Frauen in der IT: Der entscheidende Wettbewerbsvorteil

Das Bewusstsein für die Bedeutung von Diversität wächst, doch der Fortschritt bleibt zäh, obwohl gemischte Teams erfolgreicher sind, sagt Gastautorin Verena Deller von codecentric.
Laut Bitkom betrachten 90 Prozent der IT-Firmen eine Erhöhung des Frauenanteils als Chance – und das zu Recht. Denn diverse Teams bringen nicht nur unterschiedliche Perspektiven ein, sie sind auch nachweislich kreativer, produktiver und innovativer.
Verschiedene Sichtweisen fördern kreative Lösungen
IT-Projekte scheitern oft nicht an fehlendem Fachwissen, sondern an Kommunikationsproblemen, einseitigen Sichtweisen oder unbewussten Denkmustern. Wenn etwa (digitale) Produkte hauptsächlich aus männlicher Perspektive entstehen, werden Bedürfnisse von Frauen als Endnutzerinnen oft zu wenig beachtet. Ein Beispiel: Lange wurden Crashtest-Dummys zum Testen von Sicherheitsgurten nach dem durchschnittlichen männlichen Körpermodell gestaltet – mit der Folge, dass Frauen bei Autounfällen ein höheres Verletzungsrisiko hatten. Solche blinden Flecken lassen sich vermeiden, wenn diverse Teams gemeinsam an Lösungen arbeiten.
Verschiedene Sichtweisen fördern kreative Lösungen und stärken die Innovationskraft einer Organisation. Wer echte Fortschritte will, sollte also nicht nur über mehr Frauen in der IT sprechen, sondern aktiv daran arbeiten, Barrieren abzubauen und Talente zu fördern. Denn nur, wenn wir Vielfalt als Erfolgsfaktor begreifen, schaffen wir eine digitale Zukunft, die für alle funktioniert.
Ungleichheiten bei Bezahlung und Karrierechancen
Doch trotz jahrelanger Diskussionen steigt der Frauenanteil in IT-Berufen weiterhin nur langsam. Die Gründe dafür liegen oft bereits in der frühen Berufsorientierung: Der Weg in die IT beginnt in der Schule, wo junge Frauen und Männer erste Entscheidungen über ihre berufliche Zukunft treffen. Leider entscheiden sich immer noch zu wenige Frauen für eine Karriere in den MINT-Fächern. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: Es fehlt an weiblichen Vorbildern, die junge Frauen dazu inspirieren, einen ähnlichen Weg einzuschlagen.
Auch bei Bezahlung und Karrierechancen bestehen nach wie vor Ungleichheiten. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen bekommen Frauen immer noch weniger Geld für die gleiche Arbeit. Laut Statistischem Bundesamt lag der Gender Pay Gap im Jahr 2024 immer noch bei 16 Prozent. Zudem stoßen sie in ihrer Karriere häufig an gläserne Decken, die dazu führen, dass ihnen höhere Positionen seltener angeboten werden. Das liegt unter anderem an unbewussten Vorurteilen, die noch immer verbreitet sind. Einer Umfrage des Verbandes der Internetwirtschaft ECO zufolge glauben noch immer fast 40 Prozent der Deutschen, Frauen hätten ein geringeres Interesse an Technik und IT. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und übernehmen einen größeren Anteil der Care-Arbeit. Manchmal unterschätzen Frauen auch ihren „Marktwert“ und werden zu wenig von ihrem Umfeld bestärkt, um eine Führungsrolle zu übernehmen.
Die geringere Präsenz von Frauen in Tech-Berufen hat also zweifelsohne gesellschaftliche Ursachen. Trotzdem entbinden externe Faktoren Unternehmen nicht von ihrer Verantwortung, aktiv daran zu arbeiten.
Weiblichen Vorbildern mehr Sichtbarkeit geben
Dennoch kann kein einzelnes Unternehmen den Rückstand allein aufholen, und Konkurrenzdenken wäre hier gänzlich fehl am Platz. Es braucht einen gemeinsamen Ansatz, der über Unternehmensgrenzen hinausgeht. Wenn Unternehmen ihre Ressourcen bündeln und gemeinsame Initiativen ins Leben rufen, können sie Frauen in der Tech-Branche gezielter unterstützen. Ein breiteres Netzwerk und Sichtbarkeit helfen Frauen mehr, als wenn jedes Unternehmen isoliert agiert.
Auch für die Unternehmen selbst lohnt sich die Zusammenarbeit: Durch den Austausch von Erfahrungen und Best Practices können sie voneinander lernen. Eine wichtige Aufgabe besteht zudem darin, weiblichen Vorbildern mehr Sichtbarkeit zu geben. Gemeinsame Initiativen können dabei helfen, diese Vorbilder stärker in den Fokus zu rücken und so mehr Frauen zu ermutigen, den Weg in die Tech-Branche einzuschlagen. Aus diesem Grund ist codecentric eine Partnerschaft mit dem IT-Dienstleister MaibornWolff eingegangen, um den Austausch zwischen Frauen in der Branche zu fördern. Auch kooperieren bereits einige IT-Unternehmen, wenn es darum geht Meetups, also Wissens- und Netzwerkevents, für Frauen zu organisieren.
