Nicht alles wird zu Gold: Die moderne Midas-Saga der deutschen Digitalprobleme

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In der griechischen Mythologie war König Midas der Beweis dafür, wie sehr Wünsche nach hinten losgehen können: Was er berührte, wurde zu Gold – alles, wohlgemerkt.

So mancher, der auf Digitaldeutschland blickt, kann sich schon lange eines Vergleichs mit dem armen reichen König nicht erwehren: Glasfasernetz- und Mobilfunkausbau, Netzwerkdurchsetzungsgesetz, DSGVO, Urheberrechtsneugestaltung, digitale Bildung, die Staatstrojaner oder jenes zutiefst vertrackte Rechtsgebiet namens digitalisiertes Glücksspiel, für das seit einem Dutzend Jahren und trotz zahllosen EU-Rüffeln immer noch keine bundeseinheitlichen Regularien bestehen.

Es scheint fast, dass alles, was Deutschland und seine Politik in Sachen Internet und Digitalisierung berühren, dazu verdammt ist, nicht zu Gold zu werden, sondern eher zum Gegenteil. Kritik, vor allem von Seiten digitaler Experten, ist verheerend und oft scheint es, als zögen die Entscheider immer in Richtungen, in die es aus digitalpositiver, zukunftsorientierter Sicht nicht gehen sollte.

Teilweise ist die Kritik überzogen, unfair und politische Entscheidungen, die es allen recht machen, dürften extremen Seltenheitscharakter haben. Allerdings lässt sich nicht verhehlen, dass es durchaus einige hausgemachte Problemzonen gibt.

1. Der Föderalismus

Die Weisungsbefugnisse der Bundesregierung haben scharfe Grenzen. Da Deutschland eine föderale Republik ist, haben die Einzelstaaten viel Entscheidungsfreiheit gegenüber dem Bund. Natürlich aus gutem Grund: der Vermeidung von Machtzentralisierung.

Doch gerade bei der Digitalisierung der Bildung und dem Glücksspiel zeigt sich die Kehrseite davon. Denn zwischen Kultusministerien und Glücksspielstaatsvertrag kommt es darauf an, dass 16 Landesregierungen und Ministerien es schaffen, einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Rheinland-Pfalz könnte sich entschließen, alle Schulen durch SAP ausstatten zu lassen. Bayern könnte denselben Auftrag an Apple vergeben, Mecklenburg-Vorpommern könnte Google beauftragen. Dem Föderalismus wäre damit Genüge getan. Aber welche praktischen Auswirkungen das zwischen Interkompatibilität und Usability hätte, lässt sich ausmalen.

Besserung ist zudem kaum zu erwarten; das würde bedeuten, Befugnisse zu verlagern. Dagegen dürften sich sowohl die Länder wehren wie die Wächter der Demokratie.

2. Digitales Unverständnis

„Neuland“. Dieses von Angela Merkel noch 2013 ausgesprochene Wort ist längst zum verächtlich-geflügelten Begriff geworden. Doch obgleich praktisch alle Politiker behaupten, Digitalisierung voranbringen zu wollen, handelt es sich oft nur um Lippenbekenntnisse.

Der Grund ist leider hausgemacht: Bei vielen Politikern zeigt sich in den Handlungen jenseits der Worte allzu oft, dass sie dem Gewicht der Digitalisierung bei weitem nicht die richtige Bedeutung beimessen:
(Quelle: Deutschlandfunk)Warum das so ist, unterscheidet sich: mangelnde Kompetenz sagen die einen, für andere liegt es in zu großer Beeinflussung durch Lobbyisten. Wieder andere verorten es in der Scheu, klare und demensprechend vielleicht ungeliebte Entscheidungen zu fällen – letzteres fiele mit einem weiteren Problem zusammen:

3. Gutes Aussehen vor guter Wirkung

Knapp 6,6 Milliarden Euro nahm der Staat durch die Versteigerung der 5G-Frequenzen ein. Jeder beteiligte politische Entscheider kann sicher sein, damit auch beim Wähler einen guten Eindruck zu hinterlassen – 6,6 Milliarden sind schließlich 6,6 Milliarden mehr für Kita-Ausbau, schnellere Amtsgänge und die Reduzierung von Schlaglöchern; vereinfacht gesprochen.

Doch gerade die Frequenzversteigerung ist archetypisch für dieses Problem: Es wirkt großartig, hat jedoch eine gravierende Kehrseite – den bezahlenden Unternehmen fehlen jetzt 6,6 Milliarden Euro, die sie für den technischen Netzausbau und attraktive Kundenvertragskonditionen sicher gut hätten gebrauchen können.

