Europa will Quantenmacht werden – und plant dafür strategischen Wendepunkt

Mit dem Quantum Act will die EU erstmals eine koordinierte Strategie auf den Weg bringen, um bei der Entwicklung von Quantentechnologien nicht erneut den Anschluss zu verlieren, sagt Erik Garcell von Classiq.

Es geht dabei nicht nur um Forschung, sondern um Europas Rolle in einem Zukunftsmarkt, der Wirtschaft, Sicherheit und digitale Souveränität neu definiert. Nach aktuellem Stand plant die EU, den „European Innovation Act“ im zweiten Halbjahr 2025 vorzulegen – flankiert von Initiativen wie der EU Quantum Strategy und der Start-up- und Scale-up-Strategy. Gegen Ende 2025 soll außerdem ein eigener „Quantum Act“ folgen. Gemeinsam zielen diese Maßnahmen darauf ab, Europas digitale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ein innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen.

Strategie statt Stückwerk: Europas neue Quantenagenda

Exzellente Forschung allein reicht nicht aus, um eine führende Position auf dem Weltmarkt einzunehmen. Diese schmerzhafte Erfahrung hat Europa schon machen müssen: Bei der Künstlichen Intelligenz oder den Halbleitern konnten andere Regionen die wirtschaftliche Umsetzung schneller vorantreiben – obwohl der Forschungsstand in Europa sehr hoch war. Der Quantum Act soll nun verhindern, das in Bezug auf die Quantentechnologie etwas Ähnliches geschieht: Er bündelt nationale Programme, bringt Forschung und Industrie zusammen, setzt auf gezielte Investitionen in Hardware, Software und Quantenkommunikation – und schafft dabei klare politische Rahmenbedingungen.

Ein zentrales Ziel ist es, regulatorische Fragmentierung abzubauen und die Entwicklung europaweiter Infrastrukturen für Quantencomputer, -kommunikation und -sensorik zu fördern. Angesteuert wird also nicht nur die Technologieförderung, sondern auch ein Bürokratieabbau – etwa durch schnellere Genehmigungen, digitale Standards und eine bessere Verzahnung mit Förderprogrammen wie Horizon Europe. Der Plan: Forschung beschleunigen, Anwendungen fördern und Europas technologische Unabhängigkeit stärken – mit strategischer Weitsicht.

Vom Labor in die Anwendung: Jetzt zählt Umsetzung

Quantencomputing ist längst kein reines Forschungsthema mehr. Erste Anwendungen in der Automobilbranche, der Pharmaindustrie oder dem Finanzwesen zeigen bereits, welches Potenzial die Technologie besitzt. So setzt etwa BMWquantenbasierte Simulationen ein, um die Architektur elektrischer und mechanischer Systeme zu optimieren – beispielsweise mit Blick auf die Lebensdauer von Batterien oder die Effizienz von Komponenten.

Auch wenn voll skalierbare Quantencomputer noch Jahre entfernt sind, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, die vorhandenen Möglichkeiten gezielt zu nutzen und auf dieser Basis zukunftsfähige Strukturen zu schaffen. Um das zu erreichen, reicht es nicht aus, sich nur auf die Hardware zu konzentrieren. Langfristig werden nur jene Unternehmen erfolgreich sein, die den gesamten Stack beherrschen – von der physischen Infrastruktur über Steuerungssysteme bis hin zur algorithmischen Abstraktion.

Die Entwicklung leistungsfähiger Plattformen, die komplexe Quantenalgorithmen modellierbar und schneller in marktfähige Lösungen überführbar machen, ist dafür ein zentraler Baustein. Gerade dem europäischen Mittelstand bietet das die Chance, frühzeitig Kompetenzen aufzubauen und sich im wachsenden Quantenökosystem zu positionieren. Wer jetzt startet, verschafft sich einen Vorsprung – und leistet einen Beitrag zum Aufbau eines eigenständigen europäischen Quantenökosystems.

Technologie, Sicherheit, Souveränität – warum Regierungen jetzt investieren

Sobald der praktische Nutzen von Quantentechnologie greifbar wird – oft als „Quantum Utility“ bezeichnet – wächst weltweit das politische Interesse. Denn es geht längst nicht nur um wirtschaftliche Potenziale, sondern auch um sicherheitspolitische Fragen. In den USA etwa verfolgt die DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) mit Programmen wie ROQS (Robust Optical Quantum Sensors) das Ziel, Quantentechnologie unter realen Bedingungen nutzbar zu machen – etwa für militärische Navigation oder Aufklärung. Quantenanwendungen sollen nicht länger im Labor bleiben, sondern in sicherheitskritischen Szenarien operativ einsetzbar sein.

Auch die EU denkt sicherheitspolitisch: Der Quantum Act ist nicht nur ein Innovationsinstrument, sondern Teil einer Strategie zur technologischen Resilienz. Der aktuelle „Competitiveness Compass“ der EU-Kommission macht deutlich, dass technologische Souveränität künftig als Teil europäischer Sicherheitspolitik verstanden wird. Der Quantum Act soll helfen, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren und die Handlungsfähigkeit Europas in sicherheitsrelevanten Schlüsseltechnologien zu stärken. Konkret heißt das: Investitionen in quantensichere Verschlüsselung, robuste Kommunikationssysteme, unabhängige Recheninfrastrukturen und industrielle Kapazitäten. In Deutschland zeigt sich das etwa im Projekt QuantumBW, das gezielt den Aufbau eines lokal verankerten, sicherheitsorientierten Quantenökosystems vorantreibt. Trotz der vorgezogenen Bundestagswahl 2025 dürfte die Förderung solcher Programme weitergehen – zu wichtig sind sie für Europas strategische Autonomie.

Auch Europas Umgang mit den globalen Technologiemächten wird differenzierter. Der Schlüssel liegt in der Balance zwischen Offenheit und Schutz: Während in Bereichen wie Grundlagenforschung Kooperation gefragt ist, müssen kritisches Know-how, geistiges Eigentum und industrielle Schlüsseltechnologien gezielt abgesichert werden. Der Quantum Act liefert dafür den ersten regulatorischen Rahmen.

Kooperation als Schlüssel zur Souveränität

Quantencomputing stellt neue Anforderungen – technisch, wirtschaftlich, aber auch politisch. Die Technologie macht es unabdinglich, dass Fachdisziplinen enger zusammenarbeiten, und bringt zusätzlich noch wichtige Fragen mit sich, etwa beim Thema Datensicherheit in einer Post-Quanten-Kryptographie Welt. Der Quantum Act setzt deshalb nicht nur auf technische Entwicklung, sondern auch auf Zusammenarbeit und Transparenz. Netzwerke sollen gefördert, Wissen geteilt und Silos aufgebrochen werden – innerhalb Europas und in strategischen Partnerschaften weltweit.

Europa hat die Chance, im Quantenbereich nicht nur mitzulaufen, sondern mitzugestalten. Diese Chance zu nutzen, erfordert Mut, Zusammenarbeit – und den Willen, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Etwa durch gezielte Pilotprojekte, die schon heute strategische Anwendungsfelder besetzen.

 

Dr. Erik Garcell

ist promovierter Physiker und Director of Quantum Enterprise Development. Classiq soll den Prozess der Entwicklung von Quantenalgorithmen revolutionieren.