IRQ 14-01: Apfel-Geschichten

Mit der Erfindung des PCs in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhundert begann das Informationszeitalter. Heute allerdings will niemand mehr dieses epochemachende Gerät kaufen. Gartner prognostiziert für 2014 weiter sinkende Absatzzahlen. Lediglich Chromebooks gehen gut. Unser Kolumnist Achim Killer kann sich das nicht erklären und sucht deshalb in den großen Mythen der Menschheit nach Interpretationshilfen für die jüngsten Marktprognosen.

Geschichten, in denen ein Apfel die Schlüsselrolle spielt, lesen sich unangenehm. Denn sie gehen immer ungut aus. So war’s schon mit dem, den Eva ihrem Adam gab. Am Ende dieser aller ersten Tragödie vertreibt ein Cherub mit Flammenschwert die beiden aus dem Garten Eden (Genesis, Kap 3, Vers 24).

Und bloß wegen dieses Apfels konnte Unsereins demnach nicht im Paradies aufwachsen, sondern muss im Schweiße seines Angesichts sein täglich Brot verdienen. Von der einen oder anderen Halben gelegentlich ganz zu schweigen. Es ist eine sch…reckliche Geschichte.

Nicht viel besser die Ilias. Für den Nachruhm, den sie Homer eingebrachte, hätte der sich doch wenigstens ein happy End einfallen lassen können, sollte man meinen. Aber von wegen!

Der Plot: Drei zickige Göttinnen kabbeln sich – genau! – um einen Apfel, einen goldenen. Dieser gebühre der Schönsten, steht drauf. Und dann kommen die Drei drauf, ausgerechnet einen verzogenen Schönling, Paris mit Namen, entscheiden zu lassen, wer das denn sei. Der Rest: siehe oben. Wieder spielt das Schwert die entscheidende Rolle, diesmal in vielfacher Ausfertigung und aus Bronze. Und am Ende stehen Vertreibung und Leid jedweder Art.

Götter, Äpfel und metallene Gegenstände bilden offenkundig stets ein ganz üble Melange.

Nun könnte man das alles ja in den Bereich der Mythen verweisen. Schließlich ist der Mensch inzwischen als vernunftbegabtes Wesen erkannt, spätestens seit Kant. Und mit dem Computer hat er sich ein diese Begabung unterstützendes Werkzeug geschaffen – für den Fall, dass er mal etwas vergisst, oder für niedrige geistige Tätigkeiten wie Rechnen, Sortieren, Archivieren und Ähnliches. Damit er sich auf’s Wesentliche konzentrieren kann halt.

Das heißt, am Anfang hatte er dieses Werkzeug noch nicht, sondern eher umgekehrt: Es hatte ihn. Er saß an einem dummen Terminal und tat nur dann etwas, wenn der Mainframe im fernen Glashaus ihn dazu aufforderte (engl.: to prompt).

Dann aber in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhundert schraubten ihm vom emanzipatorischen Geist beseelte Pioniere – Steve Jobs etwa mit dem Apple I – einen völlig neuartigen Computer zusammen, einen persönlichen Computer (PC). Sie holten den Computer aus dem Glashaus. Und der Mensch konnte unbehelligt vom göttlichen Zorn vom Baum der Erkenntnis essen und selber schrauben. – Der Schrauber ist der Freiheitsheld des Informationszeitalters!

Das ist doch eine andere Geschichte, gell?

Allerdings leider nur deren Anfang. Denn Reaktionären, also rückwärts gewandten Leuten, waren frei schraubende, installierende und konfigurierende User bald ein Dorn im Auge. Scott McNealy beispielsweise, einem Unternehmer, der mit besonders leistungsfähigen PCs, Workstation genannt, reich geworden war.

Als seine Workstations schließlich so leistungsfähig wurden, dass er sie ins Glashaus stellen, Server nennen und damit Mainframes verdrängen konnte, propagierte er den Thin Client oder Netz-PC. Aber die User kamen ihm sehr schnell drauf, dass der Netz-PC kein PC war, sondern nur ein dummes Terminal.

Steve Jobs stand zu der Zeit kurz vor seiner Apotheose zum iGod. Und seine Apfel-Firma verkaufte den iMac, eigentlich bloß eine Art Schönling unter den PCs, mit dem Unterschied allerdings, dass man ihn nicht aufschrauben konnte. Zum weltweit mächtigsten Konzern ist Apple dann schließlich durch das iPhone geworden. Das lässt sich weder aufschrauben, noch kann man darauf installieren, was man mag.

Und Daten, die man mit einem iPhone oder einem iPhone-Clone verarbeitet, die gehen sofort in die Cloud. Die Rechenzentren von Apple, Google und anderen Internet-Konzernen sind die modernen Glashäuser. Nur nicht so transparent wie die alten sind sie. Und die User tragen Gadgets mit sich herum, die das genaue Gegenteil von PCs sind – dumm, schön und administriert von wem auch immer, nur nicht vom User.

Geradezu putzig wirkt darüber die aktuelle deutsche Debatte über die Vorratsdatenspeicherung: Alle Daten sind bereits gespeichert. Und die Geheimdienste haben darauf Zugriff. Es dreht sich nur noch um die von den paar wenigen, die bloß telefonieren oder ganz altmodisch – mit dem PC – mailen.

Es ehrt den iGod Steve Jobs denn auch, dass er wenigstens keines seiner Gadgets iPC genannt hat. Google, dem iCloner, blieb es vorbehalten, in der Nachfolge von Scott McNealy ein dummes Terminal verbal als richtigen Rechner aufzuplustern. Chromebooks nennt der vielleicht bedeutendste NSA-Informant seine Geräte, was nach Notebook, also nach einem veritablen PC klingt. Fünf Millionen davon, also mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr, sollen heuer verkauft werden. Das erwartet die Gartner Group.

Ach ja. Götter, Äpfel und Metall – Geschichte wiederholt sich. Aber besser wird sie dadurch nicht.