht auf einem Datenträger gehandelt wurde. Da hier die besondere Gefahr besteht, dass diese unkontrolliert kopiert und vervielfältigt wird, haben bisher alle damit befassten deutschen Oberlandesgerichte (insgesamt sechs) entschieden, dass die Ausnahme der Erschöpfung keine Anwendung findet und der Weitervertrieb von Volumenlizenzen ohne Einwilligung der Urheber damit unzulässig ist.

Die erste Frage, die der EuGH jetzt zu klären hat, ist eine Vorfrage, die erst zu den für den Oracle-Fall entscheidenden Punkten hinführt. Sie hat den Hintergrund, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes sich lediglich das Verbreitungsrecht erschöpft. Damit dürfe ein Händler zwar den originalen Datenträger verbreiten, aber keine Nutzungsrechte übertragen. Für den Kunden wäre also noch nichts gewonnen. Mit der ersten Vorlagefrage soll daher nun geklärt werden, ob mit einer “erschöpften” CD nicht immer auch mindestens ein Vervielfältigungsrecht einhergeht.

Daran schließt sich die zweite Vorlagefrage an, nämlich ob die für das Verbreitungsrecht von originalen Datenträgern geltende Erschöpfung entsprechend auch für online in den Verkehr gebrachte und anschließend vom Erstkäufer auf CD gebrannte Software gelten soll. Würde man diese Frage bejahen, könnte man einer gebrannten CD folglich nicht mehr ansehen, ob sie eine bloße Raubkopie oder zu einem “erschöpften” Original geworden ist.

Auf die Spitze getrieben wird dies in der dritten Vorlagefrage, in der der EuGH zu klären hat, ob für den Fall, dass die zweite Frage bejaht wird, die Ausnahme der Erschöpfung für die Software selbst dann greifen soll, wenn vom Gebrauchtsoftwarehändler gar keine Software übertragen wird, sondern ausschließlich Lizenzen. Genau dafür hatte Usedsoft nämlich geworben.

Laut Hansen ist die EuGH-Entscheidung nicht nur für die Softwarebranche von Bedeutung. Betroffen seien alle Produkte, die auf digitalem Wege vertrieben werden, so etwa MP3-Dateien, Hörbücher oder E-Books. Hier liege die Gefahr auf der Hand, dass der Erstmarkt erheblich leiden oder sogar zusammenbrechen würde, wenn man eine Weiterverbreitung zuließe. Denn anders als bei gebrauchten CDs oder Büchern nutzten sich digitale Musik oder E-Books nicht ab und seien immer neuwertig. Entsprechende digitale Geschäftsmodelle könnten dann nicht mehr funktionieren. Auch die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen würde sehr erschwert. Hansen: “Dabei sind nicht nur die großen Konzerne betroffen. Leiden würden vor allem die Künstler, Interpreten und Autoren, die mit erheblichen Einkommenseinbußen zu rechnen hätten.”

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