Augmented-Reality-Start-up Magic Leap entzaubert

Magic Leap (Screenshot: ITespresso.de)

Zehn Monate nachdem das Start-up aus Florida in einer Serie-C-Finanzierung fast 800 Millionen Dollar von Investoren bekommen hat, blättert der Lack ab. Die Geheimniskrämerei um die Technologie entpuppt sich als Vernebelungstaktik, das bisher Gezeigte als geschönt.

Augmented Reality ist einer der Technologiebereiche mit großem Potenzial. Darin sind sich Experten schon lange einig. Firmen wie Intel, Google, Microsoft und höchstwahrscheinlich auch Apple arbeiten daran, für ihre Produkte geeignete Nutzungsszenarien zu finden und Niantic hat mit Pokémon Go vorgemacht, was für eine Begeisterung damit ausgelöst werden kann – auch wenn die Frage noch nicht ganz geklärt ist, wie lange die aufrechterhalten werden kann. Immerhin hat das Spiel auch schon Business-Strategen zum Nachdenken darüber inspiriert, was Firmen für Unternehmenssoftware daraus lernen können.

In diesem Rennen um einen Platz am Umsatz-Buffet der Zukunft wird mit harten Bandagen gespielt. Und wie der Fall des US-Start-ups Magic Leap zeigt, offenbar auch manchmal Foul gespielt. Das Unternehmen um CEO Rony Abovitz hatte es vor etwas mehr als einem Jahr mit einem kurzen Video über einen Wal, der aus dem Boden einer Schulturnhalle auftaucht und dann gewaltigem Platschen vor den Augen der staunenden Schüler wieder in die Wellen eintaucht geschafft, die öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Das Video war beeindruckend und gut gemacht. Wie sich jetzt herausgestellt hat, wurden aber nicht nur wie behauptet eigene Technologien zur Produkt verwendet, sondern wurde “gedopt” – also auf externe Hilfsmittel zurückgegriffen.

Dasselbe gilt für ein ebenfalls vor etwas über einem Jahr veröffentlichtes Video, in dem der Einsatz von Augmented-Reality-Technologien im Büroalltag gezeigt wird. In dem Video wurde ebenfalls in Anspruch genommen, dass es lediglich mit eigener Technologie aufgenommen worden ist. Auch das hat sich nun als Schwindel herausgestellt.

Eines der bekannteren Bilder, mit denen Magic Leap für seine noch in Entwicklung befindliche Augmented-Reality-Technologie geworben hat (Screenshot: ITespresso).
Eines der bekannteren Bilder, mit denen Magic Leap für seine noch in Entwicklung befindliche Augmented-Reality-Technologie geworben hat (Screenshot: ITespresso).

Manche deuten nun mit dem Finger auf „die Medien“ generell, die zu unkritisch Aussagen von Magic Leap übernommen hätten. Das ist allerdings nicht ganz fair, denn das Unternehmen war mit Informationen stets äußerst sparsam und hat sie immer nur geschickt und gezielt an einige Journalisten verteilt.

Etwas genauer informiert gewesen sein dürften dagegen die Investoren. Die erste große Finanzierungsrunde m Herbst 2014 brachte Magic Leap bereits 542 Millionen Dollar an Wagniskapital ein. Neben den VCs Kleiner Perkins Caufield & Byers und Andreessen Horowitz beteiligten sich auch Google und Qualcomm Ventures an dem Unternehmen. Außerdem erhielt damals auch der bei Google inzwischen zum CEO aufgestiegene Sundar Pinchai einen Sitz im Board des Start-ups.

Im Dezember 2015 wurde dann über eine weitere Finanzspritze von über 800 Millionen Dollar berichtet. Dass es immer noch kein funktionierendes Produkt vorweisen konnte begründete CEO Abovitz kurz zuvor damit, dass man alles von Grund auf neu entwickeln müsse.

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Den Möglichkeiten ist eine Studie von Deloitte, Fraunhofer FIT und Bitkom nachgegangen. Deren Autoren sehen enormes Potenzial, warnen aber auch vor überzogenen Erwartungen. Der eco Verband hält zugleich das Feld Augmented Reality für unterschätzt.

