WLAN-Störerhaftung: Geschichten mit 1001 Entwürfen

Aufgrund der Störerhaftung wurde die Einrichtung kostenloser WLAN-Hotspots bisher vor allem von Telekommunikationsanbietern wie hier in Köln Netcologne vorangetrieben, die ihr nicht unterlagen (Bild: Netcologne).

Das Gezerre um die Störerhaftung für WLAN-Betreiber sollte im Sommer 2016 mit einer Änderung des Telemediengesetzes beendet werden. Kurz darauf deckte jedoch ein Urteil des EuGH eine neue Lücke auf. Die soll nun geschlossen werden.

Es war lange eine Zwickmühle: Einerseits forderten Politiker immer wieder Breitbandinitiativen und mehr WLAN-Abdeckung, andererseits wollten oder konnten sie sich nicht dazu entschließen, die immer frecheren und weitgehenderen Wünsche und Forderungen der Lobbyisten diverser Rechteinhaber abzuwehren. Dadurch blieb für viele der Betrieb eines offenen WLANs immer mit einem Risiko behaftet, drohte doch bei unzureichenden Vorkehrungen eine Abmahnung wegen Urheberrechtsverletzungen.

Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich hat ein Urheber oder dessen Anwalt das Recht, seine berechtigten Interessen wahrzunehmen. Sich in einem Umfeld, in dem es schwierig ist, die wahren Täte zu identifizieren einfach jemanden zu schnappen, der irgendwie an der Tat beteiligt zu sein scheint und ihn haftbar zu machen, ist aber schlicht Beutelschneiderei. Wird etwa der Bund haftbar gemacht, wenn jemand mit einem gestohlenen Fahrzeug über die Autobahn fährt? Nein. Aber sofern jemand über einen offenen WLAN-Access-Point (den Verkehrsweg) Inhalte auf illegale Tauschbörsen hochlädt, kann der WLAN-Betreiber in Anspruch genommen werden.

Aufgrund der Störerhaftung wurde die Einrichtung kostenloser WLAN-Hotspots bisher vor allem von Telekommunikationsanbietern wie hier in Köln Netcologne vorangetrieben, die ihr nicht unterlagen (Bild: Netcologne).
Aufgrund der Störerhaftung wurde die Einrichtung kostenloser WLAN-Hotspots bisher vor allem von Telekommunikationsanbietern wie hier in Köln Netcologne vorangetrieben, die ihr nicht unterlagen (Bild: Netcologne).

Im Frühjahr 2016 gab sich dann nach Signalen aus der EU und dem Vorpreschen von Bundesverkehrsminister Dobrindt auch die CDU/CSU-Fraktion einen Ruck und ermöglichte so endlich die Verabschiedung einer neuen Fassung des Telemediengesetzes.

“Geschafft!”. Dachten viele. Doch die Freude währte nur kurz.

Schon im September unterminierte ein Urteil des EuGH die soeben erst in Deutschland verabschiedete Regelung. In dem vor dem Landgericht München begonnenen Verfahren ging es um eine Abmahnung gegen den Veranstaltungstechniker Tobias McFadden. Der hatte die aufgrund einer durch einen unbekannten Nutzer begangene Urheberrechtsverletzung erhalten, weil der Unbekannte über ein von McFadden bereitgestelltes offenes WLAN eine urheberrechtlich geschützte Musikdatei per Filesharing getauscht hatte. Gegen die folgende, kostenpflichtige Abmahnung von Sony Music klagte er. Das Münchner Gericht legte dem Fall dem EuGH vor um zu erfahren, ob die in Deutschland gültige, auf Vorgaben des Bundesgerichtshofs beruhende WLAN-Störerhaftung, mit europäischem Recht vereinbar ist.

Zwar bestätigten die obersten europäischen Richter McFadden, dass er für die rechtswidrige Handlung Dritter nicht haftet, da er an ihnen nicht beteiligt war. Der Urheberrechtsinhaber habe daher keinen Anspruch auf Schadenersatz gegen ihn. Sony könne zudem nicht verlangen, dass er die Abmahn- und Gerichtskosten trägt. Allerdings räumte das Gericht, um Urheberrechtsverletzungen einzudämmen die Möglichkeit ein, dass Urheberrechtsinhaber WLAN-Betreiber im Rahmen einer Unterlassungsaufforderung zum Einsatz von Passwörtern und der Identifikation der WLAN-Nutzer verpflichten. Im Klartext heißt das, dass Nutzer dann ihre Identität preisgeben müssten, um das erforderliche Passwort zu erhalten.

