EuGH: Datenschutz und Auskunftsanspruch des erfolglosen Bewerbers

Der erfolglose Bewerber auf eine Stellenausschreibung hat keinen Auskunftsanspruch darüber, ob der Arbeitgeber am Ende eines Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat.

Das Benachteiligungs- oder Diskriminierungsverbot stellt ein grundlegendes rechtsstaatliches Prinzip dar, welches von Gesetzgebung und Rechtsprechung im Laufe der Zeit von einer bloßen Schutz- zu einer aktiven Förderungspflicht des Staates entwickelt worden ist. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) im April 2012 (Entscheidung vom 19.04.2012, Az. C-415/10) auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

In diesem Zusammenhang ist vor allem die Gewährleistung gleicher Chancen für Beschäftigung und Beruf von zentraler Bedeutung, da insbesondere dies die Teilhabe am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben ermöglicht.

Der Nachweis einer Diskriminierung ist jedoch gerade im Einstellungsverfahren besonders schwierig, verfügt die betroffene Person regelmäßig kaum oder gar nicht über weiterführende Informationen als die schlichte Tatsache einer Absage auf eine Bewerbung.

Der Gesetzgeber ermöglichte daher für den Betroffenen eine Erleichterung der Beweislast hinsichtlich des Vorliegens einer Diskriminierung, ohne die Beweislast allerdings umzukehren. So trägt gemäß § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn im Streitfall eine Partei (z.B. der Stellenbewerber) Indizien darlegt, die eine Diskriminierung vermuten lässt, die andere Partei (z.B. der Arbeitgeber) die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Die Bedeutung von § 22 AGG wird umso deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass § 21 AGG Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche vorsieht, welche alle an das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot anknüpfen und auf Grund der Beweislasterleichterung die Glaubhaftung von Indizien hierfür ausreichend sein kann.

Die Entscheidung C-415/10 des EuGH vom 19.4.2012, welche diesem Beitrag zugrunde liegt, befasste sich mit der Fragestellung, ob ein erfolgloser Bewerber gegen den Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch hinsichtlich des Ausgangs des Bewerbungsverfahren geltend machen kann, um so informationell in die Lage versetzt zu werden, Indizien für eine Diskriminierung glaubhaft machen und so die Beweislasterleichterung überhaupt erst nutzen zu können.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist der Fall interessant, macht doch zwangsläufig die Weitergabe von Informationen des erfolgreichen an den erfolglosen Bewerber durch den Arbeitgeber ersteren zu einer betroffenen Person einer Datenverarbeitung im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Spiegelbildlich macht es den Arbeitgeber insoweit zu einer datenverarbeitenden Stelle mit allen damit verbundenen Rechten und insbesondere Pflichten.

Zum Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Klägerin ist Inhaberin eines außereuropäischen Diploms als Systemtechnik-Ingenieurin, dessen Gleichwertigkeit mit einem in Deutschland von einer Fachhochschule erteilten Diplom durch das Land Schleswig-Holstein anerkannt wurde. Die Beklagte ist Anbieterin von Messaging- und Mobility Lösungen für Unternehmen und Netzbetreiber.

2006 bewarb sich die Klägerin erfolglos auf eine Stellenausschreibung der Beklagten, welche auf der Suche nach „eine[m/r] erfahrene[n] Softwareentwickler/-in“ war. Die Absage erfolgte ohne vorherige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch und ohne Begründung. Kurze Zeit später veröffentlichte die Beklagte erneut eine inhaltsgleiche Stellenausschreibung im Internet, worauf sich die Klägerin ein zweites Mal bewarb. Erneut folgte eine begründungslose Absage ohne ein vorheriges Vorstellungsgespräch.

Die Klägerin erhob Klage vor dem Arbeitsgericht auf Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 15 AGG, da sie sich ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihres Alters wegen benachteiligt sah. Weiterhin verlangte sie von der Beklagten die Vorlage der Bewerbungsunterlagen des aufgrund der Stellenanzeige eingestellten Bewerbers, um so beweisen zu können, dass sie besser qualifiziert sei als dieser. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht als Berufungsinstanz wiesen die Klage mit der Begründung zurück, die Klägerin habe nicht genug Indizien für eine Diskriminierung dargelegt, wie es § 22 AGG fordert. Die Klägerin legte daraufhin beim BAG Revision ein.

