Nachhaltige Cloud-Native-Software

Wie sich ökonomische und ökologische Ziele intelligent austarieren lassen, erklärt Nils Klute von EuroCloud im Gastbeitrag.

Wer Dateien online speichert, an Videokonferenzen teilnimmt oder Kinofilme streamt, der verbraucht nicht nur Strom, Wasser und Rohstoffe, sondern produziert mit jedem Mausklick im Internet wenige Gramm an Kohlendioxid. Treibhausgase, die ursächlich für den Klimawandel sind und für die auch Cloud-Anbieter Verantwortung tragen, wenn Menschen, Unternehmen oder Maschinen die Online-Services nutzen. Allerdings ist der CO₂-Ausstoß europäischer Rechenzentren laut eco – Verband der Internetwirtschaft seit 2015 rückläufig: Zum einen, weil etwa neue Prozessoren, Speicher und Netze immer effizienter arbeiten. Und zum anderen, weil sich beispielsweise Abwärme intelligent nutzen lässt, um Schwimmbäder, Wohnungen und Büros zu beheizen.

Cloud-native Software reduziert Treibhausgase

Energie effizienter verbrauchen, optimaler kühlen und Hardware effektiver einsetzen – Accenture rechnet vor, wie stark die Effekte für Umwelt und Klima sind: Migrieren Unternehmen weltweit in die Public Cloud, spart das jährlich rund 48 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die lokale IT sonst verursacht. Wer dann noch zusätzlich Software in der Public Cloud mit den Möglichkeiten der Public Cloud designt, entwickelt und betreibt, der reduziert den ökologischen Fußabdruck um bis zu 20 Prozent weiter, was insgesamt 60 Millionen Tonnen CO₂ und damit 5,9 Prozent aller Emissionen entspricht, die firmeneigene Serverräume pro Jahr verursachen – so viel, wie 22 Millionen Autos im gleichen Zeitraum ausstoßen.

Cloud-Native-Software als Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit – davon sind die Cloud-Native-Dienstleister für den Mittelstand überzeugt, die sich seit rund drei Jahren in der Cloud-Native-Initiative von EuroCloud Deutschland versammeln: EuroCloud Native, kurz ECN. „Wir trimmen unsere Software-Architekturen von Anfang an auf Nachhaltigkeit“, sagt Marc Schröter, CEO bei globaldatanet. „So holen wir das Optimum aus der Public Cloud heraus“, sagt Sebastian Ullrich, Geschäftsführer bei PROTOS Technologie.

Serverlos entwickeln und Ressourcen besser auslasten

globaldatanet und PROTOS Technologie sind zwei Anbieter von insgesamt 25, die in der ECN Mitglied sind. Sie alle vereint, dass sie für ihre Dienstleistungen kein eigenes Rechenzentrum benötigen. „Unsere Software arbeitet serverlos in der Public Cloud“, sagt Schröter. Welchen Vorteil das bietet: Cloud-Native-Anwendungen verbrauchen überhaupt nur dann Rechen- oder Speicherressourcen, wenn sie aktiv sind. Zudem teilen sich alle Apps die gleiche Public-Cloud-Infrastruktur, was – genauso wie im öffentlichen Nahverkehr – Kosten spart, die Umwelt schont und den Eigenaufwand reduziert. „So erzielen Public-Cloud-Provider eine Auslastung von rund 60 Prozent“, sagt Ullrich: „Wer dagegen Software im eigenen Serverraum für sich entwickelt und betreibt, der erreicht durchschnittlich nur rund 10 Prozent.“

Angefangen beim Applikations-Design über Code-Effizienz bis hin zur Anwendungsverteilung – intelligent aufgebaute Cloud-Native-Software schöpft die Vorteile der Public-Cloud-Technologie aus. Beispiel Datenbewirtschaftung: „Statt Informationen jedes Mal aus einer Datenbank zu laden, lassen sie sich über Patterns und Caches smart verteilen“, sagt Schröter. Was Prozesse beschleunigt, reduziert den ökologischen Fußabdruck. Schröter: „Wer Services Event-basiert realisiert, der optimiert die Auslastung von Infrastrukturen und Systemen.“

Wie das technologisch funktioniert: Cloud-Native-Anwendungen sind asynchron über Microservices und Programmierschnittstellen aufgebaut. So entstehen agile Geflechte, die auf Befehle ebenso agil reagieren. Anders synchrone Software: „Hier muss jeder einzelne Request jede einzelne Applikation von vorne nach hinten durchlaufen“, sagt Schröter. Ein Design nach dem Wasserfallprinzip, das in der Vergangenheit monolithische und sperrige Applikationen entstehen ließ. Und ein Paradigma, das DevOps bricht.

