IT-Projekte in der lokalen Finanzwirtschaft: Scheitern ist keine Option

Große IT-Projekte dauern häufig länger als geplant, verursachen hohe Kosten und liefern nicht die gewünschten Ergebnisse, sagt Christian Dechert von BSI Software.
Im Frühjahr 2023 stellte eine große deutsche Filialbank ihr IT-System um und setzte zeitgleich das Online- und Telefonbanking neu auf. Wie so oft bei IT-Projekten kam es zu Störungen und Verzögerungen, in diesem Fall jedoch mit schwerwiegenden Folgen: Kunden hatten teils wochenlang keinen Zugriff auf ihre Konten, es gab große Probleme bei Nachlassangelegenheiten und der Rückzahlung von Spareinlagen. Die BaFin bestellte einen Sonderbeauftragten.
Länger und teurer als geplant
Das war kein Einzelfall: Studien zufolge scheitern rund 70 Prozent der Transformationsprojekte in Unternehmen. Zumindest werden die ursprünglichen Ziele nicht vollständig erreicht. Weitere Beispiele gefällig? Die Inkompatibilität der neuen IT-Systeme einer deutschen Genossenschaftsbank rief sogar den Vorstandsvorsitzenden auf den Plan, der öffentlich den damaligen IT-Partner kritisierte. Ein anderer Verband genossenschaftlicher Banken in Deutschland stellt derzeit seine Banking-App ein und wechselt zurück zu seinem ursprünglichen IT-Partner.
Da drängt sich der Vergleich zwischen der Digitalisierung des Finanzsektors und öffentlichen Bauprojekten auf: In der Regel dauert es länger als geplant. Und oftmals wird es auch teurer. Doch als Privatunternehmen haben Banken einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Öffentlichen Hand: ihren Spielraum.
Lokale Retailbanken stehen heute vor allem vor der Herausforderung, in Sachen Customer-Experience mit der Zeit zu gehen. Und dafür sind zwei Faktoren entscheidend: Flexibilität und Konnektivität. Die Branche ist hochdigitalisiert und verändert sich so schnell wie wenig andere. Wer mithalten will, muss nicht das Rad neu erfinden – aber bereit sein, seine Strukturen zu hinterfragen, Gewohnheiten zu überprüfen und Veränderung zuzulassen. Dabei helfen fünf Erfolgsprinzipien:
Einsatz holistischer Plattformen
Besonders Genossenschaftsbanken und lokal verwurzelte Institute arbeiten oft mit traditionellen IT-Partnern zusammen. Das ist kein Fehler – jahrzehntelange Erfahrung und gegenseitiges Vertrauen sind genauso wichtig wie Innovation. Aber sie dürfen diese nicht systemisch erschweren. Neobanken werden vor allem bei der Gen Z signifikant besser bewertet als klassische Retailbank. Um mit der Fin-Tech-Konkurrenz aus dem Netz mitzuhalten, sollten sie sich nicht nur für moderne IT-Systeme und Automatisierung öffnen, sondern vor allem für die Zusammenarbeit mit zusätzlichen IT-Dienstleistern. Eine holistische Plattform zur Verwaltung der Kundenbeziehungen ist nicht nur ein starkes Instrument zur Verbesserung der Performance. Sie gewährleistet für Privatkundenbank vor allem deren Innovations-Readiness. Für Banken kommt es darauf an, maximale Adaptionsfähigkeit zu erlangen: Nur wer technisch in der Lage ist, schnell und reibungslos an neue Systeme anzudocken, wird auch in Zukunft effizient sein – und nicht auf der Strecke bleiben.
Holistische Plattformen können alle Elemente eines vollständig digitalisierten Customer-Relationship-Managements (CRM) integrieren und neues Wertschöpfungspotential freisetzen. Sie können die ans Kernbankensystem angeschlossenen Subsysteme vollständig ersetzen – müssen das aber nicht. Denn sie sind modular: Individuelle Lösungen orientieren sich am jeweiligen Use Case, werden auf diesen zugeschnitten und umgesetzt. Und das Portfolio kann beliebig erweitert werden. Die Kosten sind auch bei der Umsetzung nur eines Use Cases proportional zum Aufwand, wodurch das Projekt skalierbar bleibt.
Eine CRM-Plattform schafft die Voraussetzung, durch einen modernen, automatisierten Kundenservice in Sachen Customer Experience Boden auf die Neobanken gutzumachen. Auch zeitgemäße KI- und Cloud-Lösungen und aktuelle Open-Source-Technologien können an die Plattform andocken. Dabei entscheidet jedes Institut individuell, welche Funktionen und Services es umsetzen will: Optimal getimte Kundensignale? Personalisierte Ansprache? Individualisiertes Marketing oder intelligentes Kredit-Tracking? Oder alles auf einmal? Besonders regional verwurzelte Banken mit ausgeprägtem Filialgeschäft haben die Möglichkeit, einzelne Systeme individuell zu testen und erst bei Erfolg auf den gesamten Verbund auszuweiten – Digitalisierung von innen. Die optionale Zusammenarbeit mit einem externen IT-Partner schafft die Voraussetzung, technologisch hochinnovativ, strukturell dynamisch und geschäftlich maximal kreativ zu sein, ohne auf bewährte Strukturen und gewachsene Partnerschaften verzichten zu müssen. Denn genau darin liegt eine große Stärke der Retailbanken.