Auch der Blick in andere Länder lohnt sich. Während Deutschland im europäischen Vergleich zu den Nachzüglern gehört, wenn es um den Frauenanteil bei MINT-Abschlüssen geht, zeigen sich in anderen Ländern historische Ansätze, die in der Praxis bis heute Wirkung entfalten. Im sozialistischen Bulgarien etwa wurden Frauen ausdrücklich dazu ermutigt, technische Berufe zu ergreifen. Dadurch gibt es bis heute mehr weibliche Vorbilder in der Tech-Branche, die junge Frauen inspirieren, eine ähnliche Laufbahn einzuschlagen. Doch tragen auch konkrete Maßnahmen dazu bei, diesen Trend zu verstärken. So existieren an vielen bulgarischen Universitäten Frauenquoten für technische Studiengänge. Das Beispiel Bulgarien zeigt, dass gezielte Maßnahmen helfen können, den Frauenanteil in der IT-Branche zu erhöhen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es langfristige kulturelle Veränderungen braucht, um mehr Frauen für die IT zu begeistern.
Praxistipps: So können IT-Unternehmen mehr Frauen für sich begeistern
Trotzdem können Unternehmen auch heute schon praktische Schritte gehen, um den Frauenanteil in der IT zu erhöhen.
Aktive Rekrutierung
Frauen zeigen bei Bewerbungen häufig ein anderes Verhalten als Männer. Sie tendieren dazu, sich nur dann zu bewerben, wenn sie alle Anforderungen einer Stelle vollständig erfüllen. Unternehmen sollten dies in ihrer Rekrutierungsstrategie berücksichtigen und Frauen gezielt ansprechen. Häufig sind Stellenausschreibungen unbewusst auf männliche Bewerber zugeschnitten. Geschlechtsneutrale Formulierungen sowie gezielte Ansprachen – etwa in Social-Media-Kampagnen oder Events wie frauenspezifischen Karrieremessen – können helfen, diesen Bias zu durchbrechen.
Mentoring-Programme
Spezifische Mentoringprogramme für Frauen erleichtern den Einstieg in die oft männlich dominierte IT-Branche. Sie helfen, Unsicherheiten abzubauen und bieten wertvolle Orientierung. Einige Unternehmen setzen inzwischen auch auf interne Frauennetzwerke, die die Vernetzung und Interessenvertretung von Frauen im Unternehmen erleichtert. Zudem sind spezifische Schulungen und Weiterbildungen, die beispielsweise den Quereinstieg ermöglichen, ein guter Weg, um Frauen für Führungsrollen in MINT-Berufen fit zu machen.
Flexible Arbeitsmodelle
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt für viele Frauen eine große Hürde dar. Dabei bieten IT-Berufe oft ideale Voraussetzungen für flexible Arbeitszeiten und hybride Modelle. Ein Beispiel dafür ist das Jobsharing, bei dem sich mehrere Arbeitnehmer*innen eine Vollzeitstelle teilen. Unternehmen, die hier gezielt ansetzen, können mehr Frauen den Weg in die Branche ebnen.
Sichtbarkeit von Vorbildern
Frauen in Führungsrollen motivieren andere Frauen, sich zu bewerben. Unternehmen sollten diesen positiven Effekt aktiv fördern, indem sie weibliche Führungskräfte gezielt sichtbar machen und als Vorbilder hervorheben. Auch die frühe Förderung spielt eine wichtige Rolle: Mädchen sollten bereits in jungen Jahren für technische Berufe begeistert werden, und dabei können Unternehmen durchaus helfen. Bei codecentric unterstützen wir diesen Ansatz beispielsweise mit dem Ferienprogramm „That’s IT Girl“.
Gleichberechtigung bei Gehältern und Aufstiegsmöglichkeiten
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie faire Karrierechancen sollten selbstverständlich sein – sind es jedoch vielerorts noch nicht. Unternehmen müssen sicherstellen, dass Frauen dieselben Aufstiegsmöglichkeiten haben, wie ihre männlichen Kollegen und systematische Gehaltsunterschiede konsequent beseitigt werden.
Marathon und kein Sprint
Frauen sind in der IT-Branche nach wie vor unterrepräsentiert. Doch auch der beste Wille und durchdachte Maßnahmen reichen nur dann aus, wenn sie von einem langfristigen Kulturwandel begleitet werden. Hier sind nicht nur einzelne Organisationen, sondern die gesamte Tech-Branche und die Politik gefragt. Denn wer Frauen für technische Berufe begeistern möchte, muss früh beginnen und darf den Blick nicht auf das eigene Unternehmen beschränken. Der Austausch von Frauen über Unternehmensgrenzen hinweg hilft, Erfahrungen zu bündeln und gemeinsame Forderungen sichtbarer zu machen. Ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz ist entscheidend, um die Rolle von Frauen in der IT nachhaltig zu stärken.