Clever konzipieren, verteilt betreiben, smart managen

„Nutzenbasierte Verbrauchskonzepte sind nachhaltig, die Public Cloud jedoch per se nicht“, sagt Ullrich. Worauf es ankommt: „Eben darauf, die Ressourcen gewusst wie einzusetzen.“ Denn: „Erst das macht Public-Cloud-Anwendungen ökonomisch und ökologisch so interessant“, sagt Ullrich. Worin dabei eine Gefahr besteht: Zwar lassen sich Dienste sehr einfach via Mausklick buchen, bestellen und starten. Aber: „Wer sich nicht auskennt, baut falsch, treibt Kosten unnötig in die Höhe und verschwendet Ressourcen“, sagt Ullrich. Beispiel Scheduler: Mit ihnen lassen sich Dienste zeigesteuert hochfahren. Ullrich: „So lässt sich verhindern, dass Anwendungen laufen, für die etwa nach Geschäftsschluss gar kein Bedarf mehr besteht.“ Nicht anders ungenutzte betriebsbereite Server: Auch sie lassen sich aufspüren und ausschalten. „Cloud-Native-Apps sind dann nachhaltig, wenn sie clever konzipiert, verteilt betreiben und ebenso smart gemanagt werden.“

Leistung, Kosten und Ressourcen im Gleichgewicht

Was Nachhaltigkeit in der Public Cloud keinesfalls meint: „Infrastruktur auf Stromspar-Modus“, sagt Schröter. „Beispielsweise können gerade performante Komponenten Cloud-Native-Anwendungen ökologischer machen.“ So bietet etwa AWS spezielle Werkzeuge an, um das Verhältnis von Leistung, Kosten und Ressourcen auszutarieren. Auch an anderer Stelle unterstützt der Hyperscaler die Anwender:innen: Nachhaltigkeit gehört seit Dezember 2021 zu den Säulen des AWS-Well Architected Framework, einer Sammlung von Best-Practices, um nicht nur besonders ausfallsichere, leistungsfähige und effiziente Cloud-Native-Software zu designen, sondern besonders nachhaltige. Was dabei gilt: „AWS sorgt dafür, dass die Cloud an sich möglichst nachhaltig ist“, sagt Ullrich: „Die Nutzer:innen sorgen dafür, dass ihre Cloud-Anwendungen im Speziellen nachhaltig sind.“ Das sogenannte Shared Responsibility Modell regelt, wie sich die Verantwortung zwischen Kundschaft und Provider unter anderem im Hinblick auf ökologische Fragen verteilt.

Nachhaltigkeit und Hyperscaler

Fest steht zudem: „Das Thema kommt eher langsam bei den Hyperscalern an“, sagt Dr. Nils Kaufmann, der die ECN initiiert hat und von Anfang an leitet. Beispielseisweise möchte AWS seine Rechenzentren ab 2025 mit erneuerbaren Energien betreiben. Und erst seit rund einem halben Jahr bietet der Provider ein sogenanntes Carbon Footprint Tool, mit dem Kund:innen den CO₂-Ausstoß ihrer eingesetzten Hardware ermitteln und bei Bedarf umweltfreundlichere Konfigurationen bestimmen können. „Neu ist außerdem ein Kohlendioxid-Indikator, den AWS jetzt in zentrale Management-Dashboards integriert hat“, sagt Kaufmann: „So behält die Kundschaft den CO₂-Fußabdruck der eigenen Projekte im Blick.“ An anderer Stelle engagiert sich der Anbieter dagegen seit längerem für Nachhaltigkeit: „Zentrale Bausteine seiner Infrastruktur hat AWS in Rust geschrieben“, sagt Schröter. Die Programmiersprache ist besonders energieeffizient und umweltfreundlich, weil sie verglichen mit Python oder Java weniger Rechen- und Speicherressourcen verbraucht. Schröter: „Amazon hat Rust von Anfang an unterstützt, ist Gründungsmitglied der Rust Foundation und hat bereits 2018 mit Firecracker sein erstes Produkt auf Rust-Basis vorgestellt.“

Intelligente Software und Cloud-Technologien, um Skaleneffekte für die Natur zu erschließen – zwar steht das für 84 Prozent der IT-Verantwortlichen fest, wie eine aktuelle Umfrage vom Cloud Industry Forum zeigt. Aber geht es darum, sich für ein Cloud-Angebot zu entscheiden, dann sind allein Kostenfragen für jedes zweite Unternehmen ausschlaggebend. „Beides muss sich dabei keineswegs ausschließen“, sagt Ullrich: „Wenn wir über Effizienz sprechen, dann meinen wir nicht nur ökonomische, sondern gerade auch ökologische Anforderungen.“ Das Cloud Industry Forum hatte Anfang 2022 rund 250 große und mittlere Unternehmen in Großbritannien befragt.