Kluge Nutzung von bewährten Branchenlösungen
Digitalisierung ist maßgeblich für die Zukunft der Branche. Doch sie sollte nicht als Selbstzweck begriffen werden. Sie ist dort sinnvoll, wo sie echten Mehrwert verspricht. Entscheidend ist daher eine präzise Bedarfsanalyse: Wo ist von Cloud, KI und Co. konkreter Gewinn zu erwarten? Sei es in Sachen Effizienz, Kundenservice und -bindung oder bei der Erschließung neuer Geschäftsfelder. Die Kosten-Nutzen-Rechnung muss nicht nur die Implementierung der neuen Technologie beinhalten, sondern auch die künftigen Unterhaltskosten, etwa die Datenakquise, -pflege und -harmonisierung bei KI-Systemen.
Die Studie „Customer Touchpoints im Banking“ (2024) der Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit BSI Software kommt zu dem Ergebnis, dass E-Banking stark an Bedeutung gewinnt und kein anderer Touchpoint häufiger von Kunden genutzt wird. Die Untersuchung zeigt aber auch: In geschäftsentscheidenden Momenten ist der Berater nach wie vor der entscheidende Faktor. Also haben klassische Filialbanken zumindest potenziell einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem anonymen Online-Erlebnis. Das bietet die Chance, bewährte Lösungen zum Alleinstellungsmerkmal umzufunktionieren. Nähe, Vertrauen und der persönliche Kontakt sind daher weiterhin relevant.
Implementierung von Low- oder No-Code-Lösungen
Gerade regionale Banken haben intern nur in begrenztem Umfang Entwickler-Ressourcen zur Verfügung – können aber auch nicht dauerhaft teure externe Entwicklungsprojekte stemmen. Einen attraktiven Ausweg aus diesem Dilemma bieten Adaptionsplattformen die in jüngerer Zeit immer stärker Einzug in die Software-Landschaft halten. Dahinter verbergen sich Low- oder gar No-Code-Lösungen, die von Nutzern auch ohne klassische Programmierkenntnisse weiterentwickelt werden können. Das heißt: Interne Software-Entwicklung wird plötzlich in einem zuvor unbekannten Umfang auch für kleine Teams möglich. Und das ohne starken Fokus auf die technologische Seite der Plattform, dafür mit starker Orientierung an den Bedürfnissen von Organisation und Nutzern. Für regionale Banken lassen sich neue Themen schnell und individuell umsetzen. Durch die direkte Einbindung der Fachbereiche in die Softwareentwicklung mittels No- und Low-Code wird zudem die Zahl der Iterationen zwischen ihnen und der IT deutlich verringert.
Nutzung agiler Methoden im Projektmanagement
Egal wie leistungsstark, dynamisch, kunden- und benutzerfreundlich: Die Technologie bleibt immer nur ein Teilbereich erfolgreicher Transformation. Genauso wichtig ist es, die internen Strukturen an das neue System anzupassen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor sind daher agile Methoden im Projektmanagement. Sie garantieren Flexibilität und kontinuierliche Verbesserung durch Rückkopplung und die Einbeziehung von Feedback. So generieren Unternehmen schneller Mehrwert und stellen sicher, dass sie so früh wie möglich Nutzen aus der Technologie ziehen. Regelmäßig Fortschritte zu überprüfen garantiert, dass Risiken früh erkannt werden, und wahrt die Chance, diese zu mitigieren. Die Wahrscheinlichkeit von kostspieligen Fehlern oder Verzögerungen wird so reduziert.
Gezielte Investition in Mitarbeiterentwicklung und Change-Management
Jede Technologie ist nur so gut wie die Menschen, von denen sie genutzt wird. Gute Mitarbeiterentwicklung und Change-Management stellen sicher, dass die aufwändig implementierte Technologie auch erfolgreich genutzt werden kann. Noch immer gibt es in vielen Unternehmen Berührungsängste mit Künstlicher Intelligenz. Mitarbeitende befürchten etwa, von Technologie ersetzt zu werden. Dabei gewährleistet sie das Gegenteil: Automatisierung hat das Potential, den Fachkräftemangel zu kompensieren. Sie entlastet die Menschen, befreit sie von repetitiven Aufgaben und schafft Raum für Kreativität, individuelle Beratung und persönlichen Kontakt. Durch Schulungen und Weiterentwicklung stellen Banken sicher, dass neue Tools kompetent und effizient genutzt werden. Richtiges Change-Management sorgt nicht nur für die nahtlose Implementierung von Technologie, sie vermittelt deren Mehrwert auch den Mitarbeitenden.
Im digitalen Zeitalter stehen regionale Banken und klassische Filialbanken insgesamt vor der Herausforderung, ihren eigenen Weg zu finden. Scheitern ist dabei keine Option. Die Lösung besteht jedoch weder im Stillstand noch in der Digitalisierung um jeden Preis – sondern dem klugen Mittelweg zwischen Kundennähe und Modernisierung.
ist Sales Manager bei BSI Software.