Dies erkannte zwar in der Tatsache, dass andere erfolglose Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurden, eine weniger günstige Behandlung der Klägerin durch die Beklagte, sah dies allerdings nicht als ausreichend an, Indizien für die Vermutung einer Benachteiligung zu sehen. Diese müssten, so das BAG, über bloße Behauptungen hinausgehen. Ausreichend aber auch erforderlich sei es, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Benachteiligung ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihres Alters wegen schließen ließen. Das BAG wies darauf hin, dass man der Darlegungslast aus § 22 AGG nicht dadurch nachkomme, wenn man lediglich vortrage, man habe sich beworben, sei unberücksichtigt geblieben und erfülle das geforderte Anforderungsprofil, ansonsten aber nur Geschlecht, Alter und Herkunft angebe. Im konkreten Fall konnte die Klägerin jedoch keine weiteren Angaben machen, da die Beklagte ihre Bewerbung ohne Nennung von Gründen ablehnte.

§ 22 AGG und weitere einschlägige Bestimmungen des AGG liegen europäischem Gemeinschaftsrecht zugrunde, namentlich Art. 8 der Richtlinie 2000/34/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vom 29. Juni 2000 und Art. 10 der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000.

Das BAG hegte Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, welches es noch um Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) ergänzte und legte dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorlageentscheidung vor:

1. [Ist das oben genannte Gemeinschaftsrecht] dahin gehend auszulegen, dass einem Arbeitnehmer, der darlegt, dass er die Voraussetzungen für eine von einem Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle erfüllt, im Fall seiner Nichtberücksichtigung ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Auskunft eingeräumt werden muss, ob dieser einen anderen Bewerber eingestellt hat und wenn ja, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist.

2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist der Umstand, dass der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteilt, eine Tatsache, welche das Vorliegen der vom Arbeitnehmer behaupteten Diskriminierung vermuten lässt?

Die Entscheidung

Der EuGH verneinte einen Auskunftsanspruch. Das Gericht konnte hierbei auf seine eigenen Grundsätze zurückgreifen, die es zur Beweislast bei Diskriminierung aufgrund Geschlechts in der Entscheidung C-104/10 vom 21.7.2011 (“Kelly”) zu den insoweit nahezu inhaltsgleichen gemeinschaftsrechtlichen Vorgängerregelungen entwickelt hatte. Machte danach eine Person, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt hielt, bei einem Gericht Tatsachen glaubhaft, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten ließen, dann trage der Beklagte (regelmäßig der Arbeitgeber) hinsichtlich der Nichtdiskriminierung, also der Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, die Beweislast.

Zur Frage eines Auskunftsanspruchs des Stellenbewerbers urteilte der EuGH in der Entscheidung Kelly seinerzeit, dass es zwar keinen entsprechenden Anspruch gäbe, jedoch nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Verweigerung von Informationen durch den beklagten Arbeitgeber im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beeinträchtigen und den gesetzlichen Bestimmungen ihre praktische Wirksamkeit entziehen könne.

Der EuGH sah keine Anzeichen dafür, dass der Unionsgesetzgeber durch die Neuregelungen an den genannten Grundsätzen etwas ändern wollte und konnte die Frage nach dem Auskunftsanspruch nicht bejahen. Gleichzeitig, so die erkennende Zweite Kammer, dürfe ganz grundsätzlich die Auskunftsverweigerung eines Beklagten nicht die mit den Richtlinien verfolgten Ziele beeinträchtigen. Daher habe das jeweilige Gericht, insbesondere bei Klärung der Frage, ob es genügend Indizien gibt, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, alle Umstände des Ausgangsrechtstreits zu berücksichtigten.

Schlussendlich verneinte der EuGH also die erste Vorlagefrage nach einem Auskunftsanspruch, ergänzte jedoch, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein könne, der im Rahmen eines Nachweises von Tatsachen, die eine Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen sei. In diesem Zusammenhang sei es Sache des vorlegenden BAG, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall sei.

Würdigung der Entscheidung

Der EuGH blieb kongruent zu seiner Rechtsprechung und dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinien. Er ging dabei in den Entscheidungsgründen nicht weiter auf die Möglichkeit ein, einen entsprechenden Anspruch durch Auslegung herzuleiten. Tatsächlich schlug die Europäische Kommission einen Auskunftsanspruch der Diskriminierungsopfer im Vorfeld des Richtlinienerlasses vor. Da aber dieser im endgültigen Wortlaut keine Berücksichtigung fand, muss dies wohl, wie auch der Generalanwalt Paolo Mengozzi in seinen Schlussanträgen deutlich machte, als ausdrücklicher Wille des europäischen Gesetzgebers gegen einen Auskunftsanspruch gesehen werden.

Interessanter dürfte daher der Zusatz auf die Antwort der ersten Vorlagefrage sein, mit welcher der Gerichtshof auf einen Aspekt einging, der den Generalanwalt Mengozzi immerhin zum Vorschlag an das Gericht bewog, die zweite Vorlagefrage des BAG im Sinne der Vermittlung „zweckdienlicher Informationen“ und der „Zusammenarbeit“ umzuformulieren.

