Wie lassen sich Hürden beim KI-Einsatz überwinden?

KI gilt in der deutschen Wirtschaft zwar als Zukunftstechnologie, wird aber selten genutzt, sagt Gastautor Arian Storch von Evy Solutions.

Nur neun Prozent der Unternehmen in Deutschland setzen laut einer aktuelle Studie der Bitkom KI tatsächlich ein. Wie lässt sich die große Diskrepanz zwischen Wollen und Machen erklären und was sind die Voraussetzungen dafür, dass KI stärker Einzug hält in die Prozesse der Unternehmen?

Beim Einsatz von KI-Software in deutschen Unternehmen lassen sich aktuell drei Herausforderungen beobachten. Die erste ist die (softwareseitige) Infrastruktur, die bei den Unternehmen vorliegt. Viele Unternehmen nutzen veraltete ERP-Systeme oder lehnen die Integration externer Software aus Datenschutzgründen ab. KI-Systeme laufen in der Regel in der Cloud, um die zum Betrieb notwendigen Ressourcen effektiv nutzen zu können. Die Informationen, die diese KI-Systeme brauchen, um ihr Ziel zu erreichen, müssen daher vom Unternehmen in das Cloud-System.

Und bei denen durch das KI-System gewonnenen Informationen verhält es sich umgekehrt. Diese müssen vom Cloud-System in das ERP-System des Kunden. Wenn das Unternehmen sich aber aufgrund von (vorgeschobenen) IT-Security-Aspekten oder Datenschutzgründen dagegen sträubt, diese Informationskanäle zu etablieren, dann können die KI-Systeme nicht eingesetzt werden. 

Schwierigkeiten bei der Datenintegration aus anderen IT-Systemen

An diesen Punkt anknüpfend kommt dann auch der Aspekt des veralteten ERP-Systems. Viele etablierte branchentypische Lösungen sind bereits vor Jahrzehnten entwickelt und im Markt etabliert worden. Dies war zu einer Zeit, in der der Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Systemen und Lösungen unterschiedlicher Hersteller üblicherweise nicht im Fokus der Entwicklung stand. Daher bieten viele solcher ERP-Systeme keine oder nur halbgare Lösungen zur Integration von Informationen aus anderen IT-Systemen. Und selten ist der Hersteller bereit, sich in Form von Kooperationsprojekten zu öffnen.

Oft werden zwar kundenspezifische Schnittstellen entwickelt, was für den Hersteller ein lukratives Geschäft ist – vorausgesetzt das interessierte Unternehmen nimmt die Kosten auf sich – jedoch entstehen in diesen Projektgeschäften meistens keine allgemein gültigen Schnittstellen, sodass jedes Unternehmen auf sich allein gestellt ist und das Problem der Datenintegration immer wieder neu hochkommt.

Falscher Denkansatz bei KI-Projekten

Die zweite Hürde ist fachlicher Natur und ist im Denkansatz, wie interessierte Unternehmen KI-Lösungen betrachten, begründet. Viele Unternehmen starten KI-Projekte mit der Idee, eine Maschine die Tätigkeit machen zu lassen, die ein Mensch zuvor gemacht hat. Und mit den zuvor menschlich ausgeführten Tätigkeiten wird das KI-System angelernt. Dieser Grundsatz ist per se auch nicht falsch. 

Das Problem dabei ist, dass der Mensch bei seiner Tätigkeit auf ungeheuer viel Kontext- und Erfahrungswissen zurückgreift, was den Prozessbeteiligten oftmals gar nicht bewusst ist. Eine Maschine hat, selbst wenn sie die Handlungsweise des Menschen kopiert, diese „Erfahrung“ zunächst nicht. Sie kopiert zunächst erstmal nur die Tätigkeiten (das Was) des Menschen und weiß nichts über das Warum.

