“Zugriff auf fast das gesamte Weltwissen”

Mobile Geräte im Unternehmen bedeuten zunächst einen größeren Aufwand. Allerdings ist Michael Brettner, Mobility Leader, IBM Deutschland davon überzeugt, dass sich der Aufwand für alle auszahlen wird, spätestens dann wenn wir die klassische Sicht auf die Arbeitswelt ablegen und neue Perspektiven entwickeln. IBM konzentriert sich dabei auf kognitive Systeme.

silicon.de: Mobile Nutzung nimmt immer mehr zu und diese Entwicklung vollzieht sich in rasender Geschwindigkeit. Wenn wir jetzt erst mal zurückblicken: Mit welcher Technologieeinführung könnte man das am ehesten vergleichen?

Brettner: Tatsächlich nimmt die Ausbreitung der mobilen Nutzung rasant zu, die Geschwindigkeit dieser Entwicklung ist enorm. Man kann diese Entwicklung durchaus mit der Einführung des World Wide Web vergleichen. Vergleichbar sind beide Technologiesprünge nicht nur wegen der Ausbreitungsgeschwindigkeit, sondern auch was ihre enormen Auswirkungen auf das tägliche Leben betrifft.

silicon.de: Das Ganze hat natürlich auch gesellschaftliche Auswirkungen. Was kann man denn bereits heute beobachten, was hat sich bereits durch die mobile Nutzung verändert?

Brettner: Natürlich eröffnet die mobile Nutzung dem Menschen viele, viele neue Möglichkeiten: Mit seinem Smartphone trägt jeder im Prinzip den leichten Zugriff auf fast das gesamte Weltwissen in seiner Jackentasche mit sich, allein das ist ja schon revolutionär. Viel wichtiger sind aber die ganzen Alltagshilfen, die sich hier bieten – mein Mobilgerät sagt mir, ob ich die richtige Abzweigung genommen habe, wo das nächste Restaurant ist oder welche Sonderangebote der Shop bietet, an dem ich gerade vorbei gehe. Hinzu kommt, dass sich viele Arbeitsprozesse damit entscheidend erleichtern lassen und wir für unsere privaten und beruflichen Netzwerke ständig präsent sind. Allerdings sind mit der mobilen Nutzung auch neue Verhaltensmuster verbunden, die durchaus gewöhnungsbedürftig sind. Oft rückt das Smartphone zu sehr in den Mittelpunkt und die Menschen achten weniger aufeinander, das stört in geselligen Runden. Internetsüchtige schalten auch unterwegs nicht mehr ab. Und im Straßenverkehr kann die Ablenkung sogar sehr gefährlich werden.

silicon.de: Nicht immer ist es von Vorteil, always on zu sein. Leidet denn nicht auch die Qualität der Arbeit, wenn man alles mit einem Wischer aus dem Handgelenk schüttelt?

Brettner: Auch hier gibt es Vor- und Nachteile: Positiv ist sicher, dass sich Arbeitsvorgänge und Prozesse signifikant verkürzen. Die mobilen Arbeitsgeräte sind heute direkt mit den Backend-Systemen verbunden, das spart den gewaltigen Aufwand der manuellen Datenübertragung. Manuelle Papiervorgänge sind zudem auch immer sehr fehleranfällig, das lässt sich durch mobile Prozesse verbessern, die Qualität steigt also sogar. Der Nachteil: Das alles geschieht nicht von alleine – die Arbeitsabläufe und die damit verbundene Dialogführung müssen erst auf die Nutzung mit dem Smartphone oder Tablet angepasst werden. Diese Konzentration auf die angenehme Benutzung führt dann wieder dazu, dass die Menschen die Geräte immer intuitiver und damit auch gerne verwenden. Warum sollte das der Qualität abträglich sein? Dadurch entsteht zwar zunächst einmal hoher Aufwand, ehe Unternehmen die Früchte der mobilen Nutzung ernten können. Aber der sollte sich lohnen.

silicon.de: Wenn ich mir mein Postfach anschaue, dann kommen da im Schnitt täglich über 250 Mails an. Sind nicht inzwischen eigene Strategien nötig, um mit dieser Flut auch mobil umzugehen?   

