IRQ 12-4: Smartphone und Televisor

Prism, Ströbele und Edward Snowden

Sie ist nicht mehr, wie sie mal war, diese Entwicklerkonferenz in San Francisco’s Moscone Center. Etwas hat gefehlt: One more thing.

Schade, es ist jetzt wirklich nicht mehr so pittoresque wie früher: Der Mann, der in seiner Heimat umstandslos als “großer Führer” bezeichnet wird – etwa von homeofthenerds.com – betritt die Bühne, sagt zwei Worte, und frenetischer Jubel bricht los. So war’s doch immer!

Nein, die Rede ist nicht von den Ansprachen Enver Hoxhas vor den Kongressen der Partei der Arbeit Albaniens. – Dem trauert schließlich niemand nach. – Es geht natürlich um die Keynotes auf Apple’s World Wide Developers Conference.

Obwohl: Man konnte die beiden Veranstaltungen bislang ja durchaus leicht verwechseln. Statt “Genossinnen, Genossen!” sagte weiland Steve Jobs “Good Morning”. Und was dann folgte, war gleich: “Beifall – Ovationen – Ovationen, nicht enden wollend”, wie’s in den albanischen Parteitagsprotokollen heißt.

Und deshalb fragt man sich aus solchen Anlässen auch immer wieder, ob nicht einfach totalitäre politische Systeme, wie George Orwell sie so treffend in “1984” beschreibt, durch IT-Systeme und die dahinter stehenden Organisationen ersetzt wurden. Und Letztere arbeiten ja um einiges effektiver.

In 1984 etwa gelingt es den beiden Romanfiguren Winston Smith und Julia, sich einen kleinen Freiraum für Lust, Liebe und Lebensfreude in Form eines Hotelzimmers zu organisieren – trotz der Jugendliga gegen Sexualität. – Die Überwachung des App Store hingegen ist lückenlos. Da rutscht nicht einmal das Titelbild einer so langweiligen Illustrierten wie dem Focus durch.

Bei George Orwell teilen drei Supermächte die Welt unter sich auf und führen beständig Krieg gegen einander. Im Cyberspace wären das: Apple, Google und Facebook.

Orwell’s Ozeanien verfügt über gewaltige Armeen. – Apple hält Kreditkarteninformationen von 400 Millionen Kunden in seiner Datenbank. Das ist ein deutlich größeres Machtpotential.

Noch besser ist Facebook organisiert. Während die Supermächte in “1984” mit aufwändigen Geheimdienstoperationen die Bevölkerung überwachen, liefert sie bei Facebook auch die intimsten Informationen freiwillig ab und hält sie laufend auf dem aktuellen Stand. Und die Datenbank ist komplett: eine Milliarde Einträge, fast jeder auf der Welt, der kaufkräftig ist, also die, auf die’s ankommt.

Zwar gibt’s in der Facebook-Welt keine Televisoren wie im Roman, dafür aber Smartphones mit GPS-Chips und Kameras, deren Aufnahmen biometrisch weiterverarbeitet werden. George Orwell war 1948, als er “1984” schrieb, seiner Zeit voraus. Der heutigen aber war er halt doch sehr hinterher.

Diese Aufnahme von Enver Hoxha, dem jahrzehntelang herrschenden Despoten Albaniens, soll laut Wikipedia im Jahre 1984 entstanden sein.

Überhaupt kommen in seinem Buch Computer ja nicht vor. Das hat man erst später hineininterpretiert. Google wiederum verfügt über eine Million davon in seinen Rechenzentren. Gegen den Chef-Administrator von Google war Orwell’s Big Brother einfach nur ein trübes Licht.

In “1984” propagiert die Partei den Neusprech, eine reduzierte, facettenlose Sprache, die das Denken einschränkt und somit kontrollierbar macht. Aus “gut”, “besser”, “am besten” etwa wird so “gut”, “plusgut”, “doppelplusgut”. Suuuper! möchte man in der aktuellen Werbe-Sprache sagen, die Derartiges ansonsten sehr bereichern würde.

In Firmen erlässt die Abteilung für Unternehmenskommunikation Sprachregelungen. Gegen sie und die unzähligen PR-Agenturen, die jene verbreiten, nimmt sich Orwell’s Miniwar (Ministerium für Wahrheit) aus wie der Verein zur Erhaltung der gepflegten Konversation.

Na ja, vielleicht ist das doch etwas übertrieben. Manchmal geht halt die Phantasie mit einem durch. – Und da muss man aufpassen. Denn das könnte ja ein Gedankenverbrechen im Orwellschen Sinne sein.

Deshalb: One more thing!

Es ist ja alles gar nicht so. Die Keynote von Tim Cook war anders. Der taugt nicht zum charismatischen Führer und Verführer. Im Gegenteil: Steve Jobs verhält sich zu Tim Cook in etwa so wie Che Guevara zu Frank-Walter Steinmeier. – Besser wird die Sache dadurch allerdings auch nicht.