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Autonom handelnde KI-Agenten

Nach KI-Anwendungen ist jetzt viel von KI-Assistenten die Rede. Ist das im Prinzip nicht das Gleiche?

Manuel Haug: Es existieren viele verschiedene Definitionen des Begriffs „AI-Agent”, die von einem einfachen Prompt-Tool bis hin zu einer Art „virtuellem Mitarbeiter” reichen. In meinen Augen ist ein wichtiger Aspekt bei der Frage, was KI-Agenten eigentlich ausmacht, dass diese selbständig Entscheidungen treffen und dabei über einen vergleichsweise hohen Grad an Autonomie verfügen. In der Praxis bewährt sich dabei der Ansatz, dass einzelne Agents jeweils als Experten für bestimmte Arbeitsschritte agieren. Ziel ist dabei, dass mehrere KI-Agenten quasi in Arbeitsgruppen zusammenarbeiten, um im Kollektiv Aufgaben möglichst autonom erledigen zu können.

Gibt es dafür ein Beispiel aus der Praxis?

Manuel Haug: Wenn sich abzeichnet, dass die Lagerbestände eines Unternehmens zur Neige gehen, setzt ein KI-Agent einen Alarm ab und startet den Einkaufsprozess. Ein zweiter prüft derweil die möglichen Lieferanten und holt Angebote ein. Diese wiederum prüft ein dritter KI-Agent, legt sie einem menschlichen Einkäufer vor oder veranlasst sogar gleich selbst die Bestellung. Das zeigt: Während einzelne Agents meist sehr einfach zu erstellen sind, muss die Zusammenarbeit mehrerer gut orchestriert werden.

Für solche standardisierten Prozesse müsste es große Einsatzpotenziale für AI-Agents geben.

Manuel Haug: Überall dort, wo Menschen wiederkehrende und oft auch stupide Aufgaben übernehmen müssten, liegt das größte Potenzial. Schon heute kommt agentengestützte KI in verschiedenen Branchen zum Einsatz, wo sie zum Beispiel Kundenanfragen beantwortet, Bestellungen managt, Software-Programme schreibt oder Tickets im Kundenservice priorisiert. Außerdem sind solche Agents in der Lage, Daten zu klassifizieren und Empfehlungen auszusprechen. Cosentino, ein spanischer Hersteller nachhaltiger Oberflächen, hat mit uns einen KI-Assistenten entwickelt, der blockierte Bestellungen analysiert und bearbeitet. Der Assistent spricht Empfehlungen aus, die von den Kreditmanagern einfach umgesetzt werden können. Das Team erreicht so eine höhere Effizienz und bearbeitet bis zu fünfmal mehr Bestellungen pro Tag – ohne zusätzliches Risiko.

Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen erfüllt, damit sie AI-Agents sinnvoll implementieren können?

Manuel Haug: Auf technischer Ebene ist eine zentrale Voraussetzung, dass KI den jeweiligen Unternehmenskontext kennt. Dieser ist entscheidend dafür, dass die Technologie aktuelle und relevante Ergebnisse liefert und so dabei helfen kann, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Diese Notwendigkeit nicht zu berücksichtigen, ist ein häufiger Grund, warum KI-Projekte scheitern.

Bei der konkreten Implementierung gilt es zunächst, zu prüfen, wo der Einsatz agentischer KI überhaupt sinnvoll ist. Sprich: Wo helfen die erwarteten Ergebnisse einem Unternehmen tatsächlich weiter? Um möglichst großen Mehrwert aus dem Einsatz zu ziehen, müssen Anwender außerdem Agilität sicherstellen. Schließlich verändert sich jedes Unternehmen mit der Zeit und das heißt, auch die Agenten und ihre Orchestrierung müssen immer wieder angepasst werden.

Was jedoch Fachkompetenz erfordert?

Manuel Haug: AI-Agenten lassen sich mit entsprechenden Tools einfach erstellen und über Sprache steuern. Das erleichtert die Programmierung, für die oft keine spezialisierten Entwickler erforderlich sind. Andererseits können auch Anwender ohne tiefgreifende IT-Kenntnisse sie einfach nutzen.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass AI-Agents über das notwendige Kontextwissen verfügen?

Manuel Haug: Hier kommt Prozessintelligenz ins Spiel – sie ist im Prinzip die Grundlage jeder Unternehmens-KI. An vielen Stellen kommen heute Large Language Models (LLMs), generative KI und KI-Agenten zum Einsatz. Doch die Effektivität und Ergebnisqualität dieser Anwendungen steht und fällt mit den Daten, die sie verwenden und dem Wissen um die spezifischen Anforderungen. KI-Tools brauchen Prozessintelligenz, die Prozessdaten und Unternehmenskontext zusammenführt, um relevante und valide Ergebnisse zu erzielen. Sie fungiert als gemeinsame Sprache, die alle Bereiche und Ebenen eines Unternehmens miteinander verbindet, also auch Fachabteilungen und IT. Um diese Verbindung herzustellen, haben wir einen Process Intelligence Graph entwickelt. Er baut auf den Ergebnissen des Process Mining auf und wandelt diese in handlungsrelevantes Wissen um. So kann er KI-Anwendungen das erforderliche Wissen zur Verfügung stellen, um Daten korrekt zu interpretieren und kontextgestützte Erkenntnisse zu liefern.

Was würden Sie Unternehmen darüber hinaus noch für den Implementierungsprozess raten?

Manuel Haug: Ganz klar: Value first! Use case first! Der Mehrwert des konkreten Anwendungsfalls muss immer im Fokus stehen. Ob dann ein AI-Agent oder ein Co-Pilot die jeweilige Aufgabe übernimmt, ist zweitrangig.

Um die Implementierung von KI-Agenten vorzubereiten, sollten Entscheider in Plattformen investieren, die die Integration agentischer KI mit Prozessintelligenz ermöglichen. Zudem ist es sinnvoll, in Trainings und Schulungen zu investieren, damit die Mitarbeitenden die KI-Agenten effizient nutzen und die Ergebnisse verstehen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass solche Lösungen gut angenommen und effektiv eingesetzt werden.

Je autonomer agentenbasierte KI wird, desto wichtiger wird es außerdem, Leitplanken in Form von Governance-Frameworks zu definieren, damit die Technologie stets im Einklang mit den Absichten auf Anbieter- und Anwenderseite agiert.

Sind AI-Agents ein kurzfristiger Hype oder wird uns das Thema länger begleiten?

Manuel Haug: Kurzfristig wird die Bedeutung von KI-Agenten von vielen überschätzt, langfristig dagegen unterschätzt. In nächster Zeit werden wir eine stärkere Integration von KI-Agenten sehen, die durch Prozessintelligenz neue Maßstäbe setzen und den Chatbot-Anwendungen, die wir alle kennen, weit überlegen sind. Diese Agenten werden so programmiert sein, dass sie den gesamten Unternehmenskontext verstehen und für die Ergebnisentwicklung nutzen können. Dadurch stellen sie sicher, dass Anwender stets über präzise und aktuelle Informationen verfügen.

Manuel Haug

ist Field CTO bei Celonis.

Roger Homrich

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