Dem lag im Wesentlichen folgende Frage zugrunde: Was hilft dem erfolglosen Bewerber die gesetzliche Beweislasterleichterung, wenn der Arbeitgeber durch Informationsverweigerung verhindern kann, dass der Bewerber überhaupt die erforderlichen Indizien für eine Diskriminierung glaubhaft machen kann? Der Generalanwalt betonte, dass der Stellenbewerber vollständig vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig sei und letzterer durch Verweigerung von Informationen seine Entscheidung mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit unangreifbar machen könne. Gerichtshof und Generalanwalt hoben hervor, dass dieser Umstand die Verwirklichung des Richtlinienzwecks gefährde. Konkret geht es also um die rechtlichen Folgen des Schweigens des Arbeitgebers.

Der Gerichtshof blieb hierbei etwas vage, indem er urteilte, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass schon ein Schweigen des Arbeitgebers ein Indiz für eine Diskriminierung sei.

Anders formuliert: Ein Schweigen kann Folgen haben.

Auswirkungen auf die Praxis?

Indem der EuGH Konsequenzen auf ein Schweigen des Arbeitgebers nicht ausschloss, könnten sich nun Personalabteilungen im Rahmen von Stellenausschreibungen verstärkt der Frage widmen, wie sie sich gegen etwaige Haftungsrisiken absichern können. Solchen Überlegungen müssten sich dann zwangsläufig datenschutzrechtliche Fragestellungen anschließen:

Kann der Arbeitgeber die Datenweitergabe über § 32 BDSG als Datenverarbeitung für Beschäftigungszwecke, der die allgemeinen Datenverarbeitungsregelungen verdrängt, auch ohne ausdrückliche Einwilligung des Bewerbers weitergeben? Welche Informationen reichen aus, um nicht mehr „zu schweigen“? Stellt eine Bewerbung konkludent eine Einwilligung dar?

Gerade in Diskriminierungsfällen liegt zudem die Möglichkeit nahe, dass auch sensible, also „besondere Arten personenbezogener Daten“ im Sinne § 3 Abs. 9 BDSG weitergegeben würden. In einem solchen Fall wäre eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung unerlässlich und eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung könnte wohl nicht mehr über § 32 BDSG erfolgen.

So könnte zukünftig zu den allgemein geforderten Bewerbungsunterlagen eine Einwilligung zur Datenweitergabe von Bewerbern im Falle ihrer Berücksichtigung erforderlich werden. Würde die Abgabe der Einwilligung vom Bewerber verweigert läge damit auch das Argument nahe, dass dem Arbeitgeber in diesem Fall nicht mehr ein Schweigen „zur Last gelegt“ werden könnte.

Vor dem Hintergrund dieser Fragen ist der Ausgleich zwischen den Regelungen des AGG und des Datenschutzrechts für den Arbeitgeber künftig im verstärkten Maße zu beachten: So sind auf der einen Seite Daten, die vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses erhoben wurden, unverzüglich zu löschen, sobald feststeht, dass ein solches Verhältnis nicht zustande kommt und kein Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt werden. Auf der anderen Seite sieht § 21 Abs. 5 AGG eine spezielle Ausschlussfrist von zwei Monaten zur Geltendmachung von Ansprüchen aus Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vor. Die Frist verlängert sich, wenn der Betroffene ohne eigenes Verschulden an der Geltendmachung eines Anspruchs gehindert war. Es könnte in Erwägung gezogen werden, auch zu Zwecken der Dokumentation und eigenen Absicherung, die Bewerbungsunterlagen von abgelehnten Bewerbern für mindestens drei Monate aufzubewahren.

Fazit

Personalabteilungen müssen berücksichtigen, dass eine begründungslose Absage auf eine ausgeschriebene Stellenbewerbung – dies kann freilich auch ein schlichtes Ignorieren der Bewerbung sein – ein Indiz für eine Diskriminierung sein kann. Das Nichtvorliegen einer Diskriminierung müsste dann durch den Arbeitgeber bewiesen werden. In der Praxis empfiehlt sich im Zweifel, von Bewerbern die Einwilligung einholen zu lassen, bestimmte bezeichnete Bewerberdaten auch zum Nachweis einer diskriminierungsfreien Einstellungsentscheidung verwenden zu dürfen. Wird diese Einwilligung verweigert kann sich der Arbeitgeber später zumindest darauf berufen, dass ihm sein Schweigen nicht als Indiz für eine Diskriminierung auszulegen sei.