Hotspot in Telefonzelle (Bild: Ruckus Wireless)
In anderen Ländern sind freie WLANs schon länger und wesentlich breiter verfügbar – zum Beispiel wurden in Neuseeland schon 2013 Telefonzellen dazu umgewidmet. (Bild: Ruckus Wireless)

Piraten-Datenschutzexperte Patrick Breyer sprach stellvertretend für viele Kritiker, als er den möglichen Passwort- und Identifizierungszwang in einem ersten Kommentar als “vorgestrig” und einen “technologiefeindlichen Kniefall vor der Urheberrechtslobby” bezeichnete: “Nach dieser Logik müssten auch Telefonzellen und Briefkästen mit einem Identifizierungszwang versehen werden”, so Breyer. Auch zahlreiche andere Experten fürchteten, dass damit erneut Konstrukte geschaffen werden, die mehr oder weniger berechtigten Abmahnwellen Tür und Tor öffnen und so die Rechtsunsicherheit für WLAN-Betreiber erhöhen und damit die Bereitschaft, WLANs zu betreiben, reduziert.

Da WLANs aber seit vergangenem Jahr in Berlin und dem Bundestag einen ähnlich hohen Status haben wie einst Steuergeschenke und ja schließlich auch dieses Jahr wieder Wahlen anstehen, muss nun schnell eine Regelung her. Schließlich muss der Bevölkerung gezeigt werden, dass man durchaus in der Lage ist, die Rahmenbedingungen für “Gratis-WLAN für alle zu schaffen”. Also wurde im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in der Rekordzeit von knapp fünf Monaten ein Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes (TMG) erstellt. Immerhin mussten ja Paragraf 7 und 8 dafür umgeändert werden (Änderungen hier als PDF verfügbar). Vor den strengen Augen der meisten Kritiker findet aber auch dieser Entwurf keine Gnade.

“Eine Abschaffung der WLAN-Störerhaftung wird es auch mit dem nun vorliegenden Referentenentwurf wohl nicht geben. Statt endlich für die dringend benötigte Rechtssicherheit beim Betrieb offener Funknetze zu sorgen, sieht der Entwurf nur marginale Korrekturen an der verunglückten Gesetzesänderung aus dem vergangenen Jahr vor. Obendrein schafft er auch noch eine gesetzliche Grundlage für Netzsperren“, erklärt Volker Tripp, politischer Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft, in einer Stellungnahme. Den längst überfälligen Schub für die Verbreitung offener Netzzugänge in Deutschland werde es auch damit nicht geben.

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Das sieht im Grunde auch Konstantin von Notz, der netzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion so. Er schimpft: Mit dem neuen Referentenentwurf geht das unselige Hin und Her um die Störerhaftung nun in eine neue Runde – während Anbieter von öffentlichem WLAN weiter im Regen stehen.”

Einstellung der Bevölkerung zur WLAN Störerhaftung (Grafik: Lancom)
Einstellung der Bevölkerung zur WLAN Störerhaftung (Grafik: Lancom)

Positiver sieht das Ralf Koenzen, Geschäftsführer des deutschen WLAN-und Netzwerkanbieters Lancom. Er lobt in dem aktualisierten Paragraf 8 des TMG die “wasserdichte Regelungen gegen Abmahnerei”, das klare Nein zur Zwangsregistrierung und kann sich damit abfinden, dass Rechteinhaber “Websperren verlangen können, wenn es in einem WLAN zu einer Rechteverletzung gekommen ist und sie diese auf keine andere Art unterbinden können.”

Laut Koenzen ist “der neuerliche Vorstoß zur Abschaffung der WLAN-Störerhaftung sehr vielversprechend. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes gelingt dem BMWi aus meiner Sicht eine ausgewogene Balance zwischen der umfassenden Haftungsbefreiung für die WLAN-Anbieter auf der einen und den Ansprüchen der Rechteinhaber auf der anderen Seite. Der Abmahnindustrie dürfte damit endgültig das Wasser abgegraben werden.”

Aus seiner Sicht bleibe nun nur zu hoffen, “dass der Gesetzestext in der Ressortabstimmung nicht derart kastriert wird, dass am Ende statt der anvisierten Rechtssicherheit für WLAN-Hotspot-Anbieter doch nur wieder Ratlosigkeit zurückbleibt.”

Kritischer sieht die geplanten Netzsperren in einer jetzt vorgelegten Stellungnahme der eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. “Der vorliegende Entwurf stellt aus unserer Sicht einen Rückschritt gegenüber der bestehenden Regelung dar”, so Oliver Süm, eco Vorstand Politik & Recht.

Süme weiter: “Mal ganz abgesehen davon, dass Netzsperren grundsätzlich ein falscher Ansatz sind, ist hier vor allem problematisch, dass der Entwurf selbst hinter den vom Europäischen Gerichtshof und Bundesgerichtshof aufgestellten rechtsstaatlich gebotenen Anforderungen und hohen Hürden für Netzsperren zurückbleibt und Netzsperren ohne Richtervorbehalt und quasi auf Zuruf ermöglicht.” Damit verfehle der Entwurf das eigentliche Ziel, Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber zu schaffen.