Ziel sei es mit Hilfe einer speziellen Brille die tatsächliche Umgebung durch digitale Bilder zu überlagern. Von bereits erhältlichen Angeboten etwa von Brother, Epson oder Vuzix wollte sich Magic Leap dadurch unterscheiden, dass es “digitale Lichtfelder” in die Augen der Nutzer projiziert, die einen wesentlich realistischeren Eindruck bieten sollen. Bei den für den professionellen Einsatz gedachten Produkten der genannten Hersteller ist dagegen – durchaus beabsichtigt – immer deutlich erkennbar, dass es sich um eingeblendete Inhalte handelt.

Weta Workshop macht nicht nur Spezialeffekte für tolle Kinofilme, sondern offenbar auch für Imagekampagnen von Start-ups (Screenshot: silicon.de)
Weta Workshop macht nicht nur Spezialeffekte für tolle Kinofilme, sondern offenbar auch für Imagekampagnen von Start-ups (Screenshot: silicon.de)

Im Februar 2016 wurde dann die bereits im Dezember zuvor kolportierte Finanzierungsrunde tatsächlich abgeschlossen. Sie fiel mit 793,5 Millionen Dollar zwar etwas niedriger aus als zunächst gemutmaßt, bewegte sich aber immer noch in einem ehrfurchtgebietenden Bereich. Lead Investor war damals der chinesische Konzern AliBaba, außerdem beteiligte sich auch der Medienkonzern Warner an dem Unternehmen. Die Bewertung klettert damit auf rund 4,5 Milliarden Dollar, wodurch Magic Leap zu einem der wertvollsten Start-ups der Welt wurde – bis jetzt die von dem Unternehmen selbst aufgeblasene Seifenblase platzte.

Wie sich herausgestellt hat, sind die veröffentlichten Videos mit Wal in der Turnhalle und Virtual-Reality-Game nicht das Vorprodukt der Technologie von Magic Leap, sondern das Werk von Spezialisten bei Weta Workshop. Das Unternehmen kennen aufmerksame Cineasten als das Team, das in Filmen wie “Mad Max: Fury Road”, “Der Hobbit”, “Herr der Ringe”, “Avatar” und den “Chroniken von Narnia” sowie zahlreichen anderen Filmen für die besonders eindrucksvollen Spezialeffekte zuständig war. Der selbstformulierte Anspruch “Magic Leap ist nicht die einzige Firma, die Mixed-Reality-Technologie entwickelt, aber derzeit übertrifft die Qualität der Darstellung die Ansätze aller anderen”, löst sich damit weitgehend in Luft auf.

CEO Rony Albovitz bittet für Magic Leap um etwas mehr Geduld - hält aber grundsätzlich am Versprechen fest, bahnbrechend neue Technologie liefern zu wollen (Screenshot: silicon.de)
CEO Rony Albovitz bittet für Magic Leap um etwas mehr Geduld – hält aber grundsätzlich am Versprechen fest, bahnbrechend neue Technologie liefern zu wollen (Screenshot: silicon.de)

Die Verwendung von Technologien Dritter, um die Vorteile der eigenen Entwicklung zu demonstrieren könnte allerdings auch einfach als plumper Betrugsversuch gedeutet werden. Insbesondere wenn ein Video gezeigt wird, in dem ausdrücklich eingeblendet ist, dass es direkt mit Magic-Leap-Technology aufgenommen wurde und weder Spezialeffekte oder Schnitttechniken verwendet wurden.
Auf seinem Twitter-Konto reagierte Magic-Leap-CEO Albovitz mit Durchhalteparolen, bat um etwas mehr Geduld und verteidigte Verzögerungen damit, dass man sobald ein Datum für die Markteinführung genannt wird, dieses auch einhalten wolle. Außerdem verwies er noch einmal auf die hohe Komplexität der für das endgültige Produkt erforderlichen Neuentwicklung.

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Auch angesichts der Investoren, die ja auch nicht “auf der Brennsuppen dahergeschwommen sind” dürfte an der Technologie von Magic Leap wohl schon etwas dran sein. Allerdings ist es wohl schwieriger als gedacht, das Konzept und die Ideen in funktionsfähige und alltagstaugliche Produkte zu gießen. Der Rückgriff auf externe Technologie um zu veranschaulichen, wohin man gelangen will, wäre noch zu verzeihen gewesen. Dies jedoch zu verleugnen, diskreditiert das gesamte Unternehmen. Die Frage ist jetzt nicht mehr, wann diese Technologie endlich verfügbar sein wird, sondern ob Albovitz und sein Team übermäßige Optimisten oder doch einfach nur Betrüger sind.