Informationslücken wegen fehlender oder falscher Daten

Ein Beispiel dazu: Im Transportbereich kommt es häufig vor, dass das Transportunternehmen anstelle eines „echten“ Transportauftrags lediglich bereits den vorab erstellten Lieferschein des Warenversenders bekommt und dies im Sinne eines Transportauftrags interpretiert. Aus fachlicher Sicht bedeutet dies jedoch, dass bspw. der Frachtzahler auf diesem Dokument gar nicht verzeichnet ist. Der Mensch weiß entweder aus Erfahrung oder Kontext (oftmals ruft der Auftraggeber kurz per Telefon an), wie diese Informationslücke zu schließen ist.

Ein System, das sich rein nur auf Informationen im Dokument stützen kann, hat dieses Erfahrungs-/Kontextwissen nicht. Ein weiteres Beispiel dazu ist, dass manchmal aus historischen Gründen bspw. Entladestellen oder Frachtzahler auf einem Transportauftrag notiert sind, die es so aber nicht mehr gibt, zum Beispiel aus Gründen von Umfirmierungen oder ähnliches. 

Die Folge aus dieser Beobachtung ist, dass sich die Prozessverantwortlichen darüber im Klaren sein müssen und die typischen Prozesse und Verhaltensweisen der prozessbeteiligten Mitarbeiter transparent und automatisierbar gestalten müssen. Jedoch gibt es auch immer wieder Widerstände gegen die Transparentmachung von Prozessen, weil Mitarbeiter Sorge habe, das etwaige Fehler offengelegt werden. 

KI-Lösung ist mehr als nur ein Software-Einkauf

Der dritte und letzte Punkt ist, dass die Einführung eines KI-gestützten Systems nicht nur der „bloße“ Einkauf einer neuen Software ist, sondern in der Regel aus den zuvor genannten Punkten ein unternehmenswandelnder Prozess ist, der die notwendigen Ressourcen und die Zeit erfordert, um diesen Wandel konsequent nachzuverfolgen. 

Und da liegt auch ein gewisses Henne-Ei-Problem. Die Unternehmen wollen bspw. aus Personalmangel mehr Prozesse mithilfe von KI-Systemen automatisieren. Da aber kaum jemand Zeit hat, sich mit dem Impact auf die Unternehmensprozesse auseinanderzusetzen und diese mittel- bis langfristig zu begleiten („Das operative Geschäft geht vor, es muss ja Geld verdient werden“), bleiben die Versuche sehr frühzeitig stecken. Und wenn dann im Unternehmen noch gegen Vorbehalte aus der IT oder aus dem operativen Betrieb gekämpft werden muss, bleibt der Innovationsantrieb stecken.

Wie lassen sich die Zahlen steigern?

Aus den zuvor genannten Gründen gibt es zwei Ansatzpunkte: Der erste ist, innerhalb der Branche einen Standard für Daten- und Informationsaustausch zu schaffen. Das so etwas grundsätzlich möglich ist, wurde in anderen Bereichen (zum Beispiel Rechnungswesen mit XRechnung oder ZUGFeRD) bereits gezeigt. Die ERP- bzw. TMS-Systeme müssen geöffnet werden, sodass Informationen aus anderen Prozessen und Systemen integriert und ausgetauscht werden können. Das ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass sich Prozesse sinnstiftend und kostensenkend mehr und besser automatisieren lassen.

Der zweite Punkt ist die kritische Prüfung, Hinterfragung und Gestaltung von Unternehmensprozessen mit dem expliziten Blick auf Automatisierbarkeit. Das betrifft sowohl die Gestaltung der IT-Infrastruktur als auch die operativen fachlichen Prozesse. Gerade bei Letzteren ist es sehr wichtig, prozessnotwendiges Erfahrungs- und Kontextwissen abzubauen. Dies hilft nicht nur bei der Einführung neuer Systeme zur Prozessautomatisierung, sondern auch bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter und ist somit eine Win-Win-Situation für mehrere Seiten.

 

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Arian Storch

ist Geschäftsführer von Evy Solutions, einem Kölner Software-Hersteller für KI-gestützte Dokumentenanalyse.