Brettner: Hier zeigt es sich, dass spezielle Plattformen für die Zusammenarbeit sich besser für die mobile Kommunikation eignen. Solche Plattformen gibt es ja bereits – nicht nur in Form von sozialen Netzwerken für den Privatgebrauch, sondern auch speziell für den Beruf und die Arbeit im Unternehmen. Hier gibt es ja bereits Ansätze, in denen man durch die Bildung von Communities zum Austausch von Informationen und Meinungen sowie den Einsatz von Blogs, Foren usw. die Zusammenarbeit effizienter gestalten kann. Ziel ist es, im Informationsaustausch weg vom “Push”-Mail-Modus und hin zum selbstkontrollierten “Pull”-Modus zu gelangen. Und was die bidirektionale Kommunikation betrifft – hier können die Wege zwischen den Partnern durch Messaging-Dienste optimiert werden, da sie in der Regel schneller und direkter sind, als etwa E-Mails.

silicon.de: Es gibt also Bereiche, auch im Business-Umfeld, wo mobile Anwendungen keinen Sinn machen und eventuell den Mitarbeiter nicht produktiver machen, sondern schlimmstenfalls ablenken?

Brettner: Die gibt es sicherlich, das ist keine Frage. Allerdings haben wir es mit einer Entwicklung zu tun, die in sehr viele Bereiche hineinreicht und die Veränderungen mit sich bringen wird, die wir heute noch nicht absehen können. Daher wäre es etwa zu kurz gegriffen, bei mobiler Nutzung nur an Szenarien zu denken, so es um den Zugriff auf Informationen unterwegs geht. Denn wer nur das Augenscheinliche mobil unterstützt, dem können Chancen grundlegender Änderungen der Interaktion und Arbeitsprozesse entgehen. Hier gilt es, auch altbewährte, klassische Arbeitsprozesse aus neuer Perspektive zu betrachten und so auf neue, überraschende Lösungen zu kommen. Diese Einstellungsänderung unterstützen wir mit unserem Mobile First-Ansatz. Dabei wird tatsächlich zuerst über die Wertschöpfung durch mobile Kanäle, Anwendungen und Geräte und deren Auswirkungen auf Business Modelle, Geschäftsprozesse und Technologien nachgedacht und erst im Anschluss die Integration mit vorhandenen Kanälen untersucht.

silicon.de: Dennoch setzten viele Unternehmen, auch auf der Anbieterseite, ganz gezielt auf mobile Anwendungen und mobilen Zugriff.

Brettner: Es kann sich kein Unternehmen heute mehr leisten, den Mobil-Trend nicht in irgendeiner Weise auf der Rechnung zu haben. Da ist der Druck von Seiten des Marktes, der Kunden, der Mitarbeiter einfach zu hoch. Allerdings sollte man nur dort auf mobile Zugriffe und Anwendungen setzen, wo es wirklich Sinn macht. Um hier zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen, ist eine Vertiefung der Thematik erforderlich. Mit unserem Mobile First-Ansatz unterstützen wir Unternehmen hier in allen relevanten Bereichen.

silicon.de: Gut, heute haben wir Touch. Was kommt aus ihrer Sicht als nächstes? Ist Google Glass ein Vorbote, oder bleiben wir jetzt erst mal mehrere Generationen auf Touch-Geräten?

Brettner: Das Denken und Forschen von IBM bewegt sich hier sehr stark in Richtung kognitives Computing und lernende Systeme. Nach unseren Vorstellungen werden Computer – ob mobil oder nicht – das Stadium bloßer Rechenknechte hinter sich lassen und die menschliche Erfahrungswelt – unsere fünf Sinne – mehr und mehr erweitern.

silicon.de: Auf der CeBIT 2011 hat SAP zum ersten Mal so etwas wie den Vorläufer von Glass vorgestellt und zwar in einer speziellen Anwendung für die Logistik-Branche. Das Interesse daran war, würde ich mal sagen, mäßig. Was ist bei Glass anders? Denken, sie dass es hier neue Optionen für Unternehmen gibt ?

Brettner: Wir kommentieren Glass nicht. Mit IBM 5 in 5 haben wir skizziert, welche Entwicklungen aus unserer Sicht aussichtsreich sind. Wir erwarten Durchbrüche im Bereich kognitiver Systeme, die dazu führen können, dass Computer – auf ihre Weise natürlich – sehen, schmecken, fühlen, hören oder riechen können werden. Das wird neue Möglichkeiten für viele Industriezweige eröffnen.

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