Warum viele Politiker so vorgehen, ist leider abermals in den Grundfesten unseres Landes zu finden: Demokratische Wahlen. Jeder Politiker muss immer bedenken, dass er seinen Posten je nach Art für nur vier oder fünf Jahre innehat.

Es gilt das alte Fußballprinzip „Nach der Wahl ist vor der Wahl“. Und je näher letztere rückt, desto stärker legen viele Politiker einen Schwerpunkt auf lediglich gutaussehende Maßnahmen – und dazu genügt oft eine Kombination aus Worten, Absichtserklärungen und eingeleiteten Prozessen. Dass nach der Wahl allzu oft zurückgerudert wird, vergessen viele Wähler schnell.

Hier würden sich viele die berühmte „klare Kante“ wünschen, um auch in Sachen Digitalisierung Prozesse anzuschieben, die nachhaltig sind und wirklich etwas bewirken, auch wenn das vielleicht teuer ist und zunächst bei den Wählern keinen guten Eindruck hinterlässt.

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4. Ungesunde Monopolpflege

Vor nunmehr 25 Jahren ging die Telekom aus der Deutschen Bundespost hervor; der Staatskonzern wurde privatisiert. Allerdings zeigt nicht zuletzt die Aktionärsstruktur, wie maßgeblich nach wie vor der staatliche Einfluss ist – ein knappes Drittel der Telekom-Aktien gehört in irgendeiner Form dem Bund.

Zumindest für viele Kritiker liegt darin auch ein inhärentes Problem: Denn immer wieder zeigt sich für sie, dass diese Connection für ein einzigartiges Standing innerhalb der Wettbewerber sorgt. Zuletzt manifestiert durch die Entscheidung der Bundesnetzagentur, dem von der Telekom betriebenen Vectoring weiterhin eine Sonderrolle beizumessen – was für Kritiker einen Hemmschuh für jenen Glasfaserausbau bedeutet, der von Politikern immer wieder betont und herausgestellt wird.
(Quelle: Telekom Aktionärsbericht 2020)Nun mag zwar der Ruf, den Markt alles ohne staatliche Einmischung regeln zu lassen, sicher nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wohl aber dürfte sich die Frage stellen, ob es für das Vorankommen der Digitalisierung nicht besser wäre, wenn der Staat zumindest derart umfangreiche Kontrollen einzelner Unternehmen reduzieren würde.

5. German Perfektionismus

Einzelnen Ländern bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, gehört glücklicherweise, zumindest auf einer seriösen Ebene, der Vergangenheit an. Schließlich mag in der Tat nicht jeder Franzose Wein, geht nicht jeder US-amerikanische Geschäftsmann mit Cowboy-Mentalität an die Sache.

Allerdings gibt es manchmal auch Klischees, die von der Realität geradezu befeuert werden. Zwei finden sich im genuin deutschen Umgang mit der Digitalisierung – zumindest aus Sicht der promovierten und habilitierten Ökonomin Irene Bertschek, Chefin des Forschungsbereichs Digitale Ökonomie am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, Professorin für Ökonomie der Digitalisierung in Gießen und Expertenkommissionsmitglied Forschung und Entwicklung der Bundesregierung – also eine Person, der allein Kraft ihrer Vita schon Gehör geschenkt werden sollte:
(Quelle: Deutschlandfunk Interview)Diese Worte von Prof. Dr. Bertschek decken sich mit dem, was viele andere Experten sagen: Deutschland sei zu sehr bestrebt, auch beim Thema Digital auf perfekte, auf endgültige Lösungen zu setzen. Und so sehr diese Tugend an anderer Stelle auch ein wichtiger Grund dafür ist, dass Deutschland unter den Wirtschaftsnationen ein derartiges Standing hat, so falsch ist sie doch beim Thema Digitalisierung – hier ist es nach wie vor zu oft eine Tatsache, dass die Entwicklung so rasend schnell vonstattengeht, dass es schlicht nicht möglich ist, alles mit typisch deutscher Gründlichkeit zu erledigen.

Etwas mehr Tempo muss nicht nachteilig sein, muss nicht das Umgehen wichtiger Sicherheitsschritte bedeuten – dass das auch bei der Digitalisierung gilt, zeigen jene Nationen, die Deutschland voraus sind. Allerdings findet sich hier auch die Schwelle zu einem tiefergreifenden Problem: um solche Tempi zu ermöglichen, ist es vielfach einfach nötig, nur politische Ziele vorzugeben, nicht den detaillierten Weg dorthin. Doch an dieser Schlüsselfähigkeit mangelt es nach Ansicht vieler der deutschen